bedeutet, dass eine zukünftige Handlung, die Teil eines heute formulierten optimalen Plans ist, vom Blickwinkel eines späteren Zeitpunkts nicht mehr optimal erscheint, obwohl zwischenzeitlich keine wichtigen neuen Informationen aufgetreten sind. Das Phänomen ist Ende der 70er Jahre in die Theorie der Wirtschaftspolitik integriert worden und stellt seitdem ein Hauptkriterium für die Bewertung wirtschaftspolitischer Vorschläge dar. Die Bedeutung dieser Theorie für die Volkswirtschaftslehre ist insbes. im Kontext der Regel-versus-Diskretionarität-Debatte zu verstehen. Diskretionäre Wirtschaftspolitik heißt, dass die Instrumentenvariablen der Politik jede Periode neu bestimmt werden. Dies entspricht weitgehend der Praxis der Prozeßpolitik in allen Ländern. Demgegenüber steht die Forderung nach einer Regelbindung, die schon im 19. Jh. von den Vertretern der currency-Theorie und später von Ökonomen wie Henry SIMONS und Milton FRIEDMAN aufgestellt wurde. Die hauptsächlichen Argumente für eine Regelbindung der Politikbehörden waren die folgenden: · sie verschaffe den privaten Wirtschaftssubjekten Erwartungssicherheit über die staatlichen Aktivitäten und erhöhe dadurch ihre Planungssicherheit; · sie erleichtere es dem Staat, Pressionen von seiten privater Interessengruppen zu widerstehen; · sie liefere den privaten Wirtschaftssubjekten erst die Kriterien, um die Leistung einer Politik bzw. ihrer Träger hinreichend einschätzen zu können. Verteidiger eines diskretionären Politikkurses hatten der Forderung nach einer Regelbindung insbes. folgendes entgegengehalten: einer sich diskretionär verhaltenden Politikbehörde stünde es frei, sich im Bedarfsfalle (wenn oder solange eine Regelbindung die optimale Politikstrategie darstellen sollte) dementsprechend zu verhalten. Grundsätzlich sollte sie sich jedoch die Flexibilität bewahren, von der Regel abzuweichen, wenn es notwendig wäre, z.B. nach größeren Angebots schocks. Mit anderen Worten: Diskretionarität dominiere Regelbindung. Erst neuere Überlegungen zur Zeitinkonsistenz optimaler Wirtschaftspolitik konnten dieses Argument der Befürworter einer diskretionären Politikstrategie entscheidend schwächen. Sie zeigten, dass es, bei Vorliegen gewisser Marktunvollkommenheiten, für eine Politikbehörde einen ex-post-Anreiz gibt, bei einem ungebundenen Regelversprechen von der ex-ante-optimalen Lösung (der Regel) abzuweichen. Dies gilt selbst für eine Politik, die nur das Gesamtinteresse (Gemeinwohl) im Auge hat. Wenn die privaten Wirtschaftssubjekte diese Anreizstruktur erkennen, werden sie dies in ihre Erwartungen über den politikökonomischen Prozess mit einbeziehen. Das gesamtwirtschaftliche Ergebnis ist dann eines, das schlechter sein wird, als wenn sich die Politiker von vornherein durch eine Regelbindung die Hände gebunden hätten, so dass sie der Versuchung nicht hätten nachgeben können. Das grundsätzliche Strategieproblem, das in der Zeitinkonsistenztheorie mit Hilfe der Methoden der Spieltheorie und der Theorie der rationalen Erwartungen herausgearbeitet wird, betrifft alle Gebiete der (Wirtschafts-)Politik. Im folgenden soll es an einem Beispiel aus der Geldpolitik anschaulich gemacht werden. Angenommen, die Politiker versprechen in einer inflationären Ausgangssituation, zukünftig Preisniveaustabilität herzustellen. Nehmen wir weiter an, sie seien auch in der Lage, dieses Versprechen einzuhalten, wenn sie wollten. Wenn die privaten Wirtschaftssubjekte diesem Versprechen Glauben schenken, bauen sie vorhandene Inflationserwartungen ab. In die Lohn-und Preisverträge gehen dann auch keine Inflationserwartungen mehr ein. Nach vollzogenen Erwartungsanpassungen