Strategisches Beschaffungsmarketing ist eine auf die Beschaffungsmärkte ausgerichtete Unternehmenspolitik, die ausdrücklich inputspezifische Marktchancen systematischnutzen will. In der Vergangenheit wurde die Beschaffung v.a. unter operativen Aspekten betrachtet. Beschaffungsaufgaben und -ziele wurden von anderen Funktionsbereichen definiert („abgeleitete Funktion“). Die Beschaffung beschränkte sich darauf, einen vorgegebenen Bedarf nach vorgegebenen Zielkriterien (Qualität, Menge, Zeit, Ort) zu decken. Erst in den letzten Jahren entwickelte sich das Problembewusstsein für die strategische Bedeutung von Beschaffungsentscheidungen i. S. echter Führungsentscheidungen des Unternehmens. Die Aufwertung in der Bedeutung kann im Zusammenhang mit einigen grundlegenden Tendenzen der Aufgabenumwelt von Unternehmen gesehen werden: - drastische Reduzierung der Fertigungstiefe, damit verbunden eine Erhöhung des Anteils an Fremdbezügen („ Outsour- cing“) bis zu 80%; - zunehmende Automatisierung in der industriellen Fertigung; - stärkere informationeile Vernetzung der verschiedenen Wirtschaftsstufen; - Marktsättigung auf vielen Absatzmärkten und weltweit aufgebaute Uberkapazitäten (bspw. Kfz-Industrie) zwingen zu erhöhter Flexibilität und höherer Variantenanzahl; - die zwischenbetriebliche Arbeitsteilung wird national und international verstärkt fortgesetzt; - die ökologischen Anforderungen an die industrielle Produktion nehmen zu. Die skizzierten Umweltentwicklungen haben dazu geführt, dass Lcistungsaustausch- prozesse zwischen den Wirtschaftsstufen stärker hierarchisch abgestimmt werden. Kooperative Formen der Planung zwischen Lieferantund Abnehmer ersetzen zumindest für eine gewisse Zeit marktliche Koordinationsmechanismen. Dieser Sachverhalt wird etwa beim Single Sourcing deutlich, wo einem einzelnen Lieferanten die gesamte Verantwortung für ein bestimmtes Beschaffungsobjekt übertragen wird, und die Entscheidungen über Bedarfskonkretisierung und -deckung wechselseitig abgestimmt werden. Neben dieser Form der vertikalen Abstimmung gewinnen zunehmend auch horizontale Beschaffungskooperationen Bedeutung. Sie sind auf die Nutzung horizontaler Verbundpotentiale gerichtet, die sich durch Bedarfsbildung (mengenmäßig) und -Standardisierung in Form von Losgrößen vorteilen beim Lieferanten erzielen lassen. Schließlich können Lieferantenpotentiale bei verstärkter internationaler Arbeitsteilung nur erschlossen werden, wenn die Beschaffungsaktivitäten auf internationale Märkte ausgerichtet werden (Global Sourcing). Strategisches Beschaffungsmarketing konkretisiert sich in einer Vielzahl struktureller und marktbezogener Maßnahmen. Sie sind auf die Gestaltung der unternehmensinternen Voraussetzungen gerichtet oder haben die Beeinflussung von marktlichen Gegebenheiten zum Ziel. Der Einsatz der einzelnen Beschaffungsinstrumente muss sich an einem Marktbearbeitungskonzeptorientieren. Als strukturell sind diejenigen Maßnahmen anzusehen, die direkte Auswirkung auf die Managementfunktionen Planung, Organisation und Kontrolle haben. Zur Verbesserung der strategischen Planungs- und Entscheidungsprozesse tragen auf der strategischen Seite besonders folgende analytische Arbeitsschritte bei: (1 ) Beschaffungs-Portfolioanalysen Mit Hilfe einer (Beschaffungs-) Portfo- lioanalyse sollen alle strategisch relevanten Informationen aus den Beschaffungsmärkten und aus dem Unternehmen systematisch erfaßt werden, um die strategisch bedeutsamen Inputfaktoren diagnostizieren zu können. Die Analyse läuft in fünf Schritten ab:
