Die Retrograde Terminierung wurde insbesondere für die Werkstattfertigung mit stark diskontinuierlichem Materialfluss und vernetzter Produktionsstruktur (Vorfertigung plus Montage), wie beispielsweise im Maschinenbau zu finden, entwickelt. Aufgrund der stark unterschiedlichen auftragsspezifischen Arbeitsinhalte auf den Stufen, die bei kundenindividueller Fertigung teilweise vorab nur grob bekannt sind, streuen die Auftragsdurchlaufzeiten (Durchlaufzeit) erheblich. Daher werden im Rahmen der zentralen Grobsteuerung lediglich rahmengebende zeitliche Eckdaten für die Fertigung vorgegeben sowie Vorschläge für die Auftragsreihenfolge unterbreitet und Kapazitäten grundsätzlich zugeordnet. Diese Vorgaben beziehen sich auf vorab zu definierende Steuereinheiten, die aus einem oder mehreren Arbeitsplätzen bestehen können. Innerhalb dieser Einheiten ist dann auf der Basis des Rahmenplans dezentral eine Feinterminierung vorzunehmen. Die RT unterstellt i. d. Retrograde Terminierung (RT) ein eintägiges Zeitraster für die Terminierung, wobei alle aktuellen Aufträge in die Planung einbezogen werden. Nach einer oder mehreren Periode(n) wird die Planung auf Basis der jeweils aktuellen Informationen wiederholt (rollierende Planung). Unter den Annahmen periodenweise fixer Kapazitäten sowie Ausschluss paralleler Auftragsbearbeitungen in den Einheiten ist die Vorgehensweise der RT wie folgt: a) Wunschterminierung: Ausgehend vom vereinbarten Liefertermin wird jeder Auftrag retrograd so terminiert, dass Lager und Verzugszeiten möglichst völlig vermieden werden. Dabei wird die Konkurrenz um Kapazitäten ignoriert, so dass sich i. d. Retrograde Terminierung (RT) kein zulässiger Belegungsplan ergibt. b) Aufstellen eines zulässigen Belegungsplans: Durchlaufen alle Aufträge die Stationen in derselben Reihenfolge (identical routing), so ist es sinnvoll, auf jeder Stufe dieselbe Reihenfolge der Aufträge einzuplanen. Bei unterschiedlichen Maschinenfolgen (different routing) wären Prioritätsregeln zur Ermittlung der stufenweisen Reihenfolgen vorzusehen. Die RT präferiert hier Aufträge mit dem frühesten Wunschstarttermin; es können aber auch andere Regeln (z. B. Kürzeste Operationszeit oder First Come First erved) verwendet werden. So werden beginnend mit dem frühesten Verfügbarkeitszeitpunkt der Stationen nach und nach alle Aufträge so früh wie möglich eingeplant. Hieraus resultiert eine zumeist gute Kapazitätsauslastung, da nur geringe Stillstandszeiten der Stationen zwischen den Aufträgen auftreten. c) Mo f kation des Belegungsplans: Da die in der zweite Phase eingeplanten Aufträge u. U. deutlich vor dem Liefertermin fertig gestellt sein würden und die terminliche Koordination noch zu wünschen übrig lässt, erfolgt eine Modifikation des Plans. Die Belegungszeiten werden in Richtung auf die Liefertermine verlegt, so dass sich ein zeitlich mehr gestreckter Belegungsplan ergibt. Hierdurch reduzieren sich die auftragsbezogenen Lagerzeiten; gleichzeitig erhöhen sich jedoch die Stillstandzeiten zwischen den Auftragsbearbeitungen. d) Erneute Modifikationen durch Rückkopplung: Aufträge, für die sich Lieferverspätungen aufgrund des ermittelten Belegungsplans ergeben haben, können aus dem Plan gelöscht und erneut disponiert werden. Dabei wird versucht, die Stillstandzeiten zwischen den Aufträgen auszunutzen. Es sind mehrere Modifikationsläufe möglich.
Die RT wurde um die Problemstellung variierender Kapazitäten erweitert. Hierbei geht es in erster Linie um die Zuordnung von Personal zu Betriebsmitteln (Produktionsfaktoren) sowie um die anzunehmende Produktivität bzw. Effizienz der Mitarbeiter. Über die (periodengenaue) Personalzuordnung können somit die Kapazität im Zeitablauf dynamisch verändert und damit Kapazitätsanpassungsmaßnahmen durchgeführt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, an welchen Arbeitsplätzen bzw. Maschinen die einzelnen Mitarbeiter eingesetzt werden können und wie produktiv sie dort sind. Zudem werden Kapazitätszuweisungen in Abhängigkeit von der Dringlichkeit der in den Stationen wartenden Aufträge vorgenommen. Da bei der Reihenfolgebestimmung und Personalzuordnung im Rahmen der RT in Heuristiken formuliertes Erfahrungswissen zum Einsatz kommt, wird untersucht, ob das Verfahren durch den Einsatz von Regeln, die auf der Theorie der unscharfen Mengen (a. Fuzzy et Theorie) basieren, weiter verbessert werden kann.
Die Retrograde Terminierung stellt ein von Adam entwickeltes Verfahren der Fertigungssteuerung dar, das auf so genannte Steuereinheiten Bezug nimmt, sowohl zentrale als auch dezentrale Planungskomponenten enthält und — insbesondere im Bereich der Werkstattfertigung und bei vernetzten Produktionsstrukturen — anderen Konzepten im Hinblick auf Zielgrössen wie die Kapazitätsauslastung, Auftragsdurchlaufzeiten oder Liefertermineinhaltung (Ablaufplanung, Produktion) überlegen ist. Siehe auch Produktionsplanung und -steuerung und die dort angegebene Literatur.
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