Die Interaktionstheorie deutet Führerschaft als einen Prozess der sozialen Beeinflussung. Sie betrachtet Führungsverhalten nicht ausschließlich als persönlicheitsbestimmt, wie das der Eigenschaftsansatz tat, sondern auch als abhängig von äußeren Ursachen, d.h. von Umwelteinflüssen. Das gilt sowohl für das Verhalten der Führungsperson wie für das Verhalten der Geführten.
Im Anschluss an Kurt Lewins Feldtheorie ist Verhalten eine Funktion der Interaktion von Person (bzw. deren Persönlichkeitsmerkmalen) und Umwelt:
V = f (P,U).
Als Umwelt sind dabei solche externen Faktoren definiert, die eine Person als auf Verhaltensbestimmung ausgerichtete Informationen erreichen. In der Vielzahl von Umweltfaktoren sind die sozialen Einflüsse besonders wichtig, d.h. jene Verhaltensdeterminanten, die in der sozialen Umwelt der betrachteten Person ihren Ursprung haben. Man spricht nur in folgenden Fällen von Führungsverhalten:
(1) Wenn der Beeinflussende über ein gewisses Sanktionspotential und einen Informationsvorsprung verfügt: Es liegt eine asymmetrische Verteilung der Einflußchancen vor. In hierarchischen Organisationen ist diese Asymmetrie zugunsten des formellen Führers strukturell verankert. Durch vertragliche Bindungen wie auch durch Belohnungs- und Bestrafungspotentiale, Belohnungsmacht, läßt sich das Obergewicht der Führungskraft dauerhaft sichern.
(2) Wenn der Einflußversuch zur Wahrnehmung von Funktionen unternommen wird, die für die Existenz des sozialen Systems wichtig sind (z.B. Integration, Zielerreichung, Wandel).
Wenn der Einflußversuch in einer direkten sozialen Beziehung unternommen wird: Soziale Einflußversuche von Medien oder von Personen, die keine unmittelbare Beziehung zu den Beeinflußten haben, wären demnach nicht als Führungsverhalten einzustufen.
Von Führungsverhalten wird auch dann gesprochen, wenn der Einflußversuch erfolglos endet, der Beeinflußte also sein Verhalten nicht in der intendierten Weise ausrichtet. Führung bzw. Führerschaft ist mithin der Prozess einer asymmetrischen und direkten sozialen Beziehung, der durch einen intendierten Elnflußversuch zur Wahrnehmung systemrelevanter Funktionen gekennzeichnet ist. Löst man die Führerschaft ab von der formalen Zuweisung in einer Organisation, dann kann hiernach potentiell jedes Individuum in einer Gruppe als Führer in diesem Sinne wirken.
Der so verstandene Führungsprozess im Interaktionsgefüge von Person und Umwelt läßt sich in folgenden vier Grundvariablen umreißen:
(1) Persönlichkeit des Beeinflussers: seine Bedürfnisse, Einstellungen und Erfahrungen;
(2) Persönlichkeit des (der) Beeinflußten: seine (ihre) Bedürfnisse, Einstellungen und Erwartungen;
(3) Struktureigenschaften des sozialen Systems, in dem der Einflußversuch abläuft: Rollenstruktur, - Statusstruktur, Kohäsionsgrad, Konformitätsgrad etc.;
(4) unmittelbare Situation, innerhalb der der Beeinflussungsversuch unternommen wird: Art der Aufgabe, äußere Bedingungen, gesetzte Ziele der Gruppe etc.
Die Analyse des Einflußprozesses gibt zugleich Antworten auf die Frage, unter welchen Bedingungen ein Einflußversuch erfolgreich oder erfolglos sein wird. Generell gilt: Je mehr das Ziel, dem die Beeinflussung dienen soll, und das gewünschte Verhalten den Zielen des Beeinflußten entgegenkommt bzw. seiner Bedürfnisbefriedigung in instrumenteller Weise dienlich ist (Zielkongruenz) und über je mehr Einflußpotentiale der Beeinflusser verfügt, um so eher wird der Beeinflußte dem Einflußversuch stattgeben und umgekehrt.
Weiterhin gilt: Je weniger die Ziele des Beeinflußten mit dem Ziel der Beeinflussung und dem gewünschten Verhalten konform gehen bzw. je weniger sich diese als geeignet erweisen, die Bedürfnisbefriedigungssituation zu verbessern, um so größer müssen die Einflußpotentiale sein, wenn der Einflußversuch dennoch erfolgreich enden soll.
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