1. Ermittlung strategisch bedeutender Einkaufsprodukte anhand der Kriterien Gewinneinfluß und Beschaffungsrisiko.
2. Systematische Analyse des Einkaufsmarktes (Unternehmenspotential, Lieferantenpotential).
3. Positionierung in der Portfolio-Matrix. 4. Ableitung der Standardstrategien. 5. Entwickeln spezifischer Aktionspläne. 1) Erfahrungskurvenanalysen Aus der Erfahrungskurve lassen sich für die Beschaffung folgende Schlüsse ziehen: a) Verdoppelt sich die Absatzmenge eines Lieferanten, dann können Preissenkungsspielräume in der abgesteckten Marge für die Zukunft verhandelt werden. b) Fallen die Preise nicht in gleichem Maße wie die Kosten, sind kleinere Anbieter eher bereit, unter dem durchschnittlichen Preisniveau zu verkaufen, da zusätzliche Marktanteile zu größeren Vorteilen führen als die Realisierung kurzfristiger Gewinne. c) Güter, die noch am Beginn ihres Lebenszyklus stehen und somit die Erfahrungskurve noch nicht durchlaufen haben, weisen ein höheres Kostensenkungspotential als ältere Beschaffungsobjekte auf. Durch horizontale Beschaffungskonzentration bei einem Lieferanten kann vergleichsweise schnell die kumulierte Produktionsmenge vervielfacht und damit der zeitliche Verlauf der Erfahrungskurve beschleunigt werden. 1) Produktlebenszyklusanalyse Die Kenntnis der Lebenszyklen der Inputfaktoren (also der Absatzgüter der Lieferanten) kann dem beschaffenden Unternehmen wichtige Handlungsanleitungen geben und als Instrument des strategischen Beschaffungsmarketing eingesetzt werden. Die einzelnen Phasen des integrierten Produktlebenszyklus (vgl. Abh.) sind durch unterschiedliche Schwerpunkte in den Beschaffungsaktivitätengekennzeichnet: Phase 1: Entstehungszyklus - Versorgungssicherheit der Vormaterialien; - Förderung des Baukastenprinzips; - Informationen über Substitutionsmaterialien; - variable Vertragsgestaltung. Phase 2: Markteinführung - Beseitigung von Neuprodukt-Schwächen; - Mitgestaltung bei konstruktiven Änderungen; - minimale Lagerhaltung. Phase 3: Marktdurchdringung - Vermeidung von Versorgungsschwierigkeiten; - Berücksichtigung von Mengendegres- sionseffekten bei Lieferanten; - Vorbereitung auf erste Produktvariationen.
Phase 4: Marktsättigung - Kostenoptimierung; - Langfristverträge; - Produktstandardisierung. Phase 5: Marktdegeneration - kostengünstiger Rückzug aus dem Markt; - Abbau von Lagerbeständen; - Vermeidung von Preissteigerungen. 1) Gap-Analyse Der erwarteten Entwicklung einer bestimmten Zielgröße werden die erwünschten Soll- Werte gegenübergestellt. Die Soll-Ist-Ab- weichungen machen auf zukünftige strategische Probleme aufmerksam. Eine strategische Lücke ergibt sich im Beschaffungsbereich dann, wenn langfristig mehr bzw. andersartige Inputfaktoren benötigt werden als zur Verfügung stehen. Die festgestellte Lücke kennzeichnet den Handlungsbedarf der Beschaffungspolitik. Anpassungsstrategien setzen sowohl am Niveau der tatsächlich benötigten Inputfaktoren (Materialrationalisierung usw.) als auch an der generellen Verfügbarkeit der zukünftig benötigten Inputfaktoren an (Entwicklung von Beschaffungsquellen). Im taktisch-operativen Bereich sind dagegen die Wertanalyse und die automatisierte Einkaufsabwicklung als strukturverbessernde Informationssysteme hervorzuheben. Die Beschaffungsorganisation und die Beschaffungskontrolle sind die Phasen, die den Managementprozeß auf der Inputsei- te vervollständigen. Der Aufbau qualifizierter Mitarbeiter für den Beschaffungsbereich muss ebenfalls als strategische Maßnahme stru kturel 1 er Art verstanden werden. Marktbezogene Maßnahmen sind diejenigen strategischen Aktivitäten, die direkt auf die Strukturelemente der Beschaffungsmärkte und ihre Relationen wirken (Beschaffungsmarketing). Neben den bekannten beschaffungspolitischen Instrumenten Preis, Qualität, Beschaffungsweg und Beschaffungswerbung muss bei engerer Verknüpfung von Lieferanten und Abnehmern das Instrument Lieferantenpolitik zur Marktgestaltung aktiv eingesetzt werden. Die Gestaltung der Transaktionsbeziehung selbst ist Aufgabe der Lieferantenpolitik, die die Transaktion zwischen Zulieferer und Beschaffer zum Gegenstand hat. Eine sehr enge Form der Transaktion findet sich bei Just- In-Time- Anlieferungen.
Literatur: Arnold, U., Strategische Beschaffungspolitik, Frankfurt, Bern 1982. Arnold, U., Ziele, Aufgaben und Instrumente des Materialmanagements, in: Beschaffung aktuell, 9/1989, S.47-54. Lindner, T., Strategische Entscheidungen im Beschaffungsbereich, München 1983. Pfeiffer, W.; Bischof, P., Produktlebenszyklen - Instrument jeder strategischen Produktplanung, in: Steinmann, H. (Hrsg.), Planung und Kontrolle, München 1981,S. 133-166. Winand, U.; Weiters,K.,Beschaffung und strategische Unternehmensführung. Ergebnisse einer Delphi-Studie, in: Schmalen- bach-Gesellschaft (Hrsg.), Beschaffung und Unternehmensführung, Stuttgart 1982, S. 5 -100.
siehe Sourcingstrategien; siehe auch Beschaffungsmanagement und Einkaufscontrolling, jeweils mit Literaturangaben.
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