Die Marketing-Ethik befaßt sich wertorientiert in ihrem Kernbereich mit Ansprüchen aller Marktpartner einer Unternehmung im Zusammenhang mit ihrem Produktangebot und Dienstleistungsangebot (beschaffungsseitige und absatzseitige Mikroumwelt) und mit den Ansprüchen weiterer gesellschaftlicher Gruppierungen, die von den Folgen dieses Angebotes kurz- oder längerfristig betroffen sind (Makroumwelt, wie z. B. ökologische Basisgruppen). Dabei sind gerade solche Ansprüche von marketingethischer Bedeutung, die nicht über den Markt artikuliert werden können. Darüber hinaus erweitert sich der Problemkreis der Marketingethik parallel zu der Ausdehnung von Anwendungsfeldern des Marketing, wie sie in verschiedenen „Bindestrich“-Marketinglehren zum Ausdruck kommt (Beispiel: Social-Marketing; Non-Business-Marketing; Mega-Marketing).
Die Veränderungen in den Werthaltungen (Wertedynamik) von Individuen und Öffentlichkeit führt u.a. zu einer Diskussion der Sozial- und Urnweltverträglichkeit von modernen Technologien (Technology Assessment); sie fördert darüber hinaus das gesellschaftliche Verantworlungsbewusstsein des Marketingmanagements. Vor diesem Hintergrund wird über eine Codifizierung ethischer Grundsätze für Marketing-Manager diskutiert, die ihr Handeln leiten sollen. Fragen der Ethik werden auch durch die Marktforschung berührt, in der moderne elektronische Informations- und Kommunikationstechnologien (Informationstechnologie), so Sensor- und Lasertechnologien, neuartige telemetrische Beobachtungsverfahren und Messverfahren ermöglichen (High-Tech-Marktforschung), die die Vision des »gläsernen Konsumenten« heraufbeschwören.
Die Marketing-Ethik betrifft Fragen moralischer Werte und Normen des Marketing und seiner gesellschaftlichen Verantwortlichkeit. Sie ist als Bereichsethik eingebettet in die wissenschaftliche Entwicklung der Unternehmensethik. Diese hat sich in den Nachkriegsjahren bereits Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre als Debatte um die soziale Verantwortung der Unternehmung entwickelt und in Reformvorschlägen zur Unternehmensverfassung und zur gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung ihren Niederschlag gefunden. In dieser Zeit wurde in der Marketingwissenschaft das Human Concept of Marketing (Dawson) diskutiert und eine Erweiterung auf das Social Marketing-Konzept (Kotler) durchgeführt (Marketinggeschichte).
In den 80er Jahren entstand ein weiterer Entwicklungsimpuls, der v. a. ethische Fragen der strategischen Unternehmensführung aufgeworfen hat (H. Wächter). Hier liegt auch ein wesentlicher Ansatzpunkt des Marketing, soweit es als Unternehmensführung vom Markt begriffen wird. Die Marketing-Ethik ist in den USA weit stärker diskutiert und entwickelt als in der bundesdeutschen Betriebswirtschaftslehre der Nachkriegszeit. Diese fühlte sich im Rahmen ihrer methodologischen Geschichte stark dem Wertfreiheitspostulat (Max Weber) verpflichtet und hinterfragte nur wenig die mit ökonomischer Rationalität verbundenen Wertkonsequenzen, deren Realisierung systemethisch durch die interessenausgleichende Wirkung des Marktes legitimiert erschien.
Anwachsende Machtpotentiale der Unternehmen auf der Basis von Kooperations- und Konzentrationsprozessen haben die Handlungsspielräume der Manager erweitert und im Umgang mit mehr Macht auch individualethische Fragestellungen aufgeworfen. Grossunternehmen erfüllen als quasi-öffentliche Institutionen mittlerweile eine Vielzahl von politischen, kulturellen, sozialen und ökologischen Funktionen für verschiedene Anspruchsgruppen. Zunehmend unerwünschte externe Effekte unternehmerischer Tätigkeit haben ein Anwachsen gesellschaftlicher Kritik hervorgerufen und Wertkonflikte zwischen der Unternehmensleitung und Teilen ihrer gesellschaftlichen Umwelt deutlich gemacht. Diese spiegeln sich auch in individuellen moralischen Dilemmata von Managern wider (“ ethical gap “).
Die inhaltlichen und methodischen Ansatzpunkte der Marketing-Ethik lassen sich nach drei wichtigen Dimensionen klassifizieren, aus deren Kombination verschiedene Forschungsfelder gebildet werden können:
1. Nach methodologischen Aussagekategorien: präskriptive Normenethik, deskriptiv / explikative Ethik,
2. Nach inhaltlichen Arten von Normen: materiell-ethisch, formell-ethisch,
3. Nach Betrachtungsebenen: Individuum, Unternehmung, Unternehmensgruppen und Verbände, Gesellschaft.
Zu (1): Die präskriptive Marketing-Ethik beruht auf philosophischen Grundlagen und stellt die Frage, wie sich ein Manager verhalten soll. Sie gibt also Werturteile über das sittliche Handeln. Dabei wird entweder die einem Verhalten zugrundeliegende Gesinnung (Gesinnungsethik, deontologisch orientierte Ethik) oder das Handlungsergebnis (Verantwortungsethik, teleologische Ethik) bewertet.
