Ausgangspunkt einer selektiven Lagerhaltung ist die Überlegung, dass nicht alle Güter in einem Logistiksystem (Marketing-Logistik) gleichartig behandelt werden können oder müssen. So unterscheiden sich diese Güter nach ihrem Lagerwert, Wert-Volu- men-Verhältnis, ihrer Haltbarkeit, ihrer Umschlagsgeschwindigkeit, der Prognosegenauigkeit ihrer Nachfrage und zuletzt ihrem Abnehmerwert. Letzterer bezeichnet den subjektiven Wert eines Produktes aus Sicht des Abnehmers, der bei auftretendem Bedarf insb. die Bedeutung der Verfügbarkeit (Lieferbereitschaft) des Gutes beeinflußt (Lieferservice). In Abhängigkeit von den im folgenden aufgeführten Kriterien werden Entscheidungen darüber gefällt, auf welcher Stufe, wo, wie zentral und in welcher Anzahl einzelne Produkte individuell unterschiedlich im Lagersystem vorgehalten werden sollen. (I) Umschlagsgeschwindigkeit, -häufigkeit: Sie bezeichnet die Anzahl von Einheiten eines Produkttyps, die in einer Periode umgeschlagen werden, bzw. eine bestimmte Stufe des Logistik-Systems durchlaufen. Sog. „Langsamdreher“ werden tendenziell zentral gelagert und nachfrageorientiert in gerin- en Stückzahlen distribuiert. „Schnelldre- er“ werden tendenziell spekulativ, d.h. prognoseorientiert distribuiert, d. h. auch dezentral in der Fläche gelagert. (I) Lagerwert: Er bezeichnet den in Geldeinheiten ausgedrückten Wert eines Produktes im Distributionssystem. Grundsätzlich wird angestrebt, nur Produkte auf niedrigem Wertschöpfungsniveau spekulativ zu lagern. Als Wertzuwachs werden dabei nicht nur das infolge Transformationsprozessen (zusätzlich) gebundene Kapital, sondern auch der Grad an Produktindividualisierung und der Grad an räumlicher Kundennähe interpretiert. Es wird angestrebt, die so verstandene Wertschöpfung erst so spät wie möglich zu realisieren, also erst bei Vorliegen konkreter Kundenaufträge. Ferner sollen höherwertige Produkte tendenziell zentral gelagert wer- den (Prinzip des postponement) (Just-in- Time-Logistik). (I) Speicherbarkeit, Haltbarkeit, Geschwindigkeit des ökonomischen Veralterns: Diese Kriteriengruppe trifft auf Frischcprodukte ebenso zu wie auf Tageszeitungen. Es liegt auf der Hand, dass i. a. S. zeitkritische Produkte im Distributionssystem anders ge- handhabt werden, als längerlebige Produkte. Hier bieten sich eher Zentrallagerkonzepte in Verbindung mit schnellen, flexiblen Transport- und Umschlagspunktsystemen an. (I) Prognosegenauigkeit: Entsprechend der Genauigkeit der Nachfrageschätzung können Produkte in solche mit regelmäßigen, saisonalen oder unregelmäßigen Nachfrageeigenschaften unterteilt werden (XYZ- Analyse). Während X und Y-Teile weitgehend prognoseorientiert distribuiert werden können (tendenziell dezentrale Lagerhaltung), werden Z-Teile auftragsorientiert distribuiert (tendenziell zentrale Lagerhaltung), wobei jedoch eine spekulative Lagerhaltung weitgehend vermieden wird. (I) Jahresverbrauchswert, Umsatzanteil: Nicht alle Produkte des Sortiments leisten den gleichen Beitrag zum Periodenumsatz. Eine nach bestimmten Kriterien (ABC- Analyse) erfolgte Klassifizierung des Sortiments gem. Jahresverbrauchswert ermöglicht eine differenzierte Distributionslogistik. So wird Produktgruppen mit hohem Umsatzanteil im Distributionssystem ein höheres Gewicht beigemessen. Sie werden sorgfältiger disponiert. Nachfrageausfälle infolge Fehlbestellungen sollen gerade hier peinlichst vermieden werden. Produktlebenszyklus.