Während das Logistik-Konzept eine ganzheitliche Betrachtungsweise aller Material- und Informationsflüsse von der Urproduktion bis zum Endverbraucher unter Totalko- sten- und -serviceaspekten fordert (Marketing-Logistik), geht das Just-in-Time(JiT)- Konzept noch in folgenden Punkten darüber hinaus: Sem Hauptziel ist eine nachfragesynchrone Bedarfsdeckung, unabhängig davon, auf welcher Stufe der logistischen Kette ein Bedarf entsteht. Diese erfolgt nicht aus spekulativen Lagerbeständen auf der vorgelagerten Stufe der logistischen Kette. Angestrebt werden kleinste Lose (im Extremfall die Losgröße 1), die in entsprechend hoher Frequenz nachfragesynchron beschafft, produziert und distnbuiert werden. Im Unterschied zur kundenorientierten Einzelfertigung setzt eine bestandsarme JiT-Logistik die Existenz von Rahmenabkommen voraus, die (qualitativ) die Anzahl möglicher Material- oder Produktarten vollständig determinieren und darüber hinaus (quantitativ) die zwischen den Transaktionspartnern auszutauschenden Mengen für bestimmte Perioden grob konkretisieren. Als letztes JiT-Spe- zifikum ist die Zeitsensibilität der Nachfrage zu nennen. Sie gibt Auskunft darüber, wie lange ein Nachfrager in der Logistik-Kette auf die Bereitstellung des Produktes oder Materials durch die vorgelagerte Stufe der Logistik-Kette zu warten bereit und in der Lage ist. Diese aus auftragsabwicklungs-, produktions- und transportbedingten Elementen bestehende Lieferzeit (Lieferservice) variiert kontextabhängig von wenigen Augenblicken bis zu wenigen Tagen. Über die zeitliche Toleranzgrenze, bis zu der noch von JiT-Konzepten gesprochen werden kann, herrscht derzeitig noch Uneinigkeit. Ungewißheit über den Zeitpunkt und die Produktvarianten der Kundennachfrage, darüber hinaus aber auch die Vermutung, dass die Mitwettbewerber in der Lage sind, den Kundenwunsch qualitativ wie quantitativ ebenso zu erfüllen, zwingen zum Überdenken des Leistungserstellungsprozesses und enden häufig in der Zielsetzung, möglichst nachfragegenau, somit „Just-in-Time“, zu fertigen und zu distribuieren. Die Verwirklichung von JiT-Prinzipien macht i. d. R. eine Neuorganisation der Material- und Informationsflüsse erforderlich. JiT-Logistik ist eng verbunden mit dem risikostrategischen Prinzip des „postponement“, demzufolge jede Produktdifferenzierung (Änderung in Form und Identität) ebenso wie jede Ortsveränderung bis zum spätest möglichen Zeitpunkt aufzuschieben ist. Eine auf Produktindividualisierung beruhende Wertschöpfung soll demnach so spät wie möglich im Leistungs- erstellungprozeß erfolgen, also sofern möglich, tendenziell am Ende der logistischen Kette. Jede vorzeitige Festlegung des Gutscharakters erfordert möglicherweise eine spätere qualitative oder quantitative Anpassung des Produktes an einen konkreten Bedarf, und jede vorzeitige Aufspaltung des Warenstromes macht möglicherweise eine spätere Umlenkung, z. B. in Form von Querlieferungen zwischen Regional- oder Auslieferungslagern, erforderlich. JiT-Logistik ist damit auf eine zeitorientierte Wirtschaftlichkeit, also auf eine flexible Anpassung von Leistungs- und Lieferfähigkeit der Unternehmung an dynamische Markterfordernisse ausgerichtet. Ansatzpunkte für die Realisierung der JiT- Logistik liegen vornehmlich in der Reduzierung der Zeiten von der Auftragsannahme bis zur Auslieferung sowie in der Verringerung von Beständen in der logistischen Kette. Diese Ziele sind aber nicht unabhängig voneinander, sondern vielmehr in ihren Wechsel- und Folgewirkungen zu betrachten. Eine Reduzierung von Beständen führt zu kürzeren Durchlaufzeiten, erhöht aber gleichzeitig das Produktions- oderNachfrageausfallrisi- ko. Zudem ermöglichen verkürzte Durchlaufzeiten verminderte Prognosezeiträume. Daneben verdecken hohe Lagerbestände störanfällige Prozesse, unabgestimmte Kapazitäten und Ausschuß. Diese Probleme können durch ein dem JiT-Prinzip entsprechendes Absenken der Bestände auf allen Stufen des Logistikkanals sichtbar gemacht werden. Interdependente Bausteine einer JiT-Logistik sind: Konsequente Flußorientierung hinsichtlich Materialien, Gütern und Informationen, Abkehr von der Auslastungsmaximierung der Kapazitäten, statt dessen Kapazitätsharmonisierung und Synchronisation von Leistungserstellungsprozessen (innerhalb und v. a. auch zwischen Unternehmen einer Logistik-Kette) sowie Verkleinerung der Losgrößen zur Minimierung der Durchlaufzeiten und Lagerbestände, Reduzierung der Rüstzeiten, Harmonisierung und Glättung, Bedarf und Einsatz qualifizierter M itarbeiter. Just-in-Time ist auf solche Materialien und Produkte zu beschränken, die aufgrund ihrer Wert- oder Verbrauchsstruktur eine derartige Logistik-Konzeption wirtschaftlich vertretbar erscheinen lassen (Selektive Lagerhaltung). Neben der konventionellen ABC-Analyse nach der Wertstruktur dienen auch Kriterien wie erwarteter Beschaffungswert, erwartete Wiederbeschaffungs- zeit, erwarteter technischer Fortschritt, erwartete Produktionswirkungen der Identifizierung JiT-geeigneter Objekte. Maßgebliches Kriterium ist das Wert-Mengenverhältnis. Tendenziell bieten sich eher hochwertige Teile der A- und evtl. B-Kate- gorie an. Obwohl sie lediglich einen geringen Teil der gesamten Produktpalette ausmachen, entstehen im Fall ihrer spekulativen Lagerung hohe Kapitalbindungskosten. Mit Hilfe einer systematischen Analyse der Wie- derheschaffungszeiten können auch solche Teile, deren Wiederbeschaffung nur kurze Zeiträume in Anspruch nimmt, als JiT-geeig- net herauskristallisiert werden.
