ein vom Institut für Konsum- und Verhaltensforschung der Universität des Saarlandes entwickeltes komplexes Computersystem zur Entwicklung und Kontrolle von Werbung. Dieses System setzt künstliche Intelligenz in Form von mehreren interaktiven Expertensystemen ein, um praktische Probleme der Werbekreativität und der Werbebeurteilung zu lösen. CAAS umfaßt die in Abb. 1 wiedergegebenen Teilsysteme. Das erste Teilsystem hat die Aufgabe, Entwürfe für die Werbung oder bereits eingesetzte Werbung zu beurteilen. Das Ergebnis besteht in einer Gesamtbewertung der Werbung und in einer Diagnose, welche die Schwächen und Stärken der getesteten Werbung sichtbar macht. Die Arbeit mit diesem Expertensystem wird ergänzt durch eine Datenbank, die solche Daten speichert, die zur Beurteilung der Werbung benötigt werden (wie Anzeigen oder Budgets der Konkurrenz). Eine weitere Ergänzung besteht in einem computergestützten Marktforschungssystem. Dieses liefert Daten, die zur Werbediagnose einzusetzen sind, z.B. Ergebnisse einer Bildschirmbefragung. Das zweite Teilsystem dient dazu, die Kreativen beim Suchen nach neuen Ideen und Bildern für die Werbung zu unterstützen und sie bei der Gestaltung von wirksamen Bildern anzuleiten. Die Arbeit mit diesem System wird durch eine Bildbank und durch ein Bildverarbeitungssystem ergänzt: Diese Computersysteme ermöglichen es, visuelle Vorlagen (Bilder, Anzeigen, Storyboards) zu speichern und fast beliebig zu verändern. Die Teilsysteme können interaktiv eingesetzt werden: So kann z.B. mit dem Beurteilungssystem eine Anzeige analysiert werden wie eine Apple-Anzeige . Der Computer erstellt dazu einen Ausdruck, aus dem die Schwächen dieser Werbung hervorgehen. Aufgrund einer solchen Diagnose kann die ursprüngliche Anzeige so verändert werden, dass die Schwächen ausgeglichen werden. Dazu werden mit Hilfe des Bildverarbeitungs- systems mehrere Alternativen erstellt, die dann wieder neu getestet werden können. Üblicherweise wird diese Arbeit am Bildverarbeitungssystem von einem anderen (kreativen) Benutzer als demBenutzer ausgeführt, der das Beurteilungssystem bedient. Sollte das vorhandene Bild für den Werbezweck nicht geeignet sein, z. B. weil es eine zu geringe Aktivierungskraft hat oder zu wenig über die Werbebotschaft aussagt, kann nach der Diagnose das Suchsystem eingesetzt werden, um neue Bildkonzepte oder ein neues Bild für die getestete Werbung zu finden. Dieses Suchsystem kann aber auch am Anfang der Systeminteraktion stehen und (bei der strategischen Entwicklung von Werbung) zunächst einmal dazu benutzt werden, eine neue Werbekonzeption zu entwickeln, die später mit Hilfe des Beurteilungssystems beurteilt wird. Alle hier beschriebenen Teilsysteme arbeiten bereits bis auf das Suchsystem, für das ein Prototyp vorliegt. Die Interaktion der verschiedenen Teilsysteme läßt noch viele, teils technische, teils organisatorische Fragen offen. Die Beurteilung der Werbemittel ist hierarchisch aufgebaut: Der Benutzer kann bei der Anzeigenbeurteilung zwischen einer strategisch orientierten Grobdiagnose, einer Anzeigenbeurteilung bei zwei Sekunden Betrachtungszeit und einer genaueren Beurteilung bei längerer Betrachtungszeit (bis 10 Sekunden) wählen. Die Beurteilung läuft wie folgt ab: Der Benutzer gibt das Werbeziel an und macht am Bildschirm Angaben über die Bedingungen, unterdenendas Werbemittel eingesetzt wird (z. B. über das Empfängerinvol- vement), sowie über die Beschaffenheit des Werbemittels. Der Computer setzt diese Angaben zu demExpertenwissen