eine das Spannungsverhältnis zwischen Effizienz und Gerechtigkeit auflösende Theorie der Verteilung. In der Umgangssprache ist der Begriff der Fairness sowohl mit der Idee der Gleichbehandlung und Unverzerrtheit verbunden (Wurf einer fairen Münze) als auch mit dem Einhalten von möglicherweise ungeschriebenen Regeln (Fair play im Sport). Fairness bezeichnet also die Art und Weise, wie bestimmte Ergebnisse zustande kommen. Diese Interpretation von Fairness im Sinne einer Verfahrensgerechtigkeit findet man auch in John RAWLS\' Theorie der Gerechtigkeit wieder: Gerechtigkeit als Fairness bedeutet bei ihm, dass die Grundsätze der Gerechtigkeit von rationalen Individuen in einer fairen Ausgangssituation beschlossen werden. Letztere liegt vor, wenn niemand in der Lage ist, Grundsätze auf seine besonderen Vorteile hin zuzuschneiden. Um in eine solche Situation zu kommen, benutzt RAWLS das Gedankenexperiment des »Schleiers des Nichtwissens«: Wenn die Grundsätze der Gerechtigkeit beschlossen werden, wissen die Individuen nicht, welche Position sie später in der Gesellschaft einnehmen werden. Ein anderes hypothetisches Verfahren wird in der ökonomischen Theorie der Fairness verwendet: Hier wird verlangt, dass jeder bei der Bewertung von Verteilungen auch in die Schuhe des anderen schlüpft. Eine - Allokation wird dabei als gerecht (equitable) bezeichnet, wenn jedes Individuum mit seinem Güterbündel zufrieden ist und keinen anderen beneidet. Um dies beurteilen zu können, muss jeder mit seinen Präferenzen die Güterbündel aller anderen bewerten. Ein Beispiel für eine in diesem Sinn gerechte Allokation wäre die Gleichverteilung aller Güter, bei unterschiedlichen Präferenzen können aber auch andere Allokationen das Kriterium der Neidfreiheit erfüllen. Eine faire Allokation liegt allerdings erst dann vor, wenn sie neidfrei und zugleich PARETOeffizient ist (- PARETO-Optimum). Mit der ökonomischen Theorie der Fairness wird also versucht, ein Kriterium für Verteilungsgerechtigkeit mit der paretianischen Wohlfahrtsökonomik zu verbinden: Gerechtigkeit wird nicht einfach mit der gleichen Ausstattung aller gleichgesetzt, sondern es wird dem Umstand Rechnung getragen, dass bei unterschiedlichen Präferenzen auch ungleiche Verteilungen gerecht sein können. Wendet man diese Theorie auf einfache Teilungsprobleme mit einwertigen Nutzenfunktionen an (wie beispielsweise auf ein Kuchenverteilungsproblem), so ist das Ergebnis klar und entspricht intuitiven Gerechtigkeitsvorstellungen: Die Gleichverteilung ist fair. Aber auch bei komplexeren Problemen mit mehr Gütern kann die Existenz von fairen Allokationen in reinen Tauschökonomien, also in Ökonomien ohne Produktion, leicht bewiesen werden. Dazu soll zunächst die Menge der verfügbaren Güter gleichverteilt werden. Diese Allokation ist sicher neidfrei, bei unterschiedlichen Präferenzen aber auch ineffizient. Dann wird allen Individuen die Möglichkeit gegeben, über Wettbewerbsmärkte zu tauschen. Die resultierende Allokation ist nach dem ersten Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik effizient. Sie ist jedoch auch fair: Durch die Gleichverteilung im Ausgang hatte jeder die wertmäßig gleiche Anfangsausstattung, konnte sich also prinzipiell auch die Bündel der anderen leisten und offenbarte durch seine Wahl, dass er das eigene Bündel am meisten präferiert. Um auf diesem Wege zu fairen Allokationen zu gelangen, genügt unter Umständen eine beliebige neidfreie Ausgangsallokation. Sobald jedoch viele Individuen beteiligt sind, muss die Gleichverteilung als Ausgangsallokation gewählt werden. Unter diesem Aspekt hat die Fairneßtheorie eine stark