Die mehrstufige Lagerhaltung umfaßt die Verteilung von auf der Basis von Prognosen produzierten Fertigwaren (spekulative Lagerbestände) auf die einzelnen Stufen in mehrstufigen Depotstrukturen. Die Stufig- keit der Depotstruktur kommt in der Anzahl der Depotstufen zum Ausdruck (Depotplanung}. Die (vertikale) Verteilung der Lagerbestände findet ihren Niederschlag im Zentralisierungsgrad. Er beeinflußt die Höhe der Logistik-Kosten und die Ausprägungen des Lieferservice, so bspw. die Lieferbereitschaft, die warte- und lagerbedingten Lieferzeiten und die Liefergenauigkeit. Davon unberührt bleibt die (horizontale) Verteilung der Bestände einer Lagerhaltungsstufe auf einzelne Depots dieser Stufe (Vorratspolitik). Lagerbestände bestehen aus Grund- und Sicherheitsbeständen. Der Zusammenhang zwischen mehrstufiger Lagerhaltung und mehrstufigen Depotsystemen läßt sich wie folgt charakterisieren: - Mehrstufige Lagerhaltung setzt ein mehrstufiges Depotsystem voraus. - Bei einstufigen Depotsystemen besteht kein (vertikales) Verteilungsproblem. - Mehrstufige Lagerhaltung dient im Rahmen der selektiven Lagerhaltung dem Angebot eines kundensegment- und arti- kelgruppenspezifischen Servicegrades. Zentral gehaltene Lagerbestände zeichnen sich durch einen geringen Grad an Vordisposition aus, was sich angesichts unbekannter Nachfragehöhe und -Verteilung (räumlich und zeitlich) als vorteilhaft erweist. In Abhängigkeit vonderVarianzderdezentral auftretenden Nachfrage ermöglicht ein hoher Zentralisierungsgrad eine Reduktion der im Gesamtsystem gehaltenen Sicherheitsbestände, da sich die Nachfrageschwankungen tendenziell kompensieren (Gesetz der großen Zahl). Je nach Zeitempfindlichkeit der Nachfrage brauchen die Sicherheitsbestände nur noch die Transportzeit vom Zentral- zum Auslieferungslager abzupuffern. Dezentral gehaltene, spekulative Lagerbestände ermöglichen kurze Lieferzeiten infolge ausgeprägter räumlicher Nähe zu potentiellen Kunden. Die Lieferbereitschaft wird durch die Höhe der Lagerbestände determiniert. Eine angestrebte hohe Lieferbereitschaft auf einer kundennahen Lagerstufe (Auslieferungslager) erfordert höhere Sicherheitsbestände. Beim Mehrproduktfall wird der beschriebene Zusammenhang exponentiell verstärkt. Der Zentralisierungsgrad von Lagerbeständen eines mehrstufigen Depotsystems ergibt sich aus der Summe der prozentualen Lagermengen jeder Lagerstufe, gewichtet mit einem Stufenindex (SI). Der Zentralisierungsgrad fällt zwischen der ersten (Zentral-) Lagerstufe (SI= 1) und der letzten (n-ten) Lagerstufe (SI = 1/n) monoton. Ein Zentralisierungsgrad von 100 % in mehrstufigen Depotstrukturen bedeutet demnach, dass sämtliche Bestände in einer Zentrallagerstufe gehalten werden. Der minimale Zentralisierungsgrad beträgt 1/n % und besagt, dass alle Bestände in der kundennächsten (n-ten) Lagerstufe gelagert werden. Abb. 1 gibt Beispiele für verschiedene Ausprägungen des Zentralisierungsgrades (abgekürzt: ZG) in einem vierstufigen Depotsystem (n = 4), wobei ein insgesamt gelagerter Bestand (abgekürzt: LB) in Höhe von 200 Mengeneinheiten unterstellt wird.
Ein hoher Zentralisierungsgrad spekulativer Lagerhaltung in mehrstufigen Depotsystemen ist Ausdruck einer geringen (vordispositionsbedingten) Risikoneigung, derzufolge jede Produktdifferenzierung, hier insb. ihre raum-zeitliche Dimension, so spät wie möglich, nämlich erst bei Vorliegen konkreter Nachfrage, erfolgt. Jedoch sind die auftrags- bedingtenTransportwege groß und die Auslastung der eingesetzten Transportmittel im Durchschnitt gering, da bei ausgeprägter Zeitsensibilität der Nachfrage kaum eine Möglichkeit zur Transportkonsolidierung besteht (Transportplanung). Allerdings ist bei dieser Lösung kein mehrstufiges Depotsystem zur spekulativen Lagerhaltung erforderlich, sondern nur noch bestandslose Umschlagspunkte. Bei total dezentraler Lagerhaltung werden sämtliche Warenbestände in den Auslieferungslagern gelagert. Das vordispositionsbedingte Risiko ist in diesem Fall maximal. Die Transportmittelauslastung bei der Beschickung der dezentralen Läger kann sehr hoch sein; die Transport- wege vom dezentralen Lager zum Kunden sind infolge der ausgeprägten räumlichen Kundennähe der Lagerbestände kurz. Aktuelle Trends, insb. die Realisierung von Just-in-Time-Konzepten (Just-in-Time- Logistik), führen angesichts steigender Unsicherheit und Dynamik der Nachfrageentwicklung tendenziell zu einstufigen Depotsystemen bei stark zentralisierter Lagerhaltung. Der Zentralisierungsgrad in solchen einstufigen Systemen ist ex definitione immer 100%. Abb. 2 faßt die wesentlichen Aussagen nochmals zusammen.
Literatur: Berg, C. C., Materialwirtschaft, Stuttgart, New York 1979. Kupsch, P. U.; Lindner, Th., Materialwirtschaft, in: Hemen, E. (Hrsg.), Industriebetriebslehre. 7. Aufl., Wiesbaden 1983, S. 273-359. Wagner, G. R., Lieferzeitpolitik. 2. Aufl., Wiesbaden 1978.
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