vor allem in der historischen Schule und marxistischen Theorie gebräuchliche Bezeichnung für das Endstadium des Kapitalismus. Sie beruht auf der Vorstellung, dass Wirtschaftssysteme typische Entwicklungsphasen durchlaufen, z.B. ein Früh-, Hoch- und Spätstadium. Nach Werner Sombart, der in der historischen Entwicklung des Kapitalismus zunächst den Früh- oder Handelskapitalismus (15. Jh. bis Mitte des 18. Jh.) vom Hoch- oder Industriekapitalismus (ab 1760) unterscheidet, ist der Spätkapitalismus, beginnend etwa ab 1880, durch umfassende nationale und internationale Wettbewerbsbeschränkungen und durch soziale Konflikte gekennzeichnet, ohne dass daraus allerdings Folgerungen für eine bestimmte Weiterentwicklung gezogen werden. Die in vielen Variationen vertretenen spätkapitalistischen Lehren des Marxismus sind entstanden, nachdem der von Karl Marx zu seinen Lebzeiten erwartete Zusammenbruch des Kapitalismus ausgeblieben war, dieser sich vielmehr sowohl in sozialer als auch wirtschaftlich-technischer Hinsicht als ausserordentlich wandlungsfähig und effizient erwies. Während Eugen Varga und andere Marxisten in den 20er Jahren die Stabilisierungsfähigkeit der Marktwirtschaft anerkannten und damit einen wesentlichen Bestandteil der Marx\'schen Lehre aufgaben, versuchen die orthodoxen Marxisten seitdem durch Einfügung von spätkapitalistischen Zwischenstufen (Imperialismus, Stamokap) das Weiterbestehen des Kapitalismus in prinzipieller Übereinstimmung mit dem Marx\'schen Entwickungsschema zu erklären. Erwartet wird aber nur eine Verlängerung der Kette der sich verschärfenden ökonomischen Krisen, die schliesslich doch zu seinem Zusammenbruch führen. Dagegen werden in neueren, ebenfalls marxistisch orientierten Spätkapitalismustheorien die Ursachen des Zusammenbruchs in Legitimationsdefiziten des politischen Systems gesehen. So meinen Curt Offe und Jürgen Haber-. mas, dass der Staat mit wachsender Beanspruchung seiner Leistungskapazität für die Marktstabilisierung seinen Verpflichtungen zur Bereitstellung von Kollektivgütern nicht mehr gerecht werden könne. Dafür werde er von den Wählern haftbar gemacht, wobei ein massenhafter Entzug der Wählerloyalität nicht ausgeschlossen sei. Dadurch verlagerten sich die aus dem kapitalistischen -Produktionsverhältnis gefolgerten Grundwidersprüche und Zerfallserscheinungen vom wirtschaftlichen in das politische System. Wann es zum Umschlag in den Sozialismus kommt, bleibt allerdings offen. Von der "Neuen Linken" wird, vor allem im Anschluss an Herbert Marcuse, der Kapitalismus zwar als stabilisierungsfähig angesehen, allerdings nur um den Preis einer unverantwortlichen Verschwendung in einer von der kapitalistischen Überflussgesellschaft künstlich erzeugten Welt "falscher Bedürfnisse". Diese und vielfältige Erscheinungsformen einer verschwenderischen Produktion werden als Instrument der kapitalistischen Repression moralisch verurteilt. Um das Fernziel der Menschheit — ein Leben ohne Elend, ohne Unterdrückung, ohne Armut, ja sogar ohne lebensnotwendige Arbeit — zu erreichen, ist nach Marcuse der Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung als Nahziel zu verwirklichen. Die dazu notwendige revolutionäre Stimmung ist nach Marcuse durch gezielte (propagandistische) Beseitigung von Zufriedenheit mit den Mitteln der "Erziehungsdiktatur" zu erzeugen. Die am Marxismus-Leninismus orientierten Lehren des Spätkapitalismus sind von dem Versuch bestimmt, die offensichtliche Irrealität des Marx\'schen Denkschemas durch Ad-hoc-Hypothesen zu kaschieren. Gemessen werden dabei die Leistungen der Marktwirtschaften des 20. Jh., die in vieler Hinsicht äusserst eindrucksvoll sind, an fiktiven unerreichbaren Standards. Literatur: Watrin, Chr., Spätkapitalismus?, in: Scheuch, E. K. (Hrsg.), Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft, Köln 1968, S. 40 ff. Leipold, H., Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme im Vergleich, 5. Aufl., Stuttgart, New York 1988, S. 129 ff.
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