egalitäre Tendenz. Diese Tendenz offenbart gleichzeitig die Grenzen eines strukturellen Gerechtigkeitsbegriffs: Bei der Gleichsetzung von Egalität und Verteilungsgerechtigkeit in der Ausgangsallokation bewertet man nur die Struktur der Verteilung, ohne ihre Entstehung mit zu berücksichtigen. Diese Vorgehensweise ist unproblematisch, solange es nur darum geht, einen vorgegebenen Güterbestand zu verteilen, auf den keines der Individuen einen besonderen Anspruch hat. Dieser Rahmen ist jedoch sehr eng: In ihm werden weder Produktion berücksichtigt noch der intertemporale Aspekt von Verteilungen. In der Regel ist es nun aber so, dass die Individuen in der Produktion unterschiedlich zur »Kuchengröße« beitragen. Auch kann eine gegebene nicht neidfreie Anfangsausstattung Ergebnis unterschiedlicher Spar- und Konsumentscheidungen in früheren Perioden sein. Dann aber wird die alleinige Verwendung eines strukturellen Kriteriums fraglich, da auch die Entstehung des zu Verteilenden berücksichtigt werden sollte. Das erste Problem führt letztlich auch dazu, dass in Ökonomien mit Produktion faire Allokationen nicht existieren müssen. In solchen Ökonomien spielt auch die Ausstattung der Individuen mit (natürlichen) Fähigkeiten eine Rolle: Unterschiedliche Fähigkeiten können über unterschiedliche Arbeitseinkommen zu unterschiedlichen Konsummöglichkeiten führen. Will man wie zuvor eine faire Endallokation erreichen, indem man die Anfangsausstattung gleichverteilt, steht man vor dem Problem, dass eine egalitäre Ausgangsverteilung nicht realisierbar ist, da Fähigkeiten nicht umverteilt werden können. Verteilt man aber nur die »materiellen« Güter gleich und läßt dann den Tausch auf Wettbewerbsmärkten zu, kann der Fall auftreten, dass ein untalentiertes Individuum das Konsum-Freizeit-Bündel eines - Talentierten vorziehen würde, mithin den letzteren beneidet. Zur Lösung dieses Existenzproblems gibt es mehrere Modifikationen des Faimeßkonzepts, die sich im wesentlichen in der Korrektur unterschiedlicher natürlicher Fähigkeiten unterscheiden. Allerdings hat jede dieser Modifikationen ihre Schwächen, so dass das Problem von fairen Allokationen in Produktionsökonomien immer noch auf eine allgemein akzeptierte Lösung wartet. Zusammenfassend bietet das Fairneßkriterium im Rahmen von reinen Tauschökonomien eine gute Möglichkeit, die Menge der PARETO-optimalen Allokationen einzuschränken, indem jene Allokationen herausgestellt werden, die zusätzlich ein Kriterium für Verteilungsgerechtigkeit erfüllen. Ein Vorteil der Fairneßtheorie liegt im fehlenden Spannungsverhältnis zwischen Effizienz und Gerechtigkeit: Beide Kriterien sind bei fairen Allokationen erfüllt. Zudem fügt sich die Faimeßtheorie in die streng individualistische Ausrichtung der modernen Wohlfahrtsökonomik, da man (im Gegensatz beispielsweise zum klassischen Utilitarismus oder den Opfertheorien in der Theorie der gerechten Besteuerung) ohne die Annahmen des kardinal meßbaren und interpersonell vergleichbaren Nutzens auskommt (Nutzenmessung). Indem jedes Individuum die Güterbündel der anderen mit seinen eigenen Präferenzen bewertet, hat man die Klippe der interpersonellen Nutzenvergleiche elegant umschifft. Für Ökonomien mit Produktion dagegen besitzen die modifizierten Faimeßkriterien nicht die gleiche Überzeugungskraft und Einfachheit wie das ursprüngliche Kriterium, was die Brauchbarkeit des Faimeßkonzepts in der angewandten Wirtschaftspolitik, beispielsweise bei Fragen der gerechten Umverteilung durch Besteuerung, einschränkt. Literatur: Sen, A. (1986). Thomson, W., Varian, H.R. (1985)
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