Ethik in der Marktforschung befaßt sich mit der Frage, inwieweit Ziele undMethoden der Marktforschung vor dem Flintergrund allgemein anerkannter moralischer Werte akzeptiert werden können. Betroffen ist in erster Linie die kommerzielle Marktforschung (Marktforschungsinstitute sowie betriebliche Marktforschung), aber auch die akademisch-wissenschaftliche empirische Marketingforschung. Marktforschungsethik kann als Teilbereich der Marketingethik angesehen werden und nahm wie diese ihren wissenschaftlichen Anfang in der Debatte um den Verbraucherschutz und die soziale Verantwortung unternehmerischen Handelns zu Beginn der 70er Jahre. Mit dem verstärkten Einsatz verhaltenswissenschaftlicher Methoden (insbes. Experimente) in der Marktforschung erhält die Marktforschungsethik aber auch starke Impulse aus traditionell empirisch arbeitenden Disziplinen wie der Psychologie und Soziologie. 1) Ziele der Marktforschung unter ethischen Gesichtspunkten Hier sind die Erkenntnis- und Verwertungsinteressen kommerzieller Marktforschung angesprochen, in analoger Weise auch die der wissenschaftlichen Marketingforschung. Kommerzielle Marktforschung wird im Interesse von Anbietern betrieben und greift insofern immer nur ausgewählte Fragestellungen auf, beleuchtet nur ganz bestimmte, für das Anbietermarketing praktisch umsetzbare Aspekte des Nachfragerverhaltens: Marktforschung als „Hörrohr“ der Unternehmen und weniger als „Sprachrohr“ der Verbraucher. Deshalb bleiben oft uninteressante Zielgruppen ebenso ausgeblendet wie Bedürfnisse ohne ausreichende Kaufkraft oder solche, die nicht durch ökonomische Güter über den Markt befriedigt werden können. Ein weiteres ethisch bedeutsames Problem liegt darin, dass sich Unternehmen mittels Marktforschung im Verhalten und speziell in der Psyche von Verbrauchern oft besser auskennen als diese selbst. Daran knüpft sich die Forderung, die Marktforschung solle gerade mit solchen Erkenntnissen verantwortungsvoll umgehen und diese nicht zur psychologisch geschickten Ausnutzung für problematische Marketingkonzepte und -maßnah- men bereitstellen. 2) Durchführung der Marktforschung unter ethischen Gesichtspunkten Weitere ethisch bedeutsame Fragestellungen ergeben sich unter Beachtung der an der Durchführung von Marktforschungsstudien beteiligten Personenkreise in der Beziehung zwischen Forscher und Auftraggeber sowie zwischen Forscher und Untersuchungspersonen. Einige der hier diskutierten ethischen Verpflichtungen haben schon seit längerem auf der Ebene von Berufsverbänden in Verhaltenskodizes Niederschlag gefunden. Über solche unverbindlichen Moralappelle hinaus sind ethische Verpflichtungen der Marktforschung z. T. aber auch in Gesetzesform gefaßt, so beispielsweise der Schutz der Anonymität von Untersuchungspersonen (Datenschutz im Marketing). Unter den Verhaltenskodizes kommt die größte Bedeutung dem „Internationalem Kodex für die Praxis der Markt- und Sozialforschung“ (Stand: Januar 1986) zu, den die beiden deutschen Marktforschungsverbände ADM und BVM mit zusätzlichen Klarstellungen förmlich angenommen haben. Er wurde mit Unterstützung der Internationalen Handelskammer von der europäischen Gesellschaft für Meinungs- und Marketing-Forschung (ESOMAR) entwickelt. a) Ethische Probleme zwischen Forscher und Auftraggeber Betroffen sind hier typischerweise Marktforschungsinstitute. Im E. S. O. M. A. R. -Kodex finden sich diesbezüglich lediglich schlichte Grundsätze eines fairen Umgangs zwischen Geschäftspartnern, wie sie in jedem Vertrag stehen könnten: - Das Datenmaterial von Marktforschungsstudien sowie die daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen und Interpretationen sollen ausschließlich dem Auftraggeber zugänglich sein. - Das Marktforschungsinstitut soll die Anonymität seiner Auftraggeber wahren. Aus der Literatur zur Marktforschungsethik lassen sich darüberhinaus beispielsweise folgende ethischen Forderungen benennen: - Marktforschungsinstitute sollen keine Aufträge für solche Bereiche annehmen, für die bereits qualifizierte Studien vorliegen, die den gleichen Zweck erfüllen. - Die gleichzeitige Durchführung von Studien für miteinander in Konkurrenz stehende Auftraggeber soll vermieden werden, da sonst die Vertrauensposition zwischen Institut und Auftraggeber gefährdet sein könnte. - Die gewonnenen Untersuchungsergebnisse sollen in objektiver Form präsentiert werden. Mögliche Schwachstellen einer