und entsprechenden Lohn- und Preiskontrakten hat aber die Politikbehörde einen Anreiz, doch entgegen ihrer Ankündigung mit Hilfe ihrer Geldpolitik weiterhin Inflation zuzulassen. Der Grund ist, dass dadurch (annahmegemäß) die gesamtwirtschaftliche Produktion und das Volkseinkommen steigen (vermittelt über die erzeugten Reallohnsenkungen bei länger-laufenden Lohnkontrakten). Diese Strategie der Irreführung erweist sich anscheinend als gesamtwirtschaftlich rational, denn sie bringt den privaten Wirtschaftssubjekten in der nächsten Periode einen größeren gesamtwirtschaftlichen Nutzen. Das Problem ist nur, dass diese letztlich das Spiel bzw. die beschriebene Anreizstruktur durchschauen. Folglich werden sie sich in Zukunft (ggf. schon von vornherein) mit ihren - Erwartungen dem anpassen und entsprechend versuchen, trotz der Preisniveaustabilitätsankündigung der Politikbehörde Inflationszuschläge in den Lohnverträgen durchzudrücken. Wenn dies gelingt, wovon i.d.R. auszugehen ist, ist die Politikbehörde unter Zugzwang. Sie hat dann zwei Alternativen. Sie kann entweder diese Lohnkontrakte (mit den integrierten Inflationserwartungen) geldpolitisch akkomodieren. Dadurch würde sie die erwartete - Inflation erzeugen, ohne allerdings nun die anfangs erhofften Produktions- und Nutzensteigerungen realisieren zu können. Oder sie kann die Inflation vermeiden, indem sie Arbeitslosigkeit, verbunden mit Produktionsrückgängen, erzeugt. In beiden Fällen stellt sich eine gesamtwirtschaftliche Nutzenminderung gegenüber der Strategie einer Bindung der Politikbehörde an ihr Stabilitätsversprechen ein. Die grundsätzliche wirtschaftspolitische Frage, die sich aus der Zeitinkonsistenztheorie ergibt, ist die, ob sich hieraus zwingend die Forderung nach einer Regelbindung ableiten läßt. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass dies nur dann allgemein der Fall ist, wenn die folgenden sechs Annahmen, die das Prototyp-Modell der Zeitinkonsistenztheorie kennzeichnen, die Realität zutreffend beschreiben: a) Die Politiker interessieren sich nur für das Ergebnis der folgenden Zeitperiode (Einperiodenansatz); b) es herrscht keine Unsicherheit (deterministischer Ansatz); c) die Inflationsrate ist durch das Zentralbankgeldangebot präzise steuerbar; d) es besteht die Möglichkeit, die Arbeits losigkeit kurzfristig auf Kosten von mehr Inflation zu verringern (Existenz einer PHILLIPS-Kurve); e) diese Verringerung der Arbeitslosigkeit (unter die sog. natürliche oder inflationsstabile Rate) ist sozial auch erwünscht (Vorliegen von privat nicht internalisierbaren Extemalitäten); t) die privaten Wirtschaftssubjekte erkennen die Anreizstruktur der Politikbehörde (rationale Erwartungsbildung). Sobald eine dieser Annahmen aufgegeben wird, ist die Schlußfolgerung, dass eine Regelbindung unverzichtbar ist, da sie allein zeitkonsistent sei, nicht mehr allgemein gültig. Wenn wir z.B. einen Mehrperiodenansatz wählen, so besteht für die Politikbehörde nur dann ein Anreiz, von ihrem Regelversprechen abzuweichen, wenn ihre Zeitdiskontierungsrate hinreichend hoch ist oder sie glaubt, keine hinreichend starke Bestrafung (z.B. in Form eines langwierigen Glaubwürdigkeitsentzugs durch die privaten Wirtschaftssubjekte) befürchten zu müssen. Dies zeigt, dass erst genaue empirische Untersuchungen des jeweiligen politökonomischen Umfeldes Aufschlüsse über die mögliche Zeitinkonsistenz einer politischen Entscheidung und die daraus zu ziehenden strategischen Maßnahmen geben können. Literatur: Wagner, H. (1998). Barro, R.J., Gordon, D. (1983). Kydland, Prescott, E.C. (1977)
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