war seit Einführung des "Neuen Wirtschaftsmechanismus" im Jahre 1968 bis zu den dramatischen Veränderungen in 1989 der Prototyp der etatistischen Variante einer sozialistischen Marktwirtschaft. Nun ist Ungarn dabei, sich in eine Marktwirtschaft westlichen Musters zu verwandeln. Zum Verständnis der Ursachen und der anstehenden Probleme des Systemwandels ist eine knappe Übersicht über die traditionellen Ordnungsbedingungen erforderlich. Der umfassende Staats- bzw. Parteieinfluss und damit der Etatismus im ungarischen Wirtschaftssystem kamen in der Eigentumsordnung und in der Wirtschaftslenkung zum Ausdruck. Mitte der 80er Jahre waren ca. 70% der Erwerbstätigen im Staatssektor, ca. 25% im genossenschaftlichen und ca. 5% im privaten Sektor beschäftigt. Die Staatsunternehmen herrschten in der Industrie und der Bauwirtschaft vor, während die Genossenschaften in Landwirtschaft und Handel, die Privatbetriebe in Handwerks- und Dienstleistungsbereichen ihren Schwerpunkt hatten. Seit 1981 wurden beträchtliche Anstrengungen zur Förderung kleiner Betriebe unternommen, die in Form von staatlichen Kleinbetrieben, von selbständigen Arbeitsgemeinschaften innerhalb grösserer Staatsbetriebe, von genossenschaftlichen Fachgruppen und von privaten Kleinbetrieben gegründet und betrieben werden konnten. Der fehlende Marktwettbewerb war neben der hohen Konzentration der Staatsunternehmen vor allem in hierarchischen Abhängigkeitsbeziehungen der Unternehmen gegenüber den Staatsorganen begründet. Obwohl direkte Auflagen an die Unternehmen grundsätzlich nicht vorgesehen waren und die Unternehmensleiter sich am Gewinn orientieren sollten, nutzten die Ministerien in ihrer Rolle als Eigentümer- und Aufsichtsorgan die Möglichkeiten zur informellen dirigistischen Regulierung. Die von den Ministerien ernannten Unternehmensdirektoren waren ihrerseits unter Vernachlässigung des Rentabilitätsstrebens zur Unterordnung bereit, weil sich auf diese Weise Verantwortung abschieben und materielle Zuwendungen und Sonderregelungen legitimieren liessen. Die staatliche Wirtschaftslenkung oblag dem Ministerrat, der seinerseits von der Kommunistischen Partei beherrscht wurde. Zur Erfüllung seiner Aufgaben bediente er sich erstens der funktionellen Ministerien, z. B. der Ministerien für Finanzen, für Arbeit und für Aussenhandel, zweitens der Branchenministerien, z. B. der Ministerien für Industrie, für Bauwesen und für Landwirtschaft und Ernährung, deren Aufgabe die Planung der Zweigentwicklung und die Aufsicht der unterstellten Staatsunternehmen war, und drittens verschiedener Staatsorgane, Ämter oder Kommissionen, z. B. der Nationalbank, des Planungsamtes oder des Amtes für Material und Preise. Das wichtigste Instrument der staatlichen Wirtschaftslenkung bildete der Volkswirtschaftsplan. Dabei legte der Fünfjahresplan die Entwicklung makroökonomischer Niveaugrössen, wie Volkseinkommen, Konsum, Investition, Preisniveau, Import und Export, auf der Ebene der Volkswirtschaft und innerhalb einzelner Sektoren, Branchen und Regionen fest. Die Durchsetzung der Planziele erfolgte auf indirektem Weg über ökonomische Regulatoren, also über die Preis-, Lohn-, Investitions-, Kredit-, Wechselkurs- und Aussenhandelspolitik. Die Wirtschaftslage Ungarns war während der 80er Jahre durch Wachstumsstagnation, Kaufkraftüberhänge, Handelsbilanzdefizite und hohe Auslandsverschuldung gekennzeichnet. Diese systembedingte Wirtschaftsmisere war hier wie in anderen sozialistischen Ländern für das Scheitern der sozialistischen Ordnung verantwortlich. Der 1990 erfolgte Übergang von der kommunistischen Einparteienherrschaft zur parlamentarischen Demokratie war der entscheidende Schritt für den politischen Systemwandel, dem in der Wirtschaft der eingeleitete Übergang zur privatwirtschaftlichen, sozialen Marktwirtschaft entsprach. Die Transformation der Wirtschaftsordnung ist ein langwieriger Prozess, bei dem es um die grundlegende Umgestaltung gewachsener Strukturen, Werte und Verhaltensweisen geht. Die ordnungspolitischen Vorbedingungen dafür, insbesondere die rechtliche Gleichstellung privater, genossenschaftlicher und staatlicher Eigentums- und Unternehmensformen, hat man in Ungarn bereits geschaffen. Die praktischen Probleme etwa bei der Privatisierung der industriellen Staatsbetriebe oder der landwirtschaftlichen Genossenschaften und die damit verbundenen schmerzhaften Strukturwandlungen sind bisher jedoch nur ansatzweise gelöst worden. Die Bewältigung der enormen politischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen wird in Ungarn wie auch in anderen postkommunistischen Gesellschaften noch das letzte Jahrzehnt dieses Jahrhunderts beanspruchen. Literatur: Leipold, H., Wirtschaftssysteme, Ungarn, in: Albers, W. u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften (Hd\'WW), Bd. 9, Stuttgart, Tübingen, Göttingen 1984, S. 399 ff. Tardös, M., Ungarn: Wirtschaftspolitik auf dem Weg zur sozialistischen Marktwirtschaft, in: Cassel, D. (Hrsg.), Wirtschaftspolitik im Systemvergleich, München 1984, S. 319ff.
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