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Business Networking


1. Charakterisierung Business Networking (B.N.) ist ein prozessorientierter Gestaltungsansatz zur Vernetzung rechtlich selbständiger Unternehmen(seinheiten) mittels der Informationstechnologie (IT). Ebenso wie das E-Business umfasst das B.N. die Abstimmung von Transaktion- (siehe auch   E-Commerce), Planungs­(siehe auch   Supply Chain Management) und Kundenaktivitäten (siehe   Customer Relationship Management), betont aber den systematischen Entwurf dieser Lösungen durch ingenieurwissenschaftli­che Methoden. Das B.N. erweitert damit das unternehmensintern orientierte   Business Process Reen­gineering (BPR) bzw.   Business Engineering auf den überbetrieblichen Bereich. Es adressiert damit die zahlreichen Ineffizienzen an den Organisationsgrenzen, die durch mangelnde Koordination und Medienbrüche entstehen und zu hohem Zeit- und Personalaufwand sowie dem entsprechenden Fehler­potenzial führen. Zwar gehen erste Ansätze zum elektronischen Datenaustausch (Electronic Data Interchange, EDI) und Interorganisationssystemen bereits auf die 70er Jahre zurück, jedoch stehen sowohl eine breite Nutzung und eine Anpassung der Abläufe analog dem innerbetrieblichen Umfeld aus. Dazu liefert das B.N. ingenieurmässige bzw. systematische Unterstützung, die sich in (vor)strukturierten und aufeinan­der abgestimmten Architektur- und Vorgehensmodellen entlang von drei Gestaltungsdimensionen wi­derspiegelt.
(1) Ausgangspunkt bildet die reine Prozessbetrachtung, die unabhängig von organisatorischen und systemtechnischen Restriktionen das (Re)Design der Aktivitäten im überbetrieblichen Verbund, also mit sämtlichen Partnern einer Wertschöpfungskette von Lieferanten, Dienstleistern und Kun­den, betrachtet.
(2) Ausgehend davon analysiert eine strategische Perspektive die Auswirkungen und Anforderungen des neuen Prozessdesigns auf das Geschäftsnetzwerk, beispielsweise auf die Positionierung des Unternehmens, den Aufbau der notwendigen Kooperationen und die resultierenden Geschäftsmo­delle.
(3) Die informationstechnische Sicht diskutiert und konkretisiert die überbetriebliche Integration und Automation durch die Kopplung der internen Systeme (häufig   ERP-Systeme) und der Berück­sichtigung neuer Technologien wie etwa der   RFID.
2. (Re-)Design der Prozessnetzwerke Als prozessorientierter Gestaltungsansatz entwirft das B.N. eine künftige Prozessarchitektur, welche die wichtigsten Prozesselemente in ihrem inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang identifiziert. Ko­operationsprozesse umfassen alle Prozesse, die durch mindestens zwei rechtlich selbständige Einheiten definiert und betrieben werden und daher ein hohes Mass an Koordination erfordern. Ziel ist es, die Aufgaben und Zuständigkeiten über die beteiligten Einheiten hinweg so zu koordinieren, dass Ressour­cen optimal eingesetzt werden und durchgängige Abläufe ohne Reibungsverluste oder Doppelarbeiten entstehen. Einen geeigneten Ausgangspunkt für das (Re-)Design der Prozessnetzwerke bilden die aus dem inner­betrieblichen Bereich bekannten Prozesskategorien:
(1) Kundenprozesse zeigen die Verkettung von Aktivitäten aus Sicht eines Leistungsnehmers. Sie spiegeln das Lebenszyklusmodell der Kundenbeziehung wieder, das bspw. die Anforderungsdefi­nition, die Auftragsspezifikation, sowie eine Besitz- und eine Entsorgungsphase umfasst. Leistungsprozesse stellen die Leistungserbringung der für den Kunden erforderlichen Aktivitäten im Partnernetzwerk sicher. Sie bilden den Kern der operativen Prozessarchitektur und beziehen ggf. eine mehrstufige Leistungserbringung ein. Auf höchster Betrachtungsebene lassen sich vier Kooperationsprozesse abgrenzen: Die Produktentwicklung, die Auftragsplanung und -abwicklung sowie der After-Sales-Service.
