Für die Geldpolitik spielen insbesondere Inflationserwartungen eine wichtige Rolle. Erwartungen können vergangenheitsorientiert (statisch, extrapolativ oder adaptiv, d.h. frühere Erwartungsfehler berücksichtigend) oder auch zukunftsgerichtet gebildet werden. Im letzten Fall, bei sogenannten rationalen Erwartungen, werden die Wirkungen der Geldpolitik von den Wirtschaftssubjekten in ihren Plänen antizipiert. Dies hat zur Folge, daß etwa eine expansive Geldpolitik in dem Maße wirkungslos wird, wie sie Inflationserwartungen erzeugt: Der Versuch, via Senkung der Geldmarktzinsen auch die Kapitalmarktzinsen zu senken, kann mißlingen, wenn — erwartungsbedingt — in den Kapitalmarktzins ein (erhöhter) Inflationszuschlag einkalkuliert wird. Geldpolitisch ausgelöste Inflationserwartungen haben weiterhin auch eine außenwirtschaftliche Dimension, indem vor allem institutionelle Anleger mit Kapitalabzügen aus inflationsgefährdeten Ländern reagieren. Zinssteigerungen und Abwertungen (einschließlich der damit verknüpften Einkommens- und Vermögenseffekte) sind die Folge. Realwirtschaftlich nicht begründbare spekulative Übersteigerungen mit ihren destabilisierenden Konsequenzen sind nicht auszuschließen.
Da Inflationserwartungen stark von Erfahrungen geprägt werden, entsteht für die europäische Geldpolitik das Problem, daß bestimmte Maßnahmen in einzelnen Ländern unterschiedlich interpretiert werden. (Die Preisstabilität der letzten Jahre ist für einige der EU-Länder ein neues Phänomen.) Für den Erfahrungs-Erwartungs-Zusammenhang ist weiterhin die Glaubwürdigkeit der geldpolitisch zuständigen Institution von Belang. Anders als für die Deutsche Bundesbank, wo ein vergangenheitsorientiertes Vertrauen auf einen Stabilitätskurs rational war, muß das Eurosystem und hier insbesondere die Europäische Zentralbank Glaubwürdigkeit durch konsequente Stabilitätspolitik erst aufbauen.
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