Für eine Verständigung ist es erforderlich, dass alle Betroffenen ihre individuellen (subjektiven) Zielvorstellungen und das verfügbare Wissen über geeignete Mittel zur Zielerreichung in Argumentationsprozesse einbringen, Gründe und Gegengründe austauschen und abwägen und schließlich auf Grund der Einsicht in die Richtigkeit einer gefundenen Begründungsbasis zu einer freien Einigung darüber kommen, welche Zwecke verfolgt und welche Mittel ergriffen werden sollen.
Das so gewonnene Handlungsprogramm ist dann vernünftig (rational) in dem Sinne, dass es sich den gemeinsam gefundenen “guten Gründen” verdankt; man kann hier auch von “kommunikativer Rationalität” sprechen (im Unterschied zur “subjektiven Handlungsrationalität” des erfolgsorientierten Handelns).
Die koordinierende Kraft verständigungsorientierten Handelns beruht auf der rational motivierten Einsicht in die Richtigkeit des beabsichtigten Tuns. Es ist diese rational gestützte Einsicht - im Unterschied etwa zu Überredungs-, Belohnungsoder Bestrafungsstrategien - die die für das gemeinsame Handeln notwendige Bindungswirkung (Verpflichtung) hervorruft.
Verständigungsorientiertes Handeln trägt der Grundeinsicht für menschliches Zusammenleben Rechnung, dass eine friedliche Beilegung von Konflikten zwischen Menschen letztlich nur dann möglich ist, wenn jeder den anderen als “Person” ernst nimmt und sich auf seine Bedürfnisse und Interessen einläßt, d.h. ihn nicht bloss als “Mittel zum Zweck” zur Verwirklichung der eigenen Ziele und Pläne begreift und instrumentatlisiert. Der andere wird als ein gleichwertiges Gegenüber angesehen, auf den man sich argumentativ einlassen muss, damit die gemeinsame Gestaltung des Lebens in friedlicher Abstimmung der Zwecke und Mittel gelingt, damit ein innerer sozialer Frieden entsteht.
Verständigungsorientiertes Handeln in diesem Sinne hat zwei wesentliche Merkmale, die es von dem anderen Handlungstypus, dem erfolgsorientierten Handeln, unterscheiden:
(1) Verständigungsorientiertes Handeln ist originär auf das Medium der Sprache angewiesen, verwirklicht sich nur durch Sprache. Es gibt keine anderen Medien der Koordination, mit deren Hilfe Argumentationen und die Überzeugungskraft guter Gründe entfaltet werden könnte.
Verständigungsorientiertes Handeln stellt deshalb den Ausgangspunkt, die Grundlage, für alle weiteren Überlegungen zur rationalen Koordination menschlichen Handelns dar.
Verständigungsorientiertes Handeln ist also die originäre Quelle von Vernunft und damit von Legitimation des Handelns. Es geht dem erfolgsorientierten Handeln immer voraus.
Verständigungsorientiertes Handeln impliziert ferner die Bereitschaft, eigene Interessen und Standpunkte gegebenenfalls - in Abhängigkeit von der Qualität der vorgetragenen und geprüften Argumente - zu revidieren. Es wird damit deutlich, dass verständigungsorientiertes Handeln auf den Konsens im Sinne der freien Zustimmung aller Betroffenen abstellt. Dieser freie Konsens ist es, der die friedliche Handlungskoordination so lange gewährleistet, wie die Gründe Gültigkeit haben, auf die man sich geeinigt hat.
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