Übertragung und Anwendung soziologischen Wissens auf den Bereich des Wirtschaftslebens. Insbesondere wird sichtbar, dass soziale Strukturen und Prozesse in gesamtgesellschaftliche Bezüge eingebettet sind und von daher gewissermassen als Ausschnitt oder als "Subsystem" der Gesellschaft begriffen werden können. Nach Auffassung von Talcott Parsons ist deshalb die gesamte Wirtschaftswissenschaft eigentlich als spezielle Soziologie zu betrachten. Die Ökonomen sind jedoch weit davon entfernt, eine solche Perspektive zu akzeptieren, zumal sie der Meinung sind, in ihrem Bereich ein weit höher entwickeltes Lehrgebäude anbieten zu können, als es die vielschichtig und sich zerstritten darbietende Soziologie vermag. Die Verbindungslinien zwischen "Wirtschaft und Gesellschaft" sind seit langem auch das Thema der soziologischen "Klassiker": Für Karl Marx ist der ökonomische Basisbereich — hier vor allem der unterschiedliche Zugang zu Produktionsmitteln sowie das Auseinanderfallen von Produktivkräften und gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen — der eigentliche Motor des gesellschaftlichen Kräftespiels (—Industriesoziologie, —industrieller Konflikt). Für Emile Durkheim ist die Arbeitsteilung der wesentlichste Aspekt gesellschaftlicher Differenzierung. Für Max Weber ist die Verzahnung sozialer und ökonomischer Gegebenheiten das zentrale Thema; in seinen religionssoziologischen Schriften weist er nach, wie veränderte Glaubensinhalte das Arbeitsethos sowie die Entwicklung des kapitalistischen Systems (Kapitalismus) beeinflusst haben. Für Georg Simmel ist die Idee des Tauschs sowie des Tauschmediums Geld wesentlich. Damit leitet Simmel auch bereits eine Betrachtungsweise ein, die heute im Rahmen der sog. Austauschtheorien von einigen Soziologen vertreten wird und die — ihrem Anspruch nach — ein Verhaltensmodell entwerfen möchte, das ein möglicherweise verkürztes Menschenbild der Wirtschaftstheorie mit sozialen Komponenten anreichert. Die Wirtschaftssoziologie trägt insgesamt dazu bei, die soziale Einbettung wirtschaftlicher Vorgänge und Strukturen zu analysieren. Insofern macht sie gerade jene Faktoren zum Gegenstand expliziter Analyse, die Ökonomen oftmals in den Datenkranz ihrer Ceterisparibus-Prämissen verweisen. Dabei ist die Gegenüberstellung von "Wirtschaft und Gesellschaft" seit Max Weber konstitutiv für ein Programm besonderer Art. Der analytische Fokus dieses Ansatzes ist weniger die Frage, wie Wirtschaft als Institution funktioniert und wie wirtschaftliches Verhalten erklärt werden kann; vielmehr geht es um folgende Fragenkreise: Wie gestaltet sich das Verhältnis der Wirtschaft zu anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen? Welche Rolle spielt die Wirtschaft im Kontext gesamtgesellschaftlicher Prozesse? Welches sind die sozial relevanten Dimensionen ökonomischer Sachverhalte? Andere "Programme" der Wirtschaftssoziologie sind eher verhaltenstheoretischer oder systemtheoretischer Natur. Auf der Verhaltensebene geht es um die Besonderheiten des Verhaltens im ökonomischen Kontext. Hierbei macht die Wirtschaftssoziologie u. a. vom "ökonomischen Ansatz" (z. B. Coleman) in der —Soziologie Gebrauch. Im Prinzip geht es darum, ein (erweitertes) ökonomisches Nutzenprinzip auch auf ausserökonomische Sachverhalte anzuwenden. Systemtheoretische Überlegungen knüpfen meist an die klassische Analyse von Parsons und Smelser an, die insbesondere die verschiedenen Interdependenzen zwischen gesellschaftlichen und ökonomischen Teilsystemen zum Gegenstand macht. Nach Luhmann ist die Wirtschaft ebenso wie die Gesellschaft — ein autopoietisches System, das durch das Kommunikationsmedium Geld seine Selbstkonstitution bewirkt. Während die letztgenannten Überlegungen von empirischen Bezugspunkten ziemlich entrückt scheinen, sind die einzelnen Teil-Wirtschaftssoziologien konkreter und anwendungsbezogener. Als Themenbereiche wären etwa zu nennen: Die verschiedenen Sparten der Wirtschaftssoziologie sind unterschiedlich gut entwickelt. Während die Arbeits- und Berufssoziologie (—Arbeitssoziologie, —Beruf) sowie die —Betriebs- und Organisationssoziologie bereits eine langjährige empirisch fundierte Forschungstradition aufweisen, ist die Industriesoziologie — zumal unter dem Einfluss marxistischer Denktradition — ausserordentlich kontrovers und in vielen Ausformungen wirtschaftsfeindlich ideologisiert. Die —Markt-und Konsumsoziologie ist empirisch und theoretisch schwach entwickelt, findet jedoch ge-genwärtig stärkere Beachtung. Literatur: Heinemann, H., Soziologie wirtschaftlichen Handelns, Opladen 1987. Kutsch, Th./Wiswede, G., Wirtschaftssoziologie, Stuttgart 1986.
Vorhergehender Fachbegriff: Wirtschaftssektoren | Nächster Fachbegriff: Wirtschaftsspionage
Diesen Artikel der Redaktion als fehlerhaft melden & zur Bearbeitung vormerken
|
|