Studie (z. B. hinsichtlich Validität und Reliabilität) sollen offengelegt werden, um schwerwiegende Fehlentscheidungen auf der Grundlage der gewonnenen Ergebnisse zu vermeiden. a) Ethische Probleme zwischen Forscher und Untersuchungspersonen Gravierendere ethische Fragestellungen bestehen in der Beziehung zwischen Marktforscher und Verbrauchern (Bürgern) als Untersuchungspersonen. Sie entstehen in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses, nämlich in der Auswahl von Untersuchungspersonen, im Einsatz der Erhebungsinstrumente und in der Auswertung gewonnener Daten, und sind z.T. ebenfalls in Kodices fixiert. Freiwilligkeit der Teilnahme Untersuchungspersonen können natürlich jederzeit die Mitarbeit an Marktforschungsuntersuchungen verweigern bzw. ihre Teilnahme vorzeitig beenden. Dieses Recht soll nicht durch entsprechendes Auftreten des Marktforschers bzw. Instituts verletzt werden. Das wäre der Fall, wenn potentielle Untersuchungspersonen nicht wissen und nicht darauf hingewiesen werden, dass sie ein Verweigerungsrecht haben. Häufiger dürfte allerdings der Fall sein, dass Untersuchungspersonen unzureichend oder gar nicht über die Ziele einer Marktforschungsstudie unterrichtet werden und ihre Teilnahmebereitschaft in Unkenntnis der Ziele erklären. Ethisch noch gravierender wäre schließlich der Fall, dass Untersuchungspersonen überhaupt keine Gelegenheit erhalten, sich zur Teilnahme zu entscheiden, weil sie ohne ihr Wissen dazu herangezogen werden - beispielsweise bei Beobachtungsverfahren in voll biotischer Situation. Bei derartigen heimlichen Messungen sollen deshalb die Teilnehmer unmittelbar danach informiert werden und Gelegenheit erhalten, die Ergebnisse, wenn sie es wünschen, zu löschen. Recht auf Information Vielfach wird also gefordert, Untersuchungspersonen über alle Aspekte einer Untersuchung zumindest nachträglich zu informieren (Recht auf Nachbesprechung). Außer über Untersuchungsziele und -ergeb- nisse sollen die Untersuchungspersonen hier insbes. über Täuschungen informiert werden. Täuschungen sind in der Marktforschung üblich und v. a. deshalb problematisch, weil sie Untersuchungsteilnehmer daran hindern, sich bewusst für oder gegen die Teilnahme zu entscheiden, und sie dazu bringen, mehrpreiszugeben, als sie eigentlich wollen. Beispiele finden sich insDes. in Methoden der psychologischen Marktforschung. Schutz vor psychischen Belastungen Umstritten ist auch die Frage, inwieweit Erhebungsmethoden der Marktforschung die Untersuchungsteilnehmer psychischen Streßsituationen aussetzen dürfen. In manchen Testverfahren ist gerade dies die Intention des Forschers, etwa im Bemühen um Herstellung einer realitätsnahen Entscheidungssituation unter Zeitdruck. Streß kann auch dadurch entstehen, dass die Untersuchungspersonen durch ein Interview unangenehme Dinge über sich selbst erfahren (beispielsweise mangelnde Preiskenntnis). Die genannten drei Problembereiche sind insbes. auch im Zusammenhang mit Experimenten von Bedeutung. Ist hier der Mensch in seiner Freiheit und Würde unvertretbar beeinträchtigt? Nimmt er in Experimenten eine nachgiebige und mechanistische Rolle ein, die einem demokratischen, humanen Menschenbild nicht mehr entspricht? Hat er noch Einfluß auf die Art der experimentellen Manipulation? Verschiedene neuartige Marktforschungsmethoden unter Einsatz modernster Technologien (etwa im Bereich der kombinierten Haushalts- und Scanner- panelforschung oder der Fernsehforschung) lassen den „gläsernen Konsumenten“ näherrücken. Seitens der kommerziellen wie teilweise auch wissenschaftlichen Forschung wird dies euphorisch begrüßt, in der Offentlichkeit hingegen, ob berechtigt oder nicht, zunehmend mit Unbehagen verfolgt. Anonymität Schließlich ist der Schutz der Anonymität personenbezogener Daten ein selbstverständliches und deshalb auch gesetzlich fixiertes Recht von Untersuchungsteilnehmern. Siehe dazu Datenschutz im Marketing.
Literatur: Blankenship, , Some Aspects of Ethics in Marketing Research, in: Journal of Marketing Research, Vol. 1 (1964), S. 26-31. Holländer, S., Ethicin Marketing Research, in: ferner, R., Handbook of Marketing Research, New York 1974, S. 1-107. Tybout, A. M.; Taltman, G., Ethik in der Marktforschung: Ihre praktische Relevanz, in: Marketing- und Verbraucherpolitik, Hansen, U.; Stauss, B.; Riemer, M., Stuttgart 1982, S. 118- 139.
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