Siehe auch: Beschaffungsmarke-ting
Unter dem Druck eines weltweiten Wettbewerbs, zunehmender marktlicher Diskontinuitäten, der Einführung von Just-In-Time-Systemen und weltweit vernetzter Produktionsstätten erweist sich die Beschaffung zunehmend als ein kritischer Erfolgsfaktor. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass bei produzierenden Unternehmen der Materialeinkauf 20 - 80 % der gesamten Herstellungskosten verursacht. Bereits eine geringfügige Kosteneinsparung bei der Beschaffung kann daher zu einer erheblichen Gewinnsteigerung des Unternehmens führen. Allerdings wurden in der Marketing Wissenschaft Aspekte der Beschaffung lange vernachlässigt. Dies wurde u. a. damit begründet, dass die Beschaffungspolitik allein aus Analogieschlüssen zur Absatzlehre erklärt werden kann, wobei in jüngster Zeit in verschiedenen Literaturbeiträgen diese Ansicht z. T. revidiert wurde und Besonderheiten des Beschaffungsmarketing herausgearbeitet wurden.
In der Praxis ist die Beschaffungspolitik überwiegend stark operativ geprägt. Häufig findet nur ein „reaktives“ Einkaufsverhalten statt, das überwiegend in dem Vermeiden des Einkaufes fehlerhaften Materials und falscher Mengen, verspäteter Lieferungen, hoher Kosten und unzulänglichen Services besteht. Es fehlen demnach Beschaffungsstrategien und damit die Abstimmung zwischen einzelnen Einkaufs-Abteilungen (Einkauf Rohstoffe, Werkstoffe u. a.).
Darüber hinaus werden strategische Grundsatzentscheidungen ohne Berücksichtigung der Beschaffungsseite getroffen. Zur Vermeidung dieser Mängel wurde in vielen Unternehmen ein Materialmanagement implementiert. Da dem Materialmanager Einkauf, Transport, Materialwirtschaft, Bestandskontrolle, Fertigungsplanung und -terminierung unterstehen, ist in diesem Fall eher ein koordiniertes Vorgehen innerhalb des Beschaffungsbereichs gewährleistet. Jedoch ist auch hier die Integration bei strategischen Unternehmensentscheidungen unzureichend.
Dem Marketing stellt sich vor diesem Hintergrund die Aufgabe, durch die Einführung eines in die strategische Unternehmensplanung integrierten Beschaffungsmanagement eine „optimale“ Beschaffung zu realisieren. Dieser Aspekt wird neuerdings in der angloamerikanischen Marketingwissenschaft unter dem Stichwort „Reverse-Marketing“ intensiv diskutiert und mit neuen Impulsen versehen.
Reverse-Marketing ist gekennzeichnet durch eine veränderte Denkhaltung des strategischen Beschaffungsmanagement. Entgegen der herkömmlichen Sichtweise ergreift nicht der Lieferant, sondern der Einkäufer die Initiative. Der Aushandlung von Bezugskonditionen zwischen Einkäufer und Lieferant wird dabei der aktuelle und zukünftige Beschaffungsbedarf zugrunde gelegt, wobei eine langfristige, partnerschaftliche Beziehung zum Lieferanten angestrebt wird.
Die Einbeziehung des Beschaffungsmanagement in die strategische Unternehmensplanung ist insbesondere bei der Neuproduktplanung erforderlich. Das Know-how der Materialmanager über Beschaffungsmärkte, d. h. insbesondere über lieferbare Materialien, Preise, mögliche Substitutionsmaterialien usw. kann hierdurch frühzeitig bei Konstruktionsentscheidungen berücksichtigt werden. Unrealistische, nicht einzuhaltende Konstruk-tions-, Material- oder Preisvorgaben können vermieden werden. Darüber hinaus erhält die Beschaffungsabteilung frühzeitig Kenntnis über defi Beschaffungsbedarf, konkretisiert nach Qualität, Quantität, Preisvorgaben und technische Spezifikationen.
Zum Aufbau einer optimalen Lieferantenbeziehung müssen zunächst die Anforderungen an Produkte und Serviceleistungen klar definiert werden. Ist die Entscheidung zugunsten eines Lieferanten erfolgt, so erweist es sich als zweckmäßig, diesen Lieferanten durch klare Richtlinien und Vorschläge zur Qualitätsverbesserung zu unterstützen. Unter Berücksichtigung der finanziellen und technischen Voraussetzungen der Lieferanten sind Beschaffungsvereinbarungen zu treffen, die den Anforderungen des Einkäufers bezüglich Qualität, Quantität, Liefertermine, Preise und Service vollständig gerecht werden. Dabei ist die Beziehung zwischen Einkäufer und Lieferant durch eine enge Kooperation geprägt.
Zusammenfassend kennzeichnet Reverse-Marketing eine neue Denkhaltung gegenüber Lieferanten. Als wesentliche Weiterentwicklung des Reverse-Marketing läßt sich eine langfristig verbesserte Lieferanten-Beziehung nennen, die zu besserer Produktqualität, geringeren Herstellkosten und Lagerhaltungszeiten sowie letztlich zu Wettbewerbsvorteilen führen kann. Nutzen-Potentiale für den Lieferanten bestehen demgegenüber in einer genaueren und zuverlässigeren Vorausplanung, einer verbesserten Kommunikation mit dem Einkäufer sowie der Chance zum Aufbau einer langfristigen Geschäftsverbindung. Eine strategische Allianz im so verstandenen Sinne bietet somit Vorteile für beide Marktpartner und kommt letzten Endes dem Konsumenten zugute, der Produkte in gleichbleibender Qualität und zu günstigen Konditionen erwerben kann.
Insbesondere für Markenartikelhersteller, bei denen die Qualitätskomponente bekanntlich einen zentralen Erfolgsfaktor darstellt, kann Reverse-Marketing vor dem skizzierten Hintergrund dominierende Wettbewerbsvorteile zeitigen.
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