”Die Wachstumstheorie ist ein unterentwickeltes Gebiet der Nationalökonomie”, schrieb Abramowitz noch 1952. Seitdem ist zwar eine Flut von Veröffentlichungen auf diesem Gebiet auf den Markt gekommen, aber der Erkenntniswert der Veröffentlichungen verhält sich keineswegs proportional zu ihrer Menge. Noch 1973 konnte Bernhard Gahlen behaupten können ,,... dass die Wachstumstheorie weitgehend die gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Probleme aus den Augen verloren hat und vielmehr modellimmanenten Gesetzmäßigkeiten gefolgt ist. Nur wenige ihrer Hypothesen haben Informationsgehalt. Diese Ausnahmefälle sind dann aber zumeist noch durch die Realität falsifiziert worden”.
Wirtschaftliches Wachstum ist stets das Ergebnis des Zusammenwirkens der produktiven Faktoren einer Volkswirtschaft. Zu ihnen werden im allgemeinen der Einsatz und die Qualität von Arbeit, Kapital, Boden sowie der technische Fortschritt gerechnet. Da der Produktionsfaktor Boden nicht beliebig vermehrbar ist und mit zunehmender Industrialisierung für die Wertschöpfung an Bedeutung verloren hat, wird das Wachstum einer Wirtschaft unter Vernachlässigung des Produktionsfaktors Boden aus dem Einsatz von Arbeit, Kapital und dem technischen Fortschritt abgeleitet. Damit steht eine Produktionsfunktion in der einfachsten und allgemeinsten Form zur Verfügung. Darüber hinaus wird institutionellen und politischen Faktoren (Wirtschaftsverfassung, Rechtsordnung, Wettbewerbspolitik) eine bestimmende Bedeutung zugeschrieben.
Der Beitrag der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zur Wertschöpfung und damit zu deren Höhe und Wachstum hängt sowohl von der verfügbaren Einsatzmenge wie von der Qualität dieses Einsatzes und der Faktorkombination ab. So wird der Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit von der Bevölkerungsentwicklung bestimmt. Aber selbst bei stagnierender Bevölkerung kann die Arbeitsmenge noch vermehrt werden. Einmal u.a. dadurch, dass die Zahl der Erwerbstätigen z.B. durch Zuwanderungen (ausländische Arbeitskräfte) oder durch die Mobilisierung inländischer Reserven (höhere Frauenarbeitsquote) gesteigert wird. Zum anderen ist es möglich, die Arbeitszeit auszudehnen, Streiks und Krankheitstage zu reduzieren. Als mit am wichtigsten wird heute allgemein die Produktivität des Faktors Arbeit beschrieben. Gemeint sind damit vor allem die allgemeine Bildung sowie die spezifische berufliche Qualifikation.
Nach Edward F. Denison ist die Veränderung der totalen Faktorproduktivität vor allem eine Folge der verbesserten Ausbildung, des gestiegenen Wissensstands, der Arbeitszeitverkürzung, allgemein der Qualitätserhöhung. Kendrick hat errechnet, dass die durchschnittliche Wachstumsrate des Sozialprodukts in den Vereinigten Staaten (nach Denison von 1929 bis 1957 = 2,9 %) zu zwei Fünftel durch eine Vermehrung des Faktoreinsatzes und zu drei Fünftel durch eine Vermehrung des Faktoreinsatzes und zu drei Fünftel durch eine Erhöhung der totalen Faktorproduktivität erklärt werden könne. Besonders große Bedeutung kommt nach diesen Berechnungen für das Wachstum des Sozialprodukts neben der Erhöhung der Beschäftigung der Erziehung und Ausbildung zu. Ein zweites augenfälliges Ergebnis ist der geringe Anteil des Faktors Kapital am Wachstum mit lediglich 15 %. Hieraus folgt, dass auch nur zu einer geringen Erhöhung der Wachstumsrate bereits sehr hohe Investitionsanstrengungen erforderlich sind.