über Werbung in Beziehung, aas in seiner Wissensbasis (Expertensysteme) gespeichert ist; er zieht dann Folgerungen über die Werbewirksamkeit, die er ausdruckt (Beispiel Abb. 3). Allein die strategische Werbebeurteilung baut auf rd. 300 Werbewirkungsregeln (ohne Steuerungsregeln) auf. Diese Regeln können laufend ergänzt und speziellen Firmenansprüchen angepaßt werden. Das Suchsystem hat die Aufgabe, kreative Werbeleute beim Suchen nach neuen Bildideen - insbes. für die erlebnisbetonte Werbung- zu unterstützen. Für dieses Computersystem mußte zunächst eine Systemphilosophie entwickelt werden: (1.) Kreativität ist auf ein Input an Ideen angewiesen, denn sie besteht zu einem großen Teil aus einer neuen Interpretation, Verknüpfung und Weiterentwicklung von Ideen. Das System liefert deswegen dem Kreativen zahlreiche Bildkonzepte, an die er selbst nicht denkt: Es liefert Material für den kreativen Prozeß. (2.) Kreativität ist ein offener, keineswegs geradlinig, sondern in gedanklichen Sequenzen und Schleifen verlaufender Prozeß. Das Computersystem bietet deswegen keine fertigen Lösungen, es zeigt vielmehr Lösungswege für den Kreativen auf. (3.) Kreativität soll in der Werbung nicht zu ungebundenen, frei künstlerischen Ergebnissen führen, sondern zu Bildvorschlägen, die den Ansprüchen wirksamer Bildgestaltung genügen. Das System vermittelt deswegen Anregungen zur psychologisch wirksamen Auswahl und Gestaltung von Bildern. Die Wissensbasis dieses Teilsystems ist auf diese heuristischen Erfordernisse ausgerichtet. Sie ist äußerst komplex aufgebaut, so dass hier einige Hinweise genügen müssen: Als Input für den kreativen Suchprozeß liefert das System Tausende von Bildkonzepten. Der Benutzer gibt z. B. die gewünschte Position einer Marke mit Hilfe von Schlüsselbegriffen wie, „frisch und belebend“, ein. Darauf reagiert das System mit einigen Bildideen, wie „Gebirgsbach, bunte Blumen, Blätter im Wind“ usw. Nun ist der Kreative am Zuge und gibt weitere Bildideen ein. Wenn seine Vorstellungskraft nachläßt, vermittelt ihm das System wieder neue Ideen. Alle im Wissensspeicher vorhandenen Bildideen wurden durch eine Befragung nach den bildlichen Primärassoziationen zu den Schlüsselbegriffen gewonnen. Das ist deswegen erforderlich, damit die entwickelten Bilder tatsächlich die emotionalen Schemata der Umworbenen treffen. Das System trägt dazu bei, dass das Ergebnis nicht klischeehaft wird, sondern auf ein unterscheidbares eigenständiges Bild hinarbeitet. (Dazu werden sozialtechnische Regeln vermittelt, wie man nicht austauschbare Bilder gestaltet). Damit die Konzepte kreativ verarbeitet, d. h. neu verknüpft und interpretiert werden können, leitet das System den Kreativen dazu an, einen morphologischen Kasten zu benutzen (Morphologie). In einem letzten Schritt werden schließlich Regeln vermittelt, die dazu dienen, von den Bildideen zu fertigen wirksamen Bildern zu kommen. Die computergestützten Werbesysteme CAAS werden im nächsten Jahrzehnt zu einer neuen Aufgabenteilung in der Werbung und zu neuen Organisationsstrukturen in den Agenturen führen.
Literatur: Esch, F.-R., Expertensystem zur Beurteilung von Anzeigenwerbung, Heidelberg 1990. Esch, F.-R.; Muffler, T., Expertensysteme im Marketing, in: MARKETING. ZFP, Heft 3 (1989), 11. Jg., S. 145-152. Hanser, P., Was leisten Expertensysteme im Marketing? in: absatzwirtschaft (1989), Heft 12, S. 3919. Neibecker, B., Werbewirkungsanalyse mit Expertensystemen, Heidelberg 1990.
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