Demgegenüber beschäftigen sich die deskriptive und explikative Ethik als Erfahrungswissenschaft mit einer Beschreibung und Erklärung von sittlichen Werten in Gesellschaftsgruppierungen. Die in den USA verbreitete Marketing-Ethik wird i.d.R. in dieser Forschungsabsicht betrieben.
Wichtige Themenkomplexe bilden insb. das Erkennen und Erklären von Wertkonflikten a) als Rollenkonflikte eines Marketingmanagers b) als interpersonelle Konflikte eines Unternehmens (z. B. Marketing gegenüber Produktion) bzw. c) als Konflikte zwischen Unternehmen und externer Umwelt.
Diese erfordern Analysen der Kritik am Marketing, wie z. B. irreführende Werbung, Obsoleszenz, Schädigungen durch unsichere oder ökologisch bedenkliche Produkte (ökologisches Marketing).
Zu (2): Bei der Entwicklung von formellethischen Normen geht es um Entscheidungsmethodiken und Entscheidungsverfahren des Management in Hinblick auf die Schaffung von Rahmenbedingungen für ethisches Handeln. Dazu gehören institutionelle, prozessuale und instrumentelle Normen. Hier ist z. B. die Diskurs-Ethik einzuordnen, die sich mit Bedingungen des idealen Dialogs zwischen Handlungsbetroffenen befaßt (P. Ulrich; H. Steinmann).
Praktische Beispiele dieser Art stellen im Marketingbereich die Einrichtung von Verbraucherabteilungen oder Verbraucherbeiräten dar. Demgegenüber sind materiell-ethische Normen situationsunabhängige Handlungsregeln (Beispiel: Verhaltenskodizes). Derartige materielle Normen schwanken zwischen der Gefahr allgemeiner Unverbindlichkeit und Abstraktheit einerseits und konkreter, aber kasuistischer Regelstarre andererseits.
Zu (3): Marketingethische Betrachtungen setzen auf verschiedenen institutionellen Ebenen an. Auseinandersetzungen mit Werthaltungen und Wertkonflikten der Marketingmanager, Analysen ethischer Entscheidungsprozesse oder Anregungen für Ausbildungskonzepte beziehen sich auf die Individualebene von Marketingmanagern. Demgegenüber wird mit dem Thema der Unternehmenskultur als Instrument der Entwicklung von Unternehmensethik oder mit Wertfragen für Marketingstrategien eine unternehmensbezogene Sicht verfolgt. Auf einer unternehmensübergreifenden Verbandsebene hat sich die Marketing-Ethik insb. mit Verhaltenskodizes befaßt. Diese werden als Möglichkeit diskutiert, gesellschaftlich wünschbare Wertorientierungen ohne Wettbewerbsverzerrungen anzuregen und durchzusetzen, wobei allerdings einerseits Gefahren unverbindlich verbleibender Moralappelle und andererseits unzureichende Sanktionsmöglichkeiten und Freerider-Erscheinungen bestehen. Auf gesellschaftlicher Ebene stellen sich unter marketingethischen Aspekten Fragen rechtlich verbindlicher oder informeller Normen, in denen sich allgemeine gesellschaftliche Wertorientierungen ausdrücken.
In rechtlicher Hinsicht sind im Rahmen der Unternehmensethik insb. Fragen der Unternehmensverfassung und der gesellschaftsbezogenen Rechnungslegung behandelt worden, die unter Marketinggesichtspunkten Aspekte der unternehmensverfassungsrechtlich gesicherten Beteiligung von Konsumenten bzw. der Berücksichtigung ihrer Betroffenheit in einer gesellschaftlichen Rechnungslegung des Unternehmens beinhalten (z. B. Sozialbilanzen der Migros). Auf allen Betrachtungsebenen können sowohl deskriptive wie präskriptive marketingethische Überlegungen ansetzen.
Literatur:
* Hansen, U., Marketing und soziale Verantwortung, in: DBW, 48. Jg., S. 711-721.
* Steinmann, H.-, Lohr, A. (Hrsg.), Unternehmensethik, Stuttgart.
* Ulrich, P., Unternehmensethik diesseits oder jenseits der betriebswirtschaftlichen Vernunft, in: Lattmann, C. (Hrsg.), Ethik und Unternehmensführung, Heidelberg, S. 96-116.
* Wächter, H., Soziale Verantwortung der Unternehmung. Eine Literatur-Analyse, in: Dierkes, M.; Wenkebach, H. H., Macht und Verantwortung, Stuttgart, S. 141-186.
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