Im technischen Fortschritt (Produktivität) erblickt die moderne Wachstumstheorie die wichtigste Ursache für das Wirtschaftswachstum. Er wird üblicherweise so definiert, dass bei konstantem Faktoreinsatz die Produktionsmenge (der “output”) gesteigert wird oder dass die gleiche Produktmenge bei geringerem Faktoreinsatz erzeugt wird. Technischer Fortschritt ist nur dann möglich, wenn sich das technische und organisatorische Wissen vermehrt. Nach den Thesen von Kaldor und Arrow gehen von neuen Bruttoinvestitionen zwei produktionssteigernde Wirkungen aus: Einmal vergrößern sie den Realkapitalbestand und damit die Produktionsmenge. Zum anderen erhöhen sich durch den Einsatz neuer Produktionsanlagen Erfahrung und Fertigkeiten der Arbeitskräfte. Auf diese Weise wächst das ökonomisch relevante technische Wissen, das seinerseits wiederum produktionssteigernd wirkt. In der Wirtschaftswissenschaft wird unterschieden zwischen neutralem, arbeitssparendem und kapitalsparendem technischen Fortschritt. Neutraler technischer Fortschritt liegt vor, wenn Arbeit und Kapital im gleichen Ausmass freigesetzt werden.
In seinem Hauptwerk “Wealth of Nations” (1772) hat Adam Smith (1723-1790) als Grundlage des Wachstums einen Fonds der jährlichen Arbeit geschildert, aus dem ein Volk lebt. Dieser Fonds hängt ab von der Geschicklichkeit der Arbeiter, von der Erwerbsquote, d.h. dem Verhältnis der Zahl der Arbeiter zu den Nichtarbeitern, und von der absoluten Zahl der Arbeiter. Durch zunehmende Arbeitsteilung und Kapitalakkumulation lasse sich dieser Fonds vergrößern und in Verbindung mit einer liberalen Wirtschaftsordnung der “Wohlstand der Nationen” vermehren.
Während Smith ein ständiges Wachstum für möglich hielt, formulierte David Ricardo (1772-1823) mit seinem - Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses die Theorie eines um das Existenzminimum oszillierenden Lohnsatzes der Arbeiter. Danach bremsen die Kosten die Gewinne, das beeinträchtige wiederum Investitionen und das Wachstum.
Während John Maynard Keynes die Wachstumstheorie vor allem als Beschäftigungstheorie formulierte, betont Domar den dualen Charakter der Investitionen: Sie hätten nicht nur einen Einkommens-, sondern auch einen Kapazitätseffekt. Während Domar den Kapitalkoeffizienten, d.h. das Verhältnis des Sozialprodukts zum Realkapitalbestand, als technologisch gegeben und konstant ansieht, erklärt Harrod den Kapitalkoeffizienten aus dem technischen Fortschritt und dem Unternehmerverhalten. Die natürliche Wachstumsrate leitet er aus dem Bevölkerungswachs-turn und dem technischen Fortschritt ab.
Gegen die dem Harrod-Domar-Modell eigene Instabilität wendete Solow ein, dass gleichgewichtiges Wachstum dann vorliegt, wenn die Wachstumsraten von Arbeit und Kapital gleich sind, da dann eine einmal erreichte Vollbeschäftigung stets aufrecht erhalten bleibe. Der Grund für die Stabilität des Systems liege in der Substituierbarkeit von Arbeit und Kapital.
Um das mittel- bis langfristige Wachstum zu erklären, nimmt die neoklassische Wirtschaftstheorie zunächst eine geschlossene Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivität sowie eine stetige Vollbeschäftigung von Arbeit und Kapital an. Die Nettoproduktion sei eine Funktion von Arbeit, Kapital und technischem Wissen. Gleichgewichtiges Wachstum bedeutet hier, dass die Wirtschaft in all ihren Bestimmungsgrößen mit konstanter Rate wächst. Eine Volkswirtschaft könne lediglich das Niveau des Wachstumspfades verschieben, nicht jedoch die eigene Wachstumsrate erhöhen. Eine höhere Investitionsquote bedeute ein höheres Niveau des Gleichgewichtswachstumspfades. Die Gwinne würden von den Wirtschaftssubjekten investiert, der technische Fortschritt sei Motor der wirtschaftlichen Entwicklung.
Gegen die neoklassische Wachstumstheorie hat sich vor allem Joan Robinson gewandt. Sie kritisiert vor allem die Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung: Wenn der Lohn gleich dem Grenzprodukt der Arbeit und der Zins gleich dem Grenzprodukt des Kapitals ist, dann ist bei Vollbeschäftigung von Arbeit und Kapital die Verteilung des Sozialprodukts gewissermaßen naturgesetzlich festgelegt. Das würde bedeuten, dass auch im Sozialismus die Verteilung nicht geändert werden könnte und in marktwirtschaftlichen Systemen alle gewerkschaftliche Aktivität in dieser Richtung zur Erfolglosigkeit verurteilt ist, jedenfalls wenn die Vollbeschäftigung aufrechterhalten werden soll.
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