Die Notwendigkeit der Durchführung von Neuproduktabsatzprognosen leitet sich aus der Zahl der Flops wie aus der Höhe der notwendigen Aufwendungen für die Neuproduktentwicklung ab. Zielsetzung und Inhalt von Neuproduktabsatzprognosen bestehen in der Ableitung von Aussagen über zukünftige Absatzentwicklungen unter Verwendung von Modellen, Gesetzmäßigkeiten und Erfahrungen. Die Absatzprognose ist eine Basis der im Rahmen des Innovationsma- nagement mehrfach durchzuführenden Wirtschaftlichkeitsanalyse, ein Kardinalproblem der Absatzpolitik. Nach der Screening- Phase sollte für die verbliebenen Produkte eine erste Analyse der wirtschaftlichen Chancen durchgeführt werden, um eine verläßliche GO/NO-Entscheidung bezüglich der Weiterentwicklung zu treffen bzw. über Neusegmentierung oder Produktveränderungen nachzudenken. Die Break-even- Analyse kann einen ersten Hinweis auf die notwendigen Absatzmengen geben, die zum Erreichen der Gewinnzone notwendig sind. Um Aussagen in Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Produkteinführung treffen zu können, sind Umsatz-, Marktanteils-, cash-flow-, Kosten- und Gewinnprojektionen durchzuführen. Hierfür bildet eine Absatzprognose den ersten Schritt. Während die Prognose für bereits am Markt etablierte Produktgruppen durch Analyse von Absatzdaten der Vergangenheit möglich ist, sind Neuproduktabsatzprognosen besonders problematisch, denn es liegen noch keine oder nur wenige Absatzdaten vor, und Akzeptanztests auf der Käuferebene lassen dieDynamikdes Diffusionsprozesses außer Betracht. Kennzeichnend für die Neuproduktabsatzprognose ist eine disag- gregierte Betrachtungsweise. Grundlegender Gedanke in den meisten Verfahren ist eine Unterscheidung nach Absatzursachen in Erst- und Wiederkäufe, wobei letztere nach Kaufzeitpunkt oder Kaufhäufigkeiten zu gliedern sind. Die Erstkäufe werden als Reaktion auf die durch Werbung und Produktgestaltung gemachten Gebrauchsversprechen gewertet. Ihre Summe entspricht der Marktdurchdringung (Penetration). Die Wiederkäufe spiegeln die Zufriedenheit des Kunden wider. Sie sind entscheidend für den langfristigenMarkterfolg. Für Absatzprognosen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt im Neuproduktplanungs- prozeß können bestimmte Tests durchge- führtwerden. In Anlehnung an Urban-Hau- ser (1980) werden drei Testphasen mit unterschiedlichem Analyseschwerpunkt unterschieden: Testen von Komponenten und Instrumenten Vor-(Pre-)Testmarkt »Testmarkt Die Schätzungdes Absatzes erfolgt überMo- delle, die mit Daten aus den einzelnen Testphasen gespeist werden.Wegen der Vielzahl und Komplexität dieser Modelle folgt nur eine knappe Skizze der strukturellen Unterschiede der Modellansätze (Kaufein- trittsmodelle): Labortestmodelle Die in Labortests ermittelten Kaufver- haltensdaten werden zusammen mit psy- chomctrischen Daten und Angaben zur Produkt-Marketingkonzeption in Mar- kenwahlmodellen (Ermittlung der Wieder- kaufwahrscheinlichkeiten), Modellen der Präferenz und Einstellung(Ermittlung der Wirkung auf bestehenden Märkten) und sog. Erstkaufmodellen verarbeitet. Im Anschluß lassen sich die Ergebnisse durch Einsatz von Absatz- bzw. Marktanteilsmodellen zu einer langfristigen Prognose für den Absatz und den Marktanteil verdichten. Testmarktmodelle In Testmarktmodellen werden im Unterschied zu Labortestmodellen nicht simulierte, sondern echte Kaufverhaltensdaten zur Analyse der Erfolgschancen eines neuen Produktes verwendet. Das wichtigste Einteilungskriterium der Testmarktmodelle ist die Aggregationsstufe der Eingabedaten (Absatzmengen oder Kaufhandlungen). Zugleich werden sie danach eingeteilt, ob nach Erst- und Wiederkäufen unterschieden wird. DisaggregierteTestmarktmodelle Die eingehenden Daten kennzeichnen Kaufakte, daher werden meistens auch Erst- und Wiederkäufe unterschieden, um die beiden Ursachenkomplexe in der Prognose getrennt zu berücksichtigen. Ablaufmodelle (Prozeßmodelle) Ablauf- oder Prozeßmodelle erfassen die unterschiedlichen Phasen des Adoptionsprozesses (Wahrnehmung-Erstkauf- Wiederkauf). In diesen mehrstufigen Kausalmodellen wird statt der detaillierten Erfassung des Wiederkaufverhaltens in erster, zweiter und dritter Ordnung eine globale Wiederkaufrate für alle Wiederkäufe in Abhängigkeit vom Erstkaufzeit- punkt bestimmt. In der Praxis am weitesten verbreitet ist das Parfitt/Collins-Modell (1968). Es dient der Prognose des langfristigen Marktanteils(Gleichgewichtsmarktan- teil), der sich nach Stabilisierung des Diffusionsprozesses einstellt. Das spezifische Charakteristikum des Modells ist es, dass die Wiederkaufrate eines Käufers als abhängig von der Zeit nach seinem Erstkauf (Erstkaufalter) betrachtet wird. Im Gleichgewichtszustand hat die Durchdringung ihren oberen Grenzwert erreicht, und es treten keine weiteren Erstkäufer auf. Die Wiederkäufer berechnen Parfitt/Collins als Produkt aus kumulierten Erstkäufen und Wiederkaufrate. Der langfristige Marktanteil (MA) ergibt sich aus dem Produkt der jeweiligen Grenzwerte von Durchdringung (P), Wiederkaufrate (R) und relativer Kaufintensität (B): MA = P\'R!\'B. Erweiterte Modelle berücksichtigen zusätzliche Wirkungsstufen, indem sie gleichzeitig die Entwicklung der Produktwahrnehmung und -kenntnis erfassen: Depth of Repeat Modelle Diese Ansätze nehmen eine differenzierte Betrachtung der Wiederkäufer in Wieder- kaufklassen vor. Grundlage ist das Fourt- Woodlock-Modell (I960), das für die Prognose der Penetration ein exponentielles Modell verwendet. Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Modelle können bei der Messung des Wiederkaufverhaltens höherer Ordnung entstehen, da wegen der oft kurz bemessenen Erhebungszeiträume in höheren Wiederkaufklassen oft nur geringe Besetzung vorliegt. Kom binierte Mo delltypen Neuere Modellentwicklungen machen sich eine kombinierte Betrachtungsweise zueigen. Sie umfassen sowohl Elemente der Depth of Repeat als auch der Ablauf modelle. Gemeinsam ist ihnen, dass die Produktwahrnehmung als intervenierende Variable dem Erstkauf vorgeschaltet wird. Erst- und Wiederkäufe werden nachfolgend durch seperate Modellgleichungenbeschrieben. Aggregierte Prognosemodelle Liegen keine disaggregierten Informationen zur Absatzentwicklung des neuen Produktes vor, besteht nur die Möglichkeit, die globale Absatzentwicklung zu messen. Diese Test- marktstudien liefern aber erst dann zuverlässige Informationen, wenn eine Stabilisierung auf dem Testmarkt eingetreten ist. Die in den Zeitreihen enthaltenen Informationen können systematisch mit Produkt-Lebenszy- klus-Modellen erklärt werden. Im Vordergrund steht die Entwicklung langfristiger Trendprognosen. Besonders Absatzprognosen für sehr innovative Produkte bereiten Theorie und Praxis heute noch große Schwierigkeiten. Folgende Problemfelder sind dafür verantwotlich: Absatzprognosen auf aggregierter Ebene können erst erfolgen, wenn hinreichend Informationen aus den Testmärkten für eine Extrapolation zur Verfügung stehen. Die Datenbeschaffung im realen Umfeld wird noch durch die bei innovativen Produkten üblicherweise gewünschte Geheimhaltung erschwert. Labortests sind demgegenüber theoretisch weniger gut hochzurechnen (extern gültig). Ferner wird der Verlauf des Diffusionprozesses mangels Berücksichtigung von Wechselwirkungen bei disaggregierten Prognosen praktisch nicht berücksichtigt. So sind auch das Verhalten der Konkurrenz und weitere Spielregeln auf neuen Märkten schwer zu bestimmen. Nicht zuletzt wegen dieser Probleme haben Positionierungsmodelle auch als Grundlage von Neuproduktprognosen an Bedeutung gewonnen (z.B. Perceptor, Proposas). Sie beruhen auf (vertraulich zu haltenden) Befragungsdaten. /F. R.
Vorhergehender Fachbegriff: Neupositionierung | Nächster Fachbegriff: Neuprodukteinführung
Diesen Artikel der Redaktion als fehlerhaft melden & zur Bearbeitung vormerken
|
|