1. Herausbildung des entscheidungsorientierten Ansatzes In der Entwicklung der deutschen Betriebswirtschaftslehre lassen sich im wesentlichen drei Phasen feststellen: (1) Die Phase, in der die traditionelle Betriebswirtschaftslehre begründet wurde, erstreckt sich bis ca. 1950. (2) Die nächste Phase reicht etwa bis 1960 und ist eng mit dem Namen Gutenbergs verbund en, der die Mannigfaltigkeit des betrieblichen Geschehens auf die Produktivitätsbeziehung zwischen Faktoreinsatz und Faktorertrag zurückzuführen versuchte. Diese produktivitätsorientierte Betrachtungsweise ermöglicht kaum die Einbeziehung weiterer als bedeutungsvoll erkannter Aspekte des betrieblichen Geschehens, so daß wir in der gegenwärtigen (3) dritten Phase zahlreiche neue Ansätze vorfinden. Von diesen Ansätzen ist in jüngster Zeit vor allem der entscheidungsorientierte Ansatz in den Vordergrund des Interesses getreten.
2. Kennzeichnung des entscheidungsorientierten Ansatzes Der Gegenstand des entscheidungsorientierten Ansatzes ist mit Entscheidungen gegeben, die als zentraler Bestandteil jeglicher menschlicher Aktivität anzusehen sind. Entscheidungen sind sowohl im individuellen Bereich als auch in privaten Unternehmungen und öffentlichen Verwaltungen zu treffen. Die Entscheidungstheorie untersucht die allgemeinen Strukturen und Abläufe der Artiger Entscheidungen. Sie betrachtet dabei Entscheidungen unter normativistischem (präskriptivem) und deskriptivem (empirisch-realistischem) Aspekt. Die normativistische Theorie ist daran interessiert, wie Entscheidungen vernünftigerweise (rational) aussehen sollen. Demgegenüber untersucht die empirischrealistische Theorie, wie Entscheidungen real vollzogen werden. Die Entscheidungstheorie besitzt interdisziplinären Charakter, da ihre generellen Aussagen in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen wie z. B. Wirtschaftswissenschaften, PolitikWissenschaft, Soziologie, Psycholo-gie, Rechtswissenschaften, MilitärEntscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre Wissenschaften angewandt werden(können). Die einzelne Disziplinstellt dann jeweils eine spezielle Entscheidungstheorie dar, so daß es gerechtfertigt ist, auch von einer betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie oder einer e. B. zu sprechen.
3. Wissenschaftsziel einer e. B. Die Entscheidungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre manifestiert sich zunächst in dem Versuch, die betriebswirtschaftlichen Probleme als Entscheidungsprobleme darzustellen und zu lösen. Das Neue und in die Zukunft Richtungweisende dieses Ansatzes ist jedoch nicht so sehr die Tatsache, »daß sich die Betriebswirtschaftslehre mit Entscheidungen befaßt, sondern (vielmehr) die Art und Weise, die Methodik, wie sie Entscheidungen untersucht«. Die e. B. unterstreicht als angewandte Wissenschaft die besondere Stellung des pragmatischen Wissenschaftsziels. Denn nur pragmatische Aussagen sind geeignet, unmittelbar zur Realitätsgestaltung unter Berücksichtigung der spezifischen Entscheidungssituation angewandt zu werden. Die e. B. muß daher einerseits pragmatische Aussagen zur Gestaltung des betrieblichen Entscheidungsverhaltens machen und andererseits Antworten auf die Frage geben, ob bei der Entscheidung in der Betriebswirtschaft aus den pragmatischen Aussagen ein tatsächlicher und feststellbarer Nutzen gezogen wird. Hierbei muß man sich bewußt sein, daß die Aussagen sowohl die Ziele als auch die Mittel betreffende Werturteile enthalten.
