Die konkrete Umsetzung eines Sozio-Mar- keting kann nicht unabhängig von den jeweiligen institutioneilen Trägern und deren Besonderheiten (etwa öffentliche versus private, kommerzielle versus nicht-kommerzielle Sozio-Marketing-Träger) gesehen werden. Die problemorientierte Perspektive ist insofern in einem zweiten Schritt um eine institutionelle Perspektive zu ergänzen. Aus der konsequenten Verfolgung des problemorientierten Ansatzes resultiert notwendigerweise jene weitgefaßte Institutionsperspektive, die nicht nur nicht-kommerzielle Institutionen als Träger des Sozio-Marketing gelten läßt. Einzubeziehen sind dabei zunächst jene Unternehmen, die neben ihrem herkömmlichen Hauptprogramm (Herstellung und Vermarktung von Bier, Kraftfahrzeugen etc.) zusätzlich sog. Sozio- Programme realisieren, die ökologischen oder sonstigen aktuellen Zielen dienen (vgl. z.B. das ökologische Engagement der Fa. Al- pirsbacher Klosterbräu oder die Beteiligung verschiedener Unternehmen an Anti-Dro- genkampagnen, Maßnahmen der Kunstförderung u.a.m.). Uber solche Sozio-Pro- grammaktivitäten hinaus ist ferner zu beachten, dass den im Zentrum des Geschäftszwecks stehenden Angebotsprogrammen von Unternehmen mitunter eine herausragende Rolle im Kontext der Verwirklichung aktueller sozialer Ziele zukommt. Zu denken ist hier z.B. hinsichtlich der Verwirklichung gesundheitspolitischer Ziele nicht nur an die Pharmaindustrie (Pharma-Marketing) sowie an die Hersteller medizinisch-technischer Geräte, sondern bspw. auch an die Gesundheitsprodukte der Nahrungsmittelindustrie. Unternehmen, deren Sachziel in der Herstellung und/oder Vermarktung von Leistungen besteht, die im Kontext aktueller gesellschaftlicher Probleme einen wesentlichen Problemlösungsbeitrag bieten (Anbieter von Solaranlagen, von besonders gesunden Nahrungsmitteln usw.), lassen sich durchaus in jene Gruppe von Institutionen einordnen, die nicht nur einen akzidentiellen, sondern einen dominanten Soziobezug aufweisen und als Sozio-Institutionen bezeichnet werden können. Im nicht-kommerziellen Sektor zählen hierzu -je nach akzentuiertem Sozialziel - etwa so verschiedenartige Institutionen wie karitative Organisationen (Deutscher Caritas-Verband), Verbraucher- und umweltpolitische Institutionen (Stiftung Warentest, Umweltbundesamt, Greenpeace), Hilfsorganisationen (Welthungerhilfe, Rotes Kreuz), gesundheitsfördernde Institutionen und Initiativen wie die Deutsche Krebshilfe oder die Anti-AIDS-Kampagne. Unternehmerisches Sozio-Marketing zeichnet sich freilich in aller Regel dadurch aus, dass die Triebfeder des sozialen Engagements nicht in erster Linie soziale Zielsetzungen bilden, sondern v. a. Unternehmensmteres- sen und hier nicht zuletzt die Verwirklichung von Wachstums- und Gewinnzielen. So sind denn auch die zuvor erwähnten Sozio-Pro- gramme zumeist weniger als Ausdruck eines philantropen Mäzenatentums, als vielmehr eines auf die Verwirklichung klassischer PR- und Marketingziele ausgerichteten Sozio - Sponsoring zu werten. Und bei Unternehmen, die in ihrem Hauptprogramm bzw. in ihrer Sachzielkonzeption einen dominanten Soziobezug aufweisen, ist davon auszugehen, dass es im Kern häufig nur um das gewinnbringende Ausschöpfen neuartiger Marktchancen geht, das angesichts aktueller Tendenzen des Wertewandels inzwischen zu einer zentralen Legitimationsfrage gewordenist. Im Zentrum der institutioneilen Perspektive stehen allerdings nicht nur die Einsatzmöglichkeiten der Marketingtechnologie unter Würdigung institutioneller Besonderheiten der jeweiligen Sozio-Marketing-Träger. Besonderes Gewicht erlangt vielmehr auch die Frage, in welcher Weise nicht-kommerzielle Organisationen eine Ergänzungs- und/oder Korrekturfunktion wahrnehmen können (z. B. verbraucherpolitische Institutionen als Unternehmenskorrektiv). Nutzung der gesamten Marketingtechnologie im Rahmen des Sozio-Marketing So unterschiedlich die jeweils vom Sozio- Marketing aufgegriffenen sozialen Probleme, die Strukturen und Programme der Sozio-Marketing-treibenden Institutionen auch sein mögen: Es hat jeweils um die Nutzung der gesamten Marketingtechnologie zu gehen, die sich aus grundlegenden Marketingleitideen (z.B. Bedürfnis- bzw. Gratifikationsorientierung), Informations- und Planungskonzepten, strategischen Handlungsprogrammen, Aktionsinstrumenten und aus Konzepten zur Verankerung einer Marketingkonzeption innerhalb der Organisationsstrukturen und -kultur rekrutiert. Allein der Einsatz einzelner Kommunikationstechniken durch nicht-kommerzielle Sozio-Marketing-Träger oder ein oberflächlich angelegtes Aufspringen auf die Sponsoring-Welle oder auf die Öko- und Bio-Welle im Rahmen unternehmerischer Kommuni- kations- und z. T. vielleicht noch Produktpolitik vermögen den