Der Prozess der Rollenübernahme wird mit dem Konzept der Rollenepisode veranschaulicht: Rollenerwartungen führen zur gesendeten Rolle, diese führt zur empfangenen Rolle, und die Antwort darauf drückt sich im Rollenverhalten aus.
Organisationsmitglieder richten in Interaktion und Kommunikation Erwartungen an das Verhalten des Rollenempfängers. Sie beobachten ihr Verhalten und bewerten es in Relation zu ihren Erwartungen.
Erwartungen und Bewertungen werden an die fokale Person kommuniziert, diese Informationen erreichen die fokale Person als sozialer Einfluß-Versuch.
Der Rollenempfänger nimmt die gesendete Rolle wahr und entschlüsselt sie bzw. ihre Rollensegmente. Es ist wichtig zu sehen, dass das Organisationsmitglied seine Rolle nur indirekt erschließen, nicht jedoch direkt erlernen kann. Der Rollenempfänger muss über einen Satz von Interpretationsregeln und über ein hinreichendes Situationswissen verfügen, um die Erwartungen überhaupt entschlüsseln zu können. Tritt jemand neu in eine Organisation ein, so muss er erst nach und nach erlernen, die Rollenanforderungen zu begreifen, er muss sich erst mit den Sinnstrukturen und dem über Jahre gesammelten Erfahrungswissen der neuen Institution vertraut machen (sekundäre Sozialisation).
Die Antwort des Rollenempfängers auf die gesendeten Informationen ist sein (beobachtbares) Rollenverhalten. Es kann den Erwartungen entsprechen oder davon abweichend sein. Inwieweit das Verhalten den Erwartungen entspricht, ist zunächst einmal eine Frage der Sanktionen negativer und positiver Art, die mit den Erwartungen verknüpft sind. Nonkonformes Rollenverhalten kann aber auch in Kommunikationsschwierigkeiten, Mißverständnissen und Fehlinterpretationen, bedingt durch personale und/oder interpersonale Faktoren, sowohl was die Rollensender als auch die -empfänger anbelangt, seine Ursache haben. Die Abweichung ist dann unbeabsichtigt. Sie kann aber auch beabsichtigt sein, z.B. dann, wenn der Rolleninhaber aus ethischen Gründen den Erwartungen nicht entsprechen will.
Im Zyklus der Rollenepisode wird das gezeigte Rollenverhalten wiederum von den Rollensendern registriert und mit den gehegten Rollenerwartungen verglichen. Die Rolle wird dann erneut gesendet usw.
Die Rollenepisode wird von Kontextfaktoren überlagert. So können Elemente der Organisationsumwelt, wie die Technologie, die Organisationsstruktur oder – das - Anreizsystem, die Rollenübernahme erleichtern oder erschweren.
Persönlichkeitsmerkmale der (des) Sender(s) sowie des Empfängers beeinflussen die Art der Rollensendung und auch die Fähigkeit und Bereitschaft der Wahrnehmung und Umsetzung. Eine große Bedeutung kommt ferner den interpersonalen Beziehungen zu, die zwischen dem Sender und Empfänger, aber auch gegebenenfalls zwischen den Sendern bestehen. So beschleunigt z.B. Sympathie zwischen den Akteuren für gewöhnlich die Episode.
Die Rollenepisode gibt einen guten Eindruck von dem komplexen sozialen Prozess des Rollenverhaltens. Der Prozess wird allerdings, was das einzelne Individuum betrifft, im wesentlichen reaktiv beschrieben; das betreffende Organisations- und Gruppenmitglied hat lediglich die Entscheidung, ob es mit den Erwartungen konform gehen will oder nicht (was seinerseits wesentlich über - Anreize steuerbar gedacht wird).
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