Leistungsfähigkeit einer e. B. Die e. B. will letztlich dazu beitragen, das betriebliche Entscheidungsverhalten transparenter und prognostizierbarer zu machen. Hierzu müssen die mit Entscheidungen betrauten Personen mit den Fragestellungen der Entscheidungstheorie vertraut gemacht werden. Die normativistische Theorie dient primär zur Rationalisierung des Denkprozesses. Sie besitzt einen hohen heuristischen Wert, jedoch nur eine relativ geringe Bedeutung zur Steuerung des realen Entscheidungsverhaltens. Die Entscheidungsmatrix und das Phasenschema des Entscheidungsprozesses sind als Versuch einer logischsystematischen Darstellung des Entscheidungsproblems und seiner Lösungsmöglichkeiten anzusehen. Die Vorteilhaftigkeit dieses Struktureffektes für die Entscheidungsfindung wurde verschiedentlich experimentell bestätigt. Die empirischrealistische Theorie ist noch nicht soweit ausgebaut und steht erst am Beginn ihrer Entwicklung. Aufgrund dessen ist ihre Aussagefähigkeit über die tatsächlich von Individuen und Organisationen verwendeten Regeln zur Lösung von Entscheidungsproblemen noch als sehr eingeschränkt zu beurteilen, nicht zuletzt auch wegen des äußerst komplexen Erkenntnisobjektes. Der heutige Entwicklungsstand der empirischrealistischen Theorie ist gekennzeichnet durch das Vorhandensein eines leistungsfähigen konzeptionellen Bezugsrahmens, der insbesondere von Kirsch (1970/1971) in die deutschsprachige Literatur eingeführt wurde. Des weiteren existieren vereinzelte Ansätze (vgl. hierzu Pfohl/Braun 1981, S. 384 ff.) wie z. B. psychologische Ansätze bei der Bildung innerer Modelle, bei der Entscheidungsprozeß Handhabung des kognitiven Risikos, bei der Zielbestimmung auf motivationstheoretischer Grundlage, bei der Fremdkontrolle und bei kognitiven Inkonsistenzen vor und nach der Finalentscheidung sowie z. B. soziologische Ansätze zur Risikoproblematik in Gruppen und zur Zielbildung, Zielanpassung und Zielsicherung organisationaler Ziele. Bei den soziologischen Ansätzen ist insbesondere die Verhaltenstheorie der Unternehmung von Cyert und March hervorzuheben. Die zukünftigen Forschungsbemühungen einer e. B. werden folglich der empirischrealistischen Theorie gelten.
neueres betriebswirtschaftliches Programm, in dessen Mittelpunkt der Entscheidungsbegriff steht. Initiator ist Edmund Heinen mit seiner im deutschsprachigen Raum erstmals in dieser Form vorgenommenen Analyse von Unternehmenszielen (Zielentscheidungen). An die Stelle des vormals als Axiom eingeführten (monistischen) Ziels der Gewinnmaximierung tritt die (pluralistische) Sichtweise von einem ganzen Zielbündel, das von und in Unternehmungen verfolgt wird. Als Komponenten werden genannt: • Gewinn-, Umsatz- und Wirtschaftlichkeitsstreben, • Sicherheitsstreben (insb. Sicherung des Unternehmenspotentials und der Liquidität), • sonstige Ziele (Prestige, Macht u.ä., Sachverhalte also, die mögliche Beweggründe individuellen Verhaltens betreffen). Mit dem Entscheidungsbegriff wird versucht, zwei unterschiedliche Forschungsrichtungen zu verschmelzen: • die Entscheidungslogik bzw. Theorie des Rationalverhaltens, bei der bestimmte Optimierungsziele unterstellt werden. Mit Hilfe mathematischer Verfahren (lineare Programmierung, spieltheoretische Ansätze usw.) wird bestimmt, mit welchem Mitteleinsatz sich diese Ziele erreichen lassen; • die realwissenschaftliche Entscheidungs- forschungy die auf psychologische, insb. sozialpsychologische Erkenntnisse zurückgreift und das in Unternehmungen tatsächlich vorfindbare Entscheidungsverhalten zu erfassen bestrebt ist (verhaltenstheoretische Betriebswirtschaftslehre). Damit findet gleichzeitig eine Öffnung der Betriebswirtschaftslehre gegenüber den traditionellen Sozialwissenschaften statt. Vertreter des entscheidungsorientierten Programms plädieren i.d.R. für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. In Zusammenhang mit diesen beiden Forschungsrichtungen steht auch die von Vertretern der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre vorgenommene Unterscheidung zwischen einer (vorgelagerten) Erklärungsaufgabe und einer (nachgelagerten) Gestaltungsaufgabe. Bei ersterer geht es um eine Beschreibung und Erklärung des betrieblichen Entscheidungsfeldes. Zu diesem Zweck sollen Erklärungsmodelle konstruiert werden. Als Beispiele nennt Heinen Produktions- und Kostenfunktionen, Preis-Absatz- Funktionen sowie Modelle der individuellen Informationsverarbeitung und der kollektiven Entscheidungsfindung. Die Gestaltungsaufgabe, in der die Dienstleistungsfunktion der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre gegenüber der betrieblichen Praxis zum Ausdruck kommt, richtet sich darauf, den Verantwortungsträgern in Unternehmungen Mittel und Wege aufzuzeigen, die zur Verbesserung der dort zu treffenden Entscheidungen führen. Seinen konkreten Niederschlag soll dieses Bemühen in Entscheidungsmodellen finden. Ihr Zweck besteht darin, eine optimale oder zumindest eine befriedigende Gestaltung des Entscheidungsfeldes zu ermöglichen. Wegen der "Empfehlungen", die auf diese Weise zustande kommen, wird die so konzipierte Betriebswirtschaftslehre als eine praktischnormative Wissenschaft interpretiert (normative Betriebswirtschaftslehre) Literatur: Cyert, R. MJMarch, ]. G., Behavioral Theory of the Firm, Englewood Cliffs, N.J. 1963. Kirsch, W., Entscheidungsprozesse, 3 Bde, Wiesbaden 1970/71.
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