erhofften Erfolg nicht zu erbringen. Ausgangspunkt bei der Verwirklichung einer Sozio-Marketing-Konzeption hat die kritische Überprüfung und ggf. Revision der Philosophie sowie generell der Kultur der jeweiligen Organisation zu bilden. Dies gilt zum einen für kommerzielle Sozio-Marketing-Träger, die vielleicht in höherem Maße als bisher ein langfristiges und ganzheitliches, durch soziale Verantwortung und Weitsicht geprägtes Denken zu entwickeln und innerhalb des Unternehmens zu kultivieren haben, um nicht dem Risiko einer Konzentration auf „Sozio-Mätzchen“ zu erliegen, die zumindest mittelfristig von der Öffentlichkeitkaum akzeptiertwerden. Entsprechende Umdenkungsprozesse sowie Prozesse einer Neuausrichtung der Organisationskultur sind zum anderen häufig gerade auch bei nicht-kommerziellen Sozio- Marketing-Trägern dringend erforderlich. Zu denken ist etwa an verbraucherpolitische Institutionen (Verbraucherverbände, Stiftung Warentest), die sich erst in jüngerer Zeit z. B. dem Problemfeld Ökologie zugewandt haben und in diesem Kontext ihr Selbstverständnis kritisch überprüfen mußten bzw. noch weiter überprüfen müssen. Ferner stellt im Sektor nicht-kommerzieller Sozio-Mar- keting-Träger die Internalisierung und Umsetzung grundlegender Marketingleitideen noch vielfach eine zentrale Herausforderung dar. Auf der Basis einer innerhalb der Organisationskultur verankerten Sozio-Marketing- Philosophie stellt sich der Einsatz der weiteren Elemente der Marketingtechnologie - analog zum traditionellen kommerziellen Marketing - wie folgt dar: Auf der Basis systematisch gewonnener Informationen über die vorliegende Situation, deren Hintergründe und vermeintliche Entwicklung (Marketingforschung) sind Strategien zur Beeinflussung und/oder Bedarfsdeckung zu entwickeln und durch den planmäßigen Einsatz der Marketingaktions- instrumente (Produktpolitik, Kommunikationspolitik usw.) zu verwirklichen. Im Bereich der Basisstrategien spielen etwa Strategien der Marktsegmentierung, der Kooperation bzw. strategische Allianzen und teilweise auch die Internationali- sierungsstrategie eine ähnlich große Rolle wie im klassischen kommerziellen MarketinsNicht zu vernachlässigen ist schließlich auch das Aufgabenfeld des Beschaffungsmarketing. Im Sektor des versorgungsorientierten Marketing kommt dem Beschaffungsmarketing etwa in Gestalt des Spendenmarketing eine herausragende Bedeutung zu, sei es, dass es sich um Spendenaufrufe von Sozio- Institutionen (z.B. der Welthungerhilfe) oder kommerzieller Unternehmungen handelt (vgl. z.B. die seinerzeitige Aktion der Illustrierten „stern“ - Raffee/Wiedmann/ Abel, 1983). In solchen Fällen sind Beschaf- fungs- und Absatzmarketing in Richtung auf ein Gleichgewicktsmarketmg hm zu integrieren. Sozio-Marketing in der Makroperspektive Das Sozio-Marketing-Konzept umschließt, neben der bislang unterstellten Perspektive eines Marketing für einzelne aktuelle soziale Ziele bzw. eines Sozio-Marketing einzelner Institutionen (Mikroperspektive), auch die Analyse von Sozio-Marketing-Handeln aus gesamtgesellschaftlicher Sicht (Makroperspektive). Damit wird u.a. dem Umstand Rechnung getragen, dass Sozio-Marketing nicht nur eine effiziente, sondern auch eine äußerst problembehaftete Sozialtechnologie sein kann. Dies bspw. dann, wenn Sozio- Marketing für „negative“ sozial Ziele wie z.B. Akzeptanz kriegerischer Auseinandersetzungen eingesetzt wird oder dazu beiträgt, die Machtposition einzelner Institutionen oder gesellschaftlicher Gruppen auszubauen. Von hier ergibt sich die Notwendigkeit sowohl der Diskussion ethischer Normen (Marketingethik) als auch umfassender, empirisch fundierter Wirkungsanalysen. Insgesamt wird deutlich: Sozio-Marketing ist eine neue Marketing- (Forschungs-)kon- zeption, bei der die Planung und Realisation des Marketing der unterschiedlichsten Institutionen aus dem Blickwinkel einer Verwirklichung aktueller sozialer Ziele analysiert, beurteilt und gestaltet werden soll. Dem Sozio-Marketing kommt gerade in einer Zeit des Legitimationsbedarfs der herkömmlichen Marketingaktivitäten und des klassischen Marketing ein besonderer Stellenwertzu. H. R./K.
Literatur: Bruhn, M.; Tilmes,]., Social Marketing, Stuttgart u. a. 1989. Fox, K. F. A.; Kotier, Ph., The Marketing of Social Causes: The first 10 Years, in: Journal ofMarketing, Vol. 44 (1980), No. 4, S. 24- 33. Hölscher, C., Sozio-Marketing, Essen 1977. Kotier, Ph.; Zaltman, G., Social Marketing: An Approach to Planned Social Change, in: Journal of Marketing, Vol 35 (1971), No. 3, S. 3-12. Raffée, H.; Wiedmann, K.-P.; Abel, B., Sozio-Marketing, in: Irle, M.: Handbuch der Psychologie, Teilband 12 (Marktpsychologie), Göttingenu. a. 1983.
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