Lehre von den "gesellschaftlichen Voraussetzungen, Erscheinungsweisen und Auswirkungen der Produktion von Gütern und Dienstleistungen unter den Bedingungen des Industrialisierungsprozesses in seinen verschiedenen Phasen" (Friedrich Fürstenberg, 1981, S. 217). Die Industriesoziologie wird vielfach gleichzeitig als "Industrie- und Arbeitssoziologie" ( Arbeitssoziologie) verstanden, denn wesentliche Aspekte der modernen Arbeitswelt sind durch den Prozess der Industrialisierung geprägt. Auch ist häufig von "Industrie- und Betriebssoziologie" (Betriebssoziologie) die Rede, denn der Industriebetrieb ist der Prototyp soziologischen Denkens. Im engeren Sinn befasst sich die Industriesoziologie mit den durch den Industrialisierungsprozess veränderten Lebensbedingungen arbeitender Menschen, mit Strategien der - insb. verbandsmässig institutionalisierten - Interessenvertretung im Rahmen des industriellen Konflikts, ferner mit den durch neue industrielle Produktionsweisen im Rahmen neuer Technologien ( Technikfolgen) geschaffenen Veränderungen der Gesellschaft im Hinblick auf historische und sozialpolitische Strukturen. Im internationalen Bereich besteht starke Affinität zur Entwicklungsländerproblematik; auch finden sich zum Thema industrial relations zahlreiche Möglichkeiten des interkulturellen Vergleichs. Schliesslich thematisiert die Industriesoziologie die Frage, ob und in welchem Umfang fortgeschrittene Gesellschaften heute und künftig durch den Primat industrieller Fertigung weiter bestimmt werden ( postindustrielle Gesellschaft). Während die Industriesoziologie in den USA relativ pragmatisch ausgerichtet ist und insofern in erheblichem Masse auch zur Lösung praktischer Probleme beiträgt, ist die europäische Diskussion vorherrschend sozialkritisch und sozialreformerisch gewesen. Ihre Entwicklung wurde in starkem Masse durch die gesellschaftspolitische Diskussion der Klassenproblematik (Arbeit versus Kapital) geprägt und stand ferner im Bannkreis der Auswirkungen neuer Produktionsverfahren im Rahmen fortschreitender Arbeitsteilung und Rationalisierung durch neue Produktionsverfahren und Technologien. Die hierbei thematisierten Veränderungen sozialer Strukturen und Verhaltensweisen sind heute besonders deutlich an den möglichen (erwünschten und unerwünschten) Auswirkungen der Mikroelektronik sichtbar. Eine wichtige Leitlinie dieser neueren Diskussion sind Entwicklungstendenzen, die dem tayloristischen Prinzip der Rationalisierung im Sinne immer weitergehender Arbeitsteilung entgegenlaufen. Diese Vorstellung berührt sich mit Untersuchungen von Kern und Schumann, die unter veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen in verschiedenen Industriezweigen das Aufkommen "neuer Produktionskonzepte" beobachtet haben, die als "neuer Rationalisierungstyp" Handlungsspielräume sowie den Zugriff zu systemischer, ganzheitlicher und autonomer Industriearbeit eröffnen könnten. Diese neue Perspektive berührt sich mit sogenannten "dynamischen Ansätzen" in der Industriesoziologie, die den "ehernen Determinismus" von Systemzwängen und Strukturgesetzlichkeiten in industriellen Arbeitsabläufen in Frage stellen. Mit diesen Konzepten befreit sich die industriesoziologische Diskussion zunehmend von marxistischen Denktraditionen. Deren einseitige Perspektive verlor an Bedeutung in dem Masse, in dem erkannt wurde, dass die klassische Konfliktlinie Kapital versus Arbeit nicht das einzige Konfliktpotential von Industriegesellschaften darstellt, so dass marxistische Ansätze immer weniger "greifen". Auch zeigt sich angesichts der rapiden Veränderung industrieller Strukturen ( sozialer Wandel, Modernisierung), dass alte Themenstellungen (z.B. Arbeiterbewusstsein, Klassenlage, Voraussetzungen, Verlauf und Konsequenzen der Industrialisierung, die Entwicklungsländerproblematik usw.) an Bedeutung verlieren und von neuen Themenkreisen abgelöst werden (z.B. Technikfolgen, Arbeitslosigkeit, Humanisierung der Arbeitswelt, Ökonomie versus Ökologie usw.). Literatur: Fürstenberg, Fi (Hrsg.), Industriesoziologie, Band I—III, Darmstadt, Neuwied 1959-1975. Miller, D. C.¡Form, W H., Industrial Sociology, 3. Aufl., New York 1980.
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