JiT-Logistik setzt eine gewisse Kontinuität im Sinne geringer Änderungssprünge der Produkte hinsichtlich ihrer Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsstruktur voraus. Die Verbrauchsstruktur der Produkte kann mit Hilfe einer XYZ-Analyse ermittelt werden. Danach weisen X-Produkte einen deterministischen, vorhersehbaren Verbrauch bei höchster Prognosegenauigkeit auf. Sie sind besonders JiT-geeignet. Produkte, die unregelmäßig benötigt werden, sog. Z-Produkte, können dagegen nicht Just-in-Time beschafft od er distribuiert werden (vgl .Abh.). Eine weitere Analysemöglichkeite ist z.B. die GMK-Analyse, die Produkte in große, mittlere und kleine Teile differenziert und damit Ansatzpunkte für die Ermittlung eines Wertvolumenverhältnisses liefert. Eine Kombinationder Einzelanalysen ermöglicht zuverlässige Aussagen über die Eignung bestimmter Produkte für die Anwendung einer JiT-Logistik. Der JiT-Produktanalyse muss sich die Identifizierung JiT-geeigneter Transaktions-/Kooperationspartner anschließen. Hierzu zählt neben der Auswahl JiT-geeigneter Zulieferer auch die Auswahl JiT-geeigneter Logistik-Unternehmen (Logistik-Dienstleister). Der Trend zur Schnittstellenreduktion (single sourcing) geht einher mit der BeStrebung der Transaktions-/Kooperations- partner, sich langfristig vertraglich zu binden, so dass alle Beteiligten Vorteile aus der Realisierung der JiT-Logistik ziehen können. Die wesentlichen Analysekriterien beziehen sich auf Einzelaspekte des Lieferservice, da im Fall qualitäts-, mengen- und termin ««genauer Lieferungen infolge der reduzierten Lagerbestände auf keine oder nur auf geringe Reservebestände zurückgegriffen werden kann und somit Produktions- oder Nachfrageausfälle auf nachgelagerten Stufen der Logistik-Kette unvermeidlich sind. Insofern wird auch ein Logistik-Ketten integrierendes Qualitätsmanagement zur Voraussetzung für die Realisierung einer JiT Logistik. Die Auswirkungen einer JiT-Logistik sind zunächst in einer Umschichtung der Kapitalbindung vom Umlaufvermögen ins Anlagevermögen zu sehen, was einerseits dadurch erklärt wird, dass die Warenbestände in JiT- Logistiksystemen auf ein Minimum reduziert werden und dass zur Realisierung einer JiT-Logistik l. d. R. hoch automatisierte und somit kapitalintensive Produktions-, Kommissionier-, Umschlags-, Transport- und v.a. auch Transparenz schaffende Informationssysteme (Informations-Logistik) installiert werden müssen. Ein weiteres Phänomen von JiT-Systemen ist die zunehmende Sensibilität. Zwar führt die Einführung von JiT-Logistik zu einer in Grenzen höheren Flexibilität, jedoch stößt diese schnell an ihre Grenzen, wenn der für das Funktionieren des Systems unabdingbare Material- und Informationsfluß ins Stocken gerät oder fehlerhafte Elemente enthält. Insofern ist es fraglich, ob bei Auftreten derartiger Störungen JiT-Logistiksysteme eine hinreichende Robustheit aufweisen. Die für die Implementierung von JiT-Systemen notwendige durchgängige Planung aller Material- und Informationsflüsse begünstigt in der Praxis zwei Entwicklungen. Einerseits kommt es zu Konzentrationsprozessen und andererseits zum Aufbau umfangreicher Kooperationsformen. Beiden ist gemeinsam, dass sie eine Komplexitätsreduktion i. S. einer Minimierung der Schnittstellen im Logistiksystem anstreben. //
Literatur: Sharman, G., Die Wiederentdeckung der Logistik, in: HARVARDmanager, Heft 3, (1985), S. 48-53. Wildemann, H., Das Just-in- Time-Kon/:ept. Produktion und Zulieferung auf Abruf, Frankfurt/Main 1988. Begriff aus der Leserschaftsforschung: Durchschnittliche Leserschaft einer Zeitschrift, errechnet aus den Angaben zur Lesehäufigkeit und des Weitesten Leserkreises.
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