-ln der frühen Phase des Produktlebenszyklus ist die Verfügbarkeit von größerer Bedeutung als in der Reife- und Degenerationsphase. Daher kommt es eher zu dezentraler, spekulativer Lagerhaltung. Es gibt keine einheitliche Politik der selektiven Lagerhaltung für alle Unternehmen. Vielmehr unterscheiden sich Art und Umfang der selektiven Lagerhaltung von Unternehmen zu Unternehmen. Immer geht man jedoch von dem Grundgedanken aus, das Lagerhaltungssystem für eine zielgruppen- spezifische Marktbearbeitung auszulegen. Für die im Rahmen der UnternehmensStrategie festgelegten, segmentspezifischen Serviceniveaus gilt es dann, die logistischen Gesamtkosten zu minimieren (Marketing- Logistik-Strategie, Lieferservice). Die Anwendung der Selektionsmethoden führt dazu, dass Artikel mit spezifischen Eigenschaften im gesamten Bereich der Lagerhaltung oder in bestimmten Teilbereichen unterschiedlich behandelt werden. So kann für jede Artikel-Klasse der Bestellvorgang anders ablaufen, die Lieferbereitschaft unterschiedlich hoch sein und die Anzahl der Auslieferungspunkte verschieden sein. Kostenüberlegungen führen dazu, Artikel mit geringem Umsatzanteil nur an wenigen Auslieferungspunkten zu lagern. Man geht davon aus, dass der Sicherheitsbestand eines Artikels insgesamt um so größer ist, je mehr Lagerorte zur Befriedigung einer bestimmten Nachfrage benutzt werden. Neben den Kosten der Kapitalbindung erhöhen sich mit der Anzahl der Lager jedoch u.a. auch die Personalkosten und die Raumkosten. Da der Umsatz je Lager steigt, je weniger Lager vorhanden sind, sprechen die Lagerkosten für eine Zentralisierung der Lager. Gegen eine Zentralisierung sprechen im allgemeinen die Transportkosten, weil wegen des Fehlens von Lagern in den regionalen Märkten die Möglichkeit verloren geht, die Produkte in großen Transporteinheiten möglichst nahe an die Einzelmärkte heranzubringen. Die Transportkosten erhöhen sich aber bei einer Zentralisierung von umsatzstarken und umsatzschwachen Artikeln relativ gleich stark. Deshalb spricht ein Vergleich der Lagerkostensenkung und der Transportkostenerhöhung dafür, umsatzstarke Artikel in mehreren Auslieferungspunkten dezentral zu lagern, umsatzschwache Artikel dagegen möglichst zentral zu lagern. Teilt man die Artikel in vier Klassen ein, so läßt sich folgende Politik formulieren: A-Artikel sind so umsatzstark, dass es gerechtfertigt ist, sie in allen lokalen Lagern zu lagern. B-Artikel sind weniger umsatzstark und werden in wenigen, ausgesuchten regionalen Auslieferungslagern gelagert. C-Artikel werden wegen des geringen Umsatzes nur im Zentral- oder Werkslager gelagert oder sogar erst bei Bedarf produziert (D-Artikel). Geht man davon aus, dass bei einer Zentralisierung der Lager die Auslieferungszeit der Ware an den Kunden steigt, so sinkt der Lieferservice für die zentral gelagerten Artikel ab. Da jedoch nur die umsatzschwächeren Artikel davon betroffen werden, wird der Lieferservice für den gesamten Umsatz nur unwesentlich beeinträchtigt. Er kann sogar erhöht werden, wenn man infolge der Kostensenkung, welche durch die Zentralisation der umsatzschwachen Artikel ermöglicht wird, freigesetzte Mittel dazu verwendet, die Sicherheitsbestände und somit die Lieferbereitschaft der umsatzstarken Artikel zu erhöhen und bei bes. zeitkritischem Bedarf schnelle und flexible Transportsysteme einzusetzen. //
Literatur: Berg, C. C., Materialwirtschaft, Stuttgart, NewYork 1979.
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