(3) Während Kunden- und Kooperationsprozesse den Integrationsbereich inhaltlich festlegen (,Was\'), bestimmen die Managementprozesse die Verbindung zwischen den Ausführungsprozessen (,Wie\'). Die übergreifende Prozessführung wirkt als Regelkreis zum überbetrieblichen Prozess und kann bzgl. Abstimmungs- bzw. Kooperationsintensität von der Transparenz über verteilte Ak­tivitäten, über die Steuerung nach vordefinierten Regeln und Workflows hin zur übergreifenden Planung mit Optimierungsmodellen reichen.
(4) Unterstützungsprozesse bilden die Infrastruktur zur Ausführung der überbetrieblichen Geschäfts­prozesse. Sie übernehmen abgegrenzte und spezifizierte Aufgaben für mehrere Leistungs- und Managementprozesse in mehreren Bereichen: Prozessservices führen Aufgaben für spezifische Kooperationsprozesse (z.B. Logistik- und Zahlungsabwicklung) aus, Koordinationsservices bieten Leistungen für mehrere Kooperation- und Managementprozesse (z.B. Katalogmanagement), wäh­rend Integrationsservices (z.B. Verzeichnisdienste) die übergreifende elektronische Integration un­terstützen.
3. Strategische Ebene Die Geschäftsarchitektur beschreibt die Gestaltungsoptionen für die institutionelle Integration, die sich mit der zunehmenden Vernetzung der überbetrieblichen Geschäftsprozesse stellen. Sie ist Bestandteil von Geschäftsmodellen, die neben der Architektur der Leistungserstellung zusätzlich den für den Kun­den generierten Nutzen (,Value Proposition\') sowie die Nachhaltigkeit bzw. die Einnahmequellen (Er­tragsmodell) adressieren. Eine Geschäftsarchitektur zeigt die beteiligten Kundensegmente, sämtliche an der Leistungserstellung mitwirkenden Partner und die Art der Beziehung (hierarchisch, kooperativ, marktbasiert). Es ergeben sich zunächst zwei prinzipielle strategische Entscheidungen:
(1) Die Ablei­tung der beteiligten internen und / oder externen Organisationseinheiten und
(2) das Ausmass der Leis­tungsbündelung (von unabhängigen Einzelleistungen bis hin zur kundenspezifischen Bündelung). Von besonderer Bedeutung im B.N. sind dedizierte externe Organisationen, die als Integratoren eine Leistungsbündelung vornehmen und dadurch bilaterale Beziehungen entkoppeln sowie Abhängigkeiten im Netzwerk reduzieren. Aus der Prozessarchitektur lassen sich drei Arten von Integratoren ableiten (siehe Abbildung 1):
(1) Kundenprozessintegratoren bündeln Leistungen für eine möglichst umfassende Unterstützung des Kunden (,Scope\'). Ein Beispiel sind Vertriebsbanken, die ihren Kunden ein breites Leistungsport­folio nach dem ,one-stop-shopping\' anbieten und dazu auf die Leistungen von Produkt- und Transaktionsbanken zurückgreifen.
(2) Value Chain Integratoren dagegen zielen auf die Abstimmung sämtlicher Aufgaben in einer Wert­schöpfungskette. So koordiniert der Computerhersteller Dell etwa die Auftragsabwicklung zwi­schen den Komponentenherstellern und Distributoren.
(3) Anbieter von Kooperationsinfrastrukturen stellen Leistungen für Kunden- und Leistungsprozesse bereit. Beispiele sind elektronische Marktplätze (z.B. SupplyOn, Covisint) und Plattformen in vir­tuellen Organisationen (z.B. Pharmamall, IGH).
