Die jüdische Bankiersfamilie Rothschild stammt aus Frankfurt am Main. In der Frankfurter Judengasse betrieb der Gründer der weitverzweigten Dynastie, Mayer Amschel Rothschild (1744-1812), einen bescheidenen Textilhandel und betätigte sich als Geldwechsler. Im Jahre 1766 gründete er in Frankfurt das Bankhaus Rothschild, das sich als Financier des europäischen Adels einen Namen gemacht hat. Während der älteste Sohn von Mayer Amschel Rothschild, Amschel Mayer, das Stammhaus übernahm, gründeten seine vier jüngeren Brüder in Paris, London, Wien und Neapel Filialen der Rothschild-Bank. Auch dank dieses weitverzweigten Systems von Niederlassungen in Europa und durch die enge Zusammenarbeit innerhalb der Familienzweige wurde das Bankhaus rasch zu einem der führenden Banken Europas. Die Vermählungspolitik der Familie unterstützte dieses Ziel: Es wurde vor allem innerhalb der Familie geheiratet. Später, als es fünf über Europa verteilte Familienzweige gab, wurde diese Heiratspolitik beibehalten. So blieb der Reichtum immer in der Familie.
Anfang des 19. Jahrhunderts war die Rothschild-Bank die größte deutsche Privatbank. Ihre Bedeutung verlor sie jedoch nach der Reichseinigung 1871. Damals entstanden die ersten Banken auf der Basis von Aktien, und diese ersten Aktiengesellschaften des Bankgewerbes verfügten natürlich über erheblich mehr Kapital als eine Bank, die sich in Familienbesitz befand.
Im Jahre 1901 stirbt der letzte männliche Sproß des deutschen Zweiges der Rothschilds. Die Geschichte der Rothschilds als deutsche Finanzmagnaten endet also Anfang des 20. Jahrhunderts. Damit erlischt auch das Frankfurter Stammhaus. Das Vermögen der damals reichsten deutschen Familie wurde an die Mitglieder der anderen Rothschild-Zweige vererbt. Die britische Linie wurde von Nathan Rothschild (1777-1836) begründet, dem ältesten Sohn des Firmengründers Mayer Amschel. Vor allem riskante Spekulationen und der Bruch der von Napoleon gegen England verhängten Kontinentalsperre machten aus Nathan Rothschild einen der reichsten Männer Großbritanniens. Eine seiner Spezialitäten war der Schmuggel. Da es auch eine Dependance der Familie in Frankreich gab, schmuggelte er insbesondere Gold quasi auf beiden Seiten der »Front«, je nach »Frontlage«: Seine Interessen waren nicht patriotischer, sondern pekuniärer Natur. James Rothschild (1792-1868), der jüngste Sohn des Mayer Amschel, war zu Beginn der Kontinentalsperre 14 Jahre alt. Sein Bruder Nathan war daher der treibende Keil bei ihren Schmuggelaktionen zur Umgehung der Kontinentalsperre, die ihnen ungeheure Profite einbrachten. Doch die große Zeit von James Rothschild begann 1817. Der französische König Ludwig XVIII. hatte sich im Exil 200 000 Pfund von der britischen Regierung geliehen. Nach der Wiedereinsetzung des Königs übernimmt James Rothschild - im Hintergrund wirkt sein Bruder Natlian - die Forderungen der Briten, und prompt legt der König seine Einkünfte nur noch bei den Rothschilds an. Als der Herzog von Orleans, ein Kunde und Freund von James Rothschild, als Bürgerkönig Louis Philippe 1830 an die politische Macht gelangte, erreichte auch die wirtschaftliche Macht Rothschilds ihren Höhepunkt. James Rothschild war eine Schlüsselfigur des französischen Eisenbahnbaus. Die erste französische Eisenbahnstrecke von Paris nach Saint Germain (1837) wurde von ihm finanziert. Die Kunst, sich die mächtigsten Politiker der Zeit zu Verbündeten zu machen, war auch für den wirtschaftlichen Erfolg der österreichischen Linie ausschlaggebend. Salomon Rothschild (1774-1855) war Geldgeber des Staatskanzlers Met-temich, mit dem er befreundet war, und sanierte den maroden Haushalt des österreichischen Staates. Zum Dank erhielten die Rothschilds den Adelstitel. Salomon Rothschild war engagiert in der Kohle- und Montanindustrie und wurde zu einem der größten Immobilienbesitzer Europas. Auch in der österreichischen Finanzwirtschaft blieben die Rothschilds bis in die Nazizeit führend. 1938 wurde Louis Rothschild verhaftet und konnte das Land nach über einjähriger Haft erst verlassen, nachdem er auf alle österreichischen Besitztümer verzichtet hatte. Noch heute sind die Rothschilds überaus erfolgreiche Geschäftsleute, nunmehr natürlich allein der britische und der französische Familienzweig. Die Rothschilds sind nicht nur an Banken beteiligt, sondern auch an Gesellschaften der chemischen, der Bergwerks- und der Erdölindustrie; so sind die Rothschilds Großaktionäre der Ölgesellschaft Royal Dutch Shell. Aber auch im Versicherungswesen, in der Lebensmittelindustrie, dem Tourismus und dem Investmentbereich sind die Rothschilds aktiv. Und auch am weltgrößten Diamanten- und Goldkonzern der Welt, De Beers, ist die Familie beteiligt.
Vorhergehender Fachbegriff: Rote Zahlen | Nächster Fachbegriff: Rotterdamer Markt
Diesen Artikel der Redaktion als fehlerhaft melden & zur Bearbeitung vormerken
|
|