stellt auf die Tatsache ab, dass in den modernen Industriegesellschaften des Westens der Mensch nicht nur als einzelner Stimmbürger im Staat politisch integriert wird, sondern dies häufig auch, wenn auch nicht immer, über seine Mitgliedschaft in vielzähligen und vielfältigen nichtstaatlichen Zusammenschlüssen. (Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Industriellenvereinigungen, Kirchen usw.), in sog. Interessengruppen, geschieht. Diese als Verbandspluralismus angesprochene Erscheinung wird als verbändestaatliche Entartung des demokratischen Staates gescholten, als Konkordanzdemokratie gepriesen, im Ordnungsmodell des Korporatismus erörtert. Die liberal-individualistische Demokratie geht, ihrem Konstruktionsprinzip entsprechend, davon aus, dass der Mensch als einzelner über die in der Verfassung kodifizierten Verfahren der Willensbildung seine Vorstellungen über die im Staat zu befriedigenden Bedürfnisse einbringt; demgegenüber stellen Modell und Praxis des Verbandspluralismus darauf ab, dass der einzelne Träger bestimmter Bedürfnisse sich mit anderen Gleichempfindenden in Gruppen zusammenschliesst und diese Gruppen als Kollektivaktoren in den politischen Willensbildungsprozess intervenieren. Im Ergebnis bedeutet dies: Das Individuum, das in der liberalen Demokratie aus der Einheit seiner Person in der Rolle des Bürgers die Politik mitgestaltet, zerfällt in eine Vielzahl vielfältiger Bedürfnisse, die — institutionell-organisatorisch verselbständigt — als Interessengruppen die politische Willensbildung zu beeinflussen suchen; der als Individualaktor auftretende Bürger wird verdrängt durch die als Kollektivaktor agierende Interessengruppe. Die Rechtfertigung des Verbandspluralismus baut auf dem Argument auf, dass auf diese Weise der Mensch mit seinen verschiedenen Bedürfnissen in den einzelnen Interessengruppen eine diesen Bedürfnissen entsprechende soziale Behausung findet, dies in um so höherem Masse, als diese Gruppen in ihrer Zusammensetzung homogen sind. Darüber hinaus — so das Argument — erlaubt es der Verbandspluralismus, dass die einzelnen Gruppen im Verhandlungswege freiwillige Vereinbarungen schliessen, mit der Folge, dass das gute Einvernehmen und die Konkordanz dort herrschen, wo in der parlamentarischen. Demokratie das Herrschafts- und Zwangsinstrumentarium des Staates in Aktion treten muss. Der Verbandspluralismus soll — seinem Konstruktionsprinzip entsprechend — die soziale Geborgenheit des Menschen und die gesellschaftliche Harmonie sicherstellen. Gegen den Verbandspluralismus als gesellschaftspolitisches Ordnungskonzept wird eingewendet: Mit steigender (sinkender) gruppeninterner Homogenität wächst (sinkt) die Heterogenität der Gruppen untereinander; die Folge ist, dass die Konflikte, die innerhalb der Verbände (zwischen den Verbänden) vermieden werden können, zwischen (in) den Verbänden ausgetragen werden müssen. Der Verbandspluralismus erlaubt also nicht eine Reduzierung des gesellschaftlichen Konfliktpotentials, er führt lediglich zu seiner Verschiebung. Dies aber heisst: In dem Masse, wie die Harmonie und Geborgenheit in den Verbänden erreicht werden, sind die Harmonie und die Konkordanz zwischen den Verbänden in Frage gestellt. Weiter wird kritisch gegen den Verbandspluralismus angemerkt, dass die in Verbänden organisierten Interessen versucht sein mögen, sich auf Kosten jener Interessen zu einigen, die nicht organisiert sind, es sei denn, dass sie es vorziehen, in Leerformeln nur dem Schein nach Vereinbarungen zu treffen. Besonders bedenklich sind Vereinbarungen zwischen. Verbänden dann, wenn sie zu Lasten des allgemeinen, aber nicht organisierten Interesses an wirtschaftlicher Entwicklung gehen; in diesem Fall konzentriert sich die Gesellschaftspolitik auf Verteilungsprobleme unter Vernachlässigung von Allokations-, Stabilisationsund Wachstumsfragen. In dem Masse, wie im Verbandspluralismus der Distributionsaspekt dominiert, tendiert das menschliche Zusammenleben in der Gesellschaft dazu, zu einem Nullsummenspiel zu werden, in dem die eine Seite nur gewinnen kann, wenn und was die andere Seite verliert. Es muss befürchtet werden, dass auf die Dauer das gute Einvernehmen verfehlt wird oder doch nur scheinbar existiert, in Wirklichkeit aber eine ungeregelte, oft verborgene Auseinandersetzung stattfindet. Die diesbezügliche Schwachstelle des Verbandspluralismus zeigt sich auch daran, dass es bislang nicht gelungen ist, eine allgemeine und umfassende Regelung der konfligierenden Beziehungen zwischen den Interessengruppen zu schaffen. Dies ist insofern besonders bedenklich, als der Staat und seine Organe in den Verteilungskampf zwischen den organisierten Interessen hineingezogen werden, mit der Folge, dass es dem Staat zunehmend schwerer fällt, den Schutz der Nichtorganisierten wahrzunehmen. Auch wird er aus einer Ordnungsinstanz zu einer Umverteilungsagentur im Dienste der politisch mächtigen, weil organisierten Interessen. Wohlfahrtsstaat und Verbändestaat bezeichnen zwei Aspekte ein und desselben Beziehungszusammenhangs. Die Versuche, auf freiwilliger Basis, etwa als Konzertierte Aktion, den interverbandlichen Beziehungen einen Regelrahmen zu geben, haben sich als nur beschränkt erfolgversprechend erwiesen. Es ist kein Zufall, dass die ideologischen Grundlagen des verbandspluralistischen Ordnungskonzeptes, wie sie sich etwa im Korporatismus darstellen, den Konflikt selbst mit dem Hinweis auf ein über allen Partikularinteressen stehendes Gemeinwohl negieren und insofern auch allen damit zusammenhängenden Fragen aus dem Weg gehen.
Literatur: v. Aleman, U. (Hrsg.), Neokorporatismus, Frankfurt a.M., New York 1981. Kirsch, G., Neue Politische Ökonomie, 2. Aufl., Düsseldorf 1983. Olson, M., The Rise and Decline of Nations, New Haven, London 1982.
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