Business Networking
4. Informationstechnische Ebene Die Informationssystem-Architektur konkretisiert die informationstechnischen Vernetzungsaspekte im B.N. Wie die Geschäftsarchitektur ist sie abgestimmt mit der Prozessarchitektur und besteht aus drei Bereichen:
(1) Die Applikationsarchitektur stellt Funktionen für die vier Prozesskategorien bereit. Enterprise Re­source Planning (ERP)-Systeme enthalten Funktionen zur innerbetrieblichen Vernetzung und sind oft auch in Kooperationsprozessen eingesetzt.  Customer Relationship Management- oder   Electronic Commerce-Systeme unterstützen die Bündelung von Leistungen im Kundenprozess, während   Supply Chain Management-Systeme u.a. die langfristige Abstimmung von Angebot und Nachfrage (Supply Chain Planning) und damit Managementprozesse unterstützen. Infrastruk­turapplikationen wie etwa elektronische Marktplätze stellen Funktionen für Unterstützungsprozes­se bereit.
(2) Die Kopplung der Komponenten aus der Applikationsarchitektur übernehmen Integrationsarchitekturen. Sie stellen damit die durchgängige elektronische Unterstützung über Applikations- und Unternehmensgrenzen hinweg sicher. Prinzipiell ist die Integration auf den Ebenen Präsentation, Funktion und Daten möglich. Bei Integration auf Präsentationsebene erhalten Geschäftspartner z.B. über Kunden- oder Lieferantenportale als Benutzerschnittstelle Zugriff auf die Applikationen. Dies realisiert eine Mensch-Maschine-Interaktion, während die direkte Maschine-Maschine-Interaktion eine Integration auf Ebene von Funktionen oder Daten erfordert und damit höhere Anforderungen an die Schnittstellen stellt. Letztere ist häufig über EDI-Systeme, in jüngerer Zeit über leistungsfähige Integrationsplattformen (Enterprise
(3) Infrastrukturarchitekturen schliesslich bilden mit Plattform- und Netzwerkkomponenten die Grundlage von Integrations- und Applikationsarchitektur. Bestandteile sind Portalgateways, Web Server, Application Server und Datenbank Server, die heute als standardisierte Komponenten ver­fügbar sind.
5. Standardisierung Voraussetzung für die Vernetzung mit Geschäftspartnern ist ein gemeinsames Verständnis der Rollen und Verantwortlichkeiten, des überbetrieblichen Prozessablaufs und der zu integrierenden Daten und Funktionen. Standardisierungsinitiativen schaffen hierzu Vorgaben, die Unternehmen im Sinne einer Vorlage oder eines Templates wieder verwenden können. Während die Standardisierung auf syntakti­scher Ebene durch offene Internet-Standards wie z.B. XML und Web Services stark fortgeschritten ist, sind vergleichbare Anstrengungen auf semantischer und pragmatischer Ebene notwendig. Zu einer um­fassenden Standardisierung überbetrieblicher Vernetzung gehören die folgenden vier Bereiche:
(1) Standardisierte Kooperationsmodelle beschreiben die Leistungserbringung zwischen den Partnern und regeln z.B. über Kooperationsvereinbarungen die Rechtsverbindlichkeit ausgetauschter Do­kumente, den Gefahrenübergang oder Haftungsfragen bei Systemausfällen. Zu den wenigen Bei­spielen gehört das Bolero Rulebook.
(2) Prozessstandards beschreiben Abläufe, die organisatorischen Schnittstellen zwischen den beteilig­ten Einheiten und den zur Koordination notwendigen Informationsaustausch. Einige Branchen­standards, z.B.   RosettaNet in der HighTech-Industrie, enthalten dazu strukturierte Beschrei­bungen in Form von sog. „Public Processes”.
(3) Im Bereich Applikationen legen Standards z.B. die Funktionsverteilung auf mehrere Softwaremo­dule und die Schnittstellen (z.B. Funktionsaufrufe) zwischen diesen fest. Dadurch können Partner­systeme direkt aufeinander zugreifen und ,sich verstehen\'. Grosse Erwartungen werden derzeit in die weitere Entwicklung von Web Services gesetzt, da es diese künftig erlauben, Standardfunktio­nen, z.B. Zahlungs- oder Logistikservices, plattformunabhängig bereitzustellen und über Ver­zeichnisse im Partnernetzwerk zugänglich zu machen.
