Im Europäischen Binnenmarkt wird es keine Grenzen und folglich keinen Export mehr geben. Aus bislang durch eine Vielzahl von Barrieren abgetrennten nationalen Teilmärkten werden z.T. recht heterogene Regionen desselben Marktes, deren ursprüngliche Verschiedenheiten (Qualitätsstandards, Produktspezifikationen, Kosten, Preise, etc.) einem wachsenden Anpassungsdruck ausgesetzt sind. Der Weg zum Europäischen Markt wird durch einen Strukturwandelwettbewerb geprägt sein, der von allen Beteiligten einen erheblichen Zuwachs an Flexibilität verlangt. Dies gilt allem voran für den Bereich der Marketing-Logistik. Hier schlagen sich die strategischen Neuorientierungen der Unternehmen besonders markant nieder, die zum Inhalt haben, länderübergreifende ähnliche Zielgruppen zu identifizieren, um eine europaweite, jedoch zielgruppengerechte Marktbearbeitung zu ermöglichen (Euro- Marketing). Sieht man eine der Aufgaben der Logistik in der Herstellung eines gewünschten Grades an Verfügbarkeit von Gütern und Informationen, wobei ein räumliches und/oder zeitliches Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage durch Transport und Lagervorgänge kompensiert wird, so wird die Logistik
- gerade im Europäischen Markt - zum kritischen Erfolgsfaktor. Die Beschaffungs- und Distributionsstrukturen von Industrie und Handel sowie die Leistungsstrukturen von Logistik-Unternehmen werden im Europäischen Markt von Grund auf überdacht und neu konzipiert werden müssen (vgl. Abb. 1). Im Beschaffungs- und Produktionsbereich versuchen viele Industrieunternehmen, durch eine zunehmende Auslagerung der Produktion von Komponenten auf Spezialisten ihre Produktionskosten zu senken und ihre Flexibilität im Markt zu erhöhen. Gleichzeitig wird die Suche nach den geeignetsten Lieferanten bis hin zu einem global sourcing regional immer weiter ausgedehnt. Der Europäische Markt fördert die logistisch brisante Kombination aus Ferti- gungsdesintegration, global sourcing und Just-in-Time, indem er länderübergreifende Arbeitsteilung erleichtert, die Transaktionskosten (Kosten der Inanspruchnahme des Marktes) senkt, dabei Standortvorteile (z.B. Ressourcenzugang, Lohnniveau) verstärkt marktwirksam werden läßt und den Wettbewerb verschärft. Die politischen Weichenstellungen in Gestalt eines Abbaus von Grenzkontrollen und einer Beseitigung von nichttarifären Handelshemmnissen schaffen für eine solche Entwicklung jedoch nur die notwendigen Voraussetzungen. Die hinreichenden Bedingungen muss die Logistik schaffen, wobei Industrie und Verkehrswirtschaft gemeinsam an der Entwicklung neuer Strukturen arbeiten müssen.
Der Wegfall von Grenzkontrollen führt bei grenzüberschreitenden Transporten zu einem teilweise beträchtlichen Zeit- und Kostengewinn. Beides rückt die Kundenstandorte im europäischen Ausland näher an die Produktionsstandorte. Regionale Produzenten werden daraufhin einen Teil ihrer Kosten- und Servicevorteile verlieren. Als Folge der Märkteintegration wird die Nachfrage nach Transporten steigen und sich dabei gleichzeitig strukturell verschieben: an die Stelle von Teil- und Komplettladungen zur Auffüllung ausländischer Läger werden zunehmend Stückgutsendungen für die Direkt- beiieferung ausländischer Kunden treten. Der Europäische Markt wird den Trend zu einer Zentralisierung der Warenverteilung fördern (Depotplanung, selektive Lagerhaltung). Dabei stehen nicht nur die Anzahl der bislang in Europa betriebenen Auslieferungsläger, sondern auch deren Standorte und Einzugsgebiete zur Disposition. Mit dem Wegfall der Grenzen sind die Strukturen dieser als nationale Insellösungen konzipierten Warenverteilsysteme ganzheitlich neu zu strukturieren. Ohne flächendeckende und länderübergrei- fende Strukturen für den Austausch von Gütern und Informationen (Informations-Logistik), die ein Höchstmaß an Zuverlässigkeit, Flexibilität und Transparenz zu möglichst niedrigen Kosten gewährleisten, bleibt Euro-Logistik ein frommer Wunsch. Hier sind insb. Logistik-Dienstleister gefordert, ihr Dienstleistungsangebot an die Erfordernisse des Binnenmarktes anzupassen. Dabei wird sich zeigen, ob dieses Angebot durch den Ausbau bestehender Verkehre (Rastersysteme) erreicht werden kann, oder ob sich der Übergang zu stark zentralisierten „Nabe- und Speiche“ - Systemen mit einer begrenzten Anzahl von Verkehrsknoten und weitgehend strahlenförmigen Relationen durchsetzt (vgl. Abb. 2). Die „Nabe- und Speiche“- Struktur ermöglicht eine hohe Auslastung der Transportkapazitäten auch bei Verkehren in und von strukturschwächeren Regionen, obwohl in Folge der zahlreichen Dreiecksverbindungen zwischen den Quell- und Zielgebieten deutlich mehr Tonnenkilometer gefahren werden. Die Entwicklung flächendeckender, innovativer Logistikstrukturen sowie der Zwang zur Kostendegression über hohe Auslastung (Marktanteile) werden einerseits zu Konzentrationsprozessen in der Logistikbranche führen, andererseits aber auch zu mannigfaltigen Formen der Kooperation. In beiden Fällen wird den Logistik-Unternehmen die entscheidende Funktion zukommen, nicht nur die Infrastruktur für den Gütertransport zu konzipieren und bereitzustellen, sondern auch die Infrastruktur, die den für Planung, Steuerung und Kontrolle unverzichtbaren Informationsaustauschermöglicht.
Literatur: Bleicher, K., Chancen für Europas Zukunft, Wiesbaden 1989. Bruhn, M.; Werle F. (Hrsg.), Europa 1992. Chancen und Risiken für das Marketing, Münster 1989. Tietz, B., Die Dynamik des Euromarktes. Konsequenzen für die Neupositionierung der Unternehmen, Stuttgart 1989.
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