Gesamtheit aller Normen, Regeln und Institutionen, die das Zusammenleben von Menschen in einer Gesellschaft gestalten. Sie setzt sich aus verschiedenen Teilordnungen (Wirtschaftsordnung, politisch-rechtlicher Ordnung, kultureller Ordnung) zusammen, die ineinandergreifen und wegen der Interdependenz von Ordnungen nicht isoliert betrachtet werden können. Die gravierenden Unterschiede zwischen den Gesellschaftsordnungen, wie sie lange Zeit in "westlichen" und "östlichen" Ländern verwirklicht waren, beruhen letztlich auf zwei konträren gesellschaftstheoretischen Grundauffassungen: (1) Die liberale Gesellschaftstheorie wurde im 18. Jh. von John Locke, David Hume, Adam Smith u.a. entwickelt und besonders unter ökonomischen Aspekten ausgebaut. In ihr handelt der "unvollkommene" Mensch nach seinen Eigeninteressen, die er auch zu Lasten anderer zu verwirklichen sucht. Dies kann er jedoch in einer Gesellschaft nur dann, wenn er Initiativen ergreift und bei seinem Handeln die Eigeninteressen anderer berücksichtigt. Die Skepsis gegenüber staatlicher Autorität und Machtausübung einerseits und das Vertrauen in die Fähigkeiten der von Eigeninteressen geleiteten Menschen, eine spontane Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens hervorzubringen andererseits prägen die liberale Idee von einer menschenwürdigen Gesellschaftsordnung, in der ein Höchstmass individueller Freiheiten zugleich äusserst effiziente Machtkontrollen und soziale Anpassungsmechanismen etabliert. (2) Die auf Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir 1. Lenin zurückgehende marxistisch-leninistische Gesellschaftstheorie unterstellt hingegen "vollkommene" Menschen, die unter entsprechenden Rahmenbedingungen ihre Eigeninteressen zurückstellen und unmittelbar gemeinwohlorientiert handeln. Erst wenn die privatkapitalistischen Produktionsverhältnisse und damit die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sowie die Anarchie einer marktorientierten Produktionsweise historisch überwunden und durch gesellschaftliches Produktionsmitteleigentum und planvolle Gestaltung der gesellschaftlichen Beziehungen ersetzt werden, kann der gemeinwohlorientierte Mensch ein menschenwürdiges Dasein in einer von Klassenkämpfen freien und deshalb konfliktarmen Gesellschaft führen. Im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess wird der Vollkommenheit des Menschen zwangsläufig zum Durchbruch verhol- fen, und gleichzeitig wird der Staat absterben. Die unterschiedlichen Menschenbilder sind somit zentraler Bestandteil der konkurrierenden Gesellschaftstheorien und prägten die gesellschaftspolitischen Ordnungskonzeptionen. Literatur: Leipold, H., Gesellschaftstheoretische Fundierung der Wirtschaftssysteme, in: Hamei, H. (Hrsg.), Soziale Marktwirtschaft - Sozialistische Planwirtschaft. Ein Vergleich Bundesrepublik Deutschland - DDR, 5. Aufl., München 1989, S. 1 ff.
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