Teilgebiet einer Geographie des Menschen, Ergänzung zur Kulturgeographie für die einen, Grundidee räumlicher Forschung für die anderen, eine Wissenschaft, die sich mit den räumlichen Organisationsformen menschlicher Gruppen, deren Strukturen und Prozessen befasst. Wenn auch die Auseinandersetzungen um die Sozialgeographie besonders lebhaft von Ende der 50er bis Mitte der 70er Jahre die bundesdeutsche Geographie geprägt haben, reichen ihre Vorläufer doch viel weiter zurück (z.B. Paul Vidal de la Blache oder Rudolf Busch-Zantner). Wesentlich mitgestaltet haben ihre Entwicklung nach dem 2. Weltkrieg vor allem Hans Bobek und Wolfgang Hartke sowie Karl Ruppert und Franz Schaffer. Die Diskussion um Konzepte und Meinungen zur Sozialgeographie war und ist bis heute ein Kennzeichen ihrer Entwicklung. Dies zeigt sich etwa bei den unterschiedlichen methodischen Ansätzen, die neben den Lebensformen-Gruppen bei Bobek, dem sozialökologischen Ansatz im Anschluss an die Chicagoer Schule der Soziologie, dem Indikatoren-Ansatz bei Ruppert über den sozialräumlichen Ansatz in der Stadtgeographie oder dem prozessualen Gedanken bei Schaffer bis zum heute vorherrschenden aktionsräumlichen. Ansatz oder zur konfliktorientierten Forschung reicht. Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre erreichte die Diskussion um die Sozialgeographie durch die Arbeiten von Ruppert und Schaffer ihren Höhepunkt, auf den Grundfunktionen menschlicher Tätigkeit, den sozialgeographischen Gruppen als Raumgestaltern und dem sozialgeographischen Raum als wesentliche Elemente der Betrachtung basierend. Aufgrund der Kritik an einer naiven Anwendung dieser Überlegungen zeigte sich inzwischen eine Weiterentwicklung, sei dies etwa in der Verbindung zum "Constraints"- Ansatz Hägerstrands, einer Einbeziehung zeitgeographischer Überlegungen und vorhandener Kopplungs-Tätigkeiten im Raumverhalten, sei es bei der Gruppenbildung in Richtung Interessengruppen im privatwirtschaftlichen und staatlichen Bereich. Verbindungen zu gemeindesoziologischen Studien über Community-Power-Groups sind dafür ebenso wie zu politikwissenschaftlichen Arbeiten über Entscheidungsträgerverhalten oder konfliktorientierten Untersuchungen, etwa über Wirkungen von Bürgerinitiativen, anzuführen. Der sozialgeographische Raum als dritter Aspekt des "sozialgeographischen Konzepts" von Ruppert und Schaffer wurde in den letzten zehn Jahren über den Aktivitätszum Aktionsraum (einschl. wahrnehmungsgeographischer Sachverhalte) erweitert. Fragen menschlicher Entscheidungsprozesse bei den Handlungsabläufen stehen dabei im Vordergrund, wobei meist von dem von Roger M. Downs und Kevin Lynch für die Stadtforschung entworfenen Schema von Wahrnehmung (Perception), Bewertung (Evaluation), Entscheidung (Decision), Suche (Search) nach dem richtigen Weg und Verhalten im Raum (behaviour in space) ausgegangen wird. So wesentlich der Beitrag wahrnehmungsorientierter Betrachtung für jede Raumanalyse ist, nämlich die Trennung von Raumstruktur und den Vorstellungsbildern einzelner Personen und Gruppen von dieser Raumstruktur, so muss doch der stark individualpsychologische Ansatz gesehen werden, der unbedingt durch ökonomische und soziale Determinanten ergänzt werden muss. Daher ist es auch verständlich, dass seit einigen Jahren ein Schwerpunkt der Forschung auf die Analyse von Entscheidungsprozessen bis hin zu konfliktorientierten Überlegungen gelegt wird. Dabei wird auf theoretische Vorstellungen und empirische Vorgehensweisen aus der Soziologie, der Psychologie, der Pädagogik und der Betriebswirtschaftslehre zurückgegriffen. Während bezüglich entscheidungsorientierter Studien mit beschreibenden Darstellungen von Entscheidungsträgern und deren Raumverhalten, ein gewisser Forschungsstillstand eingetreten ist, mehren sich die konfliktorientierten Untersuchungen. Zwar bleiben auch sie weitgehend beschreibender Natur in der Analyse von Konfliktgrund, -austragung und ersten Hinweisen zur Konfliktregelung, durch die Anwendung in verschiedenen räumlichen Planungsebenen (Stadt- wie Regionalplanung) besitzen sie jedoch einen höheren Aktualitätsgrad und grössere Öffentlichkeitswirkung. Dies wird auch in den Forschungsthemen. der Sozialgeographie deutlich, deren inhaltlicher Schwerpunkt früher stärker im Bereich der räumlichen Bevölkerungs- und Kulturraumforschung (mit Themen aus der Gruppierungs-, Anpassungs- und Segregationsforschung), der räumlichen Verhaltens- und der Perzeptionsforschung lag, während nun seit einigen Jahren Fragen der Erforschung räumlicher Ordnung, in enger Verbindung mit der Wirtschaftsgeographie durchgeführt werden. Somit verwischen sich angesichts der planungs- bzw. politikbezogenen Themen auch zunehmend die in den 60er und 70er Jahren formulierten Differenzierungen zwischen Sozial- und Wirtschaftsgeographie. Literatur: Bartels, D., Zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung einer Geographie des Menschen, in: Erdkundliches Wissen, H. 19, Wiesbaden 1968. Jakle, J. A.IBrunn, S./Roseman, C. C., Human Spatial Behavior: a Social Geography, Belmont, Cal. 1976. Jones, E.IEylex, J., An Introduction to Social Geography, Oxford 1977. Maier, J./ Paesler, R.IRuppert, K.ISchaffer, F., Sozialgeographie, Das Geographische Seminar, Braunschweig 1977. Thomale, E., Sozialgeographie, Marburger Geographische Schriften, Heft 53, Marburg 1972.
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