(4) Datenstandards vereinheitlichen die Struktur und die Bedeutung der ausgetauschten Informatio­nen in heterogenen Applikationswelten. Für Basisdatentypen wie Produktstammdaten sind eine einheitliche Produktbeschreibung (z.B. durch Katalogstandards wie BMECat), die eindeutige Pro­duktidentifikation (z.B. über EAN) und Konventionen zur Produktklassifikation (z.B. UNSPSC oder ecl@ss) notwendig. Nachrichtenstandards beschreiben den Aufbau wichtiger Geschäftsdo­kumente, z.B. eines Auftrags und eines Lieferavis. Die EDI-basierten Standards, wie  EDIFACT, werden zunehmend durch XML-basierte Standards, wie z.B. ChemXML, ergänzt bzw. abgelöst.
6. Ausblick Mit dem Aufbrechen vertikal integrierter Wertschöpfungsketten und dem Redesign traditioneller Kun­den-Lieferanten-Beziehungen entsteht in steigendem Masse die Notwendigkeit zur Realisierung und zum Management unternehmensübergreifender Prozesse. Informationstechnologien unterstützen diese Vernetzung mit standardisierten betriebswirtschaftlichen Applikationen, Integrationsplattformen und intelligenten mobilen Geräten unter Einsatz der   RFID-Technologie. Dadurch können Unternehmen ihre stärker verteilten bzw. virtualisierten Aktivitäten heute in ähnlicher Weise durchführen wie ehe­mals die vertikal integrierten Aktivitäten innerhalb des eigenen Unternehmens. Da unternehmensstrategische und -politische Aspekte mit den betriebswirtschaftlichen Kernprozessen sowie den informationstechnischen „Enablern” in abgestimmter Weise zu betrachten und mit allen be­teiligten Partnern zu diskutieren sind, erfordert die Transformation zum B.N. ein systematisches In­strumentarium. Letztlich bestimmt die Netzwerkfähigkeit eines Unternehmens, also die Anpassungsfä­higkeit eines Unternehmens und seine Interoperabilität mit externen Partner, zunehmend dessen Erfolg. Die häufig zeitintensiven Ergebnisse von Standardisierungsinitiativen und der Einsatz von Standard­software bilden dabei ebenso wichtige Faktoren, wie netzwerkfähige, modularisierte Produkte und „ko­operationsfähige” Mitarbeiter. Ein Vergleich mit der unternehmensinternen Integration, welche die Unternehmen z.B. durch die Ein­euling von ERP-Systemen in den letzten 30 Jahre vollzogen haben, zeigt jedoch den Zeitbedarf, mit bei der überbetrieblichen Integration zu rechnen ist. Sukzessive aufeinander abgestimmte Schritte scheinen hier angebracht, keinesfalls aber ein „Big Bang” wie während des E-Business-Hype in den 90er-Jahren angenommen. Hinweis Zu den angrenzenden Wissensgebieten siehe   Business Intelligence   Controlling­Informationssysteme,   Customer Relationship Management (CRM),  Data Warehouse,  Daten­banksysteme,   E-Commerce,   Electronic Government,  Electronic Procurement,   ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning-Systeme),  Management-Informationssysteme (MIS)Wirtschaftsinformatik, Grundlagen,   Wissensmanagement,   Workflow-Management.

Literatur: Alt, R.: Überbetriebliches Prozessmanagement - Gestaltungsmodelle und Technologien zur Realisierung integrierter Prozessportale, Habilitationsschrift Universität St.Gallen, 2005; Alt, R., Legner, C., Österle, H.: Virtuelle Organisation - Konzept, Realität und Umsetzung, in: HMD-Praxis der Wirtschaftsinformatik 242/2005, S. 7-20; Cäsar, M., Legner, C., Osterle, H.: Kundenprozessportale, in: WISU, 34, 2, 2005, S. 216-223; Fleisch, E.: Das Netzwerkunternehmen - Strategien und Prozesse zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in der “Networked Economy”, Springer, Berlin etc., 2001; Ka­germann, H., Österle, H.: Geschäftsmodelle 2010, FAZ-Verlag, Frankfurt, 2006; Osterle, H., Fleisch, E., Alt, R.: Business Networking in der Praxis - Beispiele und Strategien zur Vernetzung mit Kunden und Lieferanten, Berlin etc. 2002.

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