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kritischer Rationalismus

von Karl Raimund Popper (geb. 1902) entwickeltes philosophisch-erkenntnistheoretisches Programm. Es ging aus der geistigen Auseinandersetzung mit dem logischen Positivismus des Wiener Kreises (Rudolf Car- nap, Herbert Feigl, Victor Kraft, Moritz Schlick u.a.) hervor und fand seinen ersten Niederschlag in dem erkenntnistheoretischen Bestseller "Logik der Forschung" (1935). In späteren Schriften hat Popper den kritischen Rationalismus als globale Alternative zu zwei Grundrichtungen des philosophischen Denkens dargestellt: zum klassischen Empirismus (.Francis Bacon, John Locke, David Hume, John Stuart Mill u.a.) und zum klassischen Rationalismus (René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz, Baruch de Spinoza u. a.). Charakterisierbar ist der kritische Rationalismus durch drei miteinander verknüpfte Merkmale. Es ist dies erstens ein konsequenter Fallibilismus, d.h. die Einsicht in die prinzipielle Fehlbarkeit der menschlichen Erkenntnis und des Problemlösungsverhaltens insgesamt. Damit verbindet sich die Absage an alle Versuche, über jeden Zweifel erhabene Ausgangspunkte bzw. Basisinstanzen (Beobachtung, Vernunft) zu konstruieren. An die Stelle von (angeblich) sicheren Begründungen tritt der - für den Einzelnen sicherlich schwer durchhaltbare - permanente Zweifel an der Richtigkeit bisheriger Problemlösungen. Diese Grundhaltung kann als Kritizismus bezeichnet werden. Sie führt zum zweiten Merkmal, dem methodischen Rationalismus. Wer den Fallibilismus akzeptiert, für den ist es in methodischer Hinsicht vernünftig, bisherige Problemlösungen der kritischen Prüfung auszusetzen. Wie der konsequente Fallibilismus bezieht sich der methodische Rationalismus nicht nur auf den Bereich der Wissenschaft, sondern auch auf jede Praxis, und dabei insb. auch auf den Bereich der Politik. Konkret heisst dies, dass bisherige Lösungen mit Alternativen zu konfrontieren bzw. einer vergleichenden Bewertung zu unterziehen sind (wissenschaftlicher Pluralismus). Als drittes Merkmal ist der kritische Realismus anzuführen. Ihm kommt speziell im Hinblick auf die wissenschaftliche Erkenntnis Bedeutung zu. Während der naive Realismus davon ausgeht, dass die Wirklichkeit so ist, wie man sie wahrnimmt, erblickt der kritische Realismus das Ziel der Erkenntnis in der Erfassung der vom Erkenntnissubjekt, dem einzelnen Wissenschaftler also, unabhängigen Wirklichkeit. Damit wird dem Tatbestand Rechnung getragen, dass die Sinneswahrnehmungen oder auch die Messinstrumente ein unzutreffendes Bild von der Realität vermitteln können. Das allmähliche "Herantasten" an die vom erkennenden Subjekt unabhängige Wirklichkeit schlägt sich in der kritisch-rationalen Vorstellung vom Erkenntnisfortschritt und von der Wahrheitssuche nieder.   Literatur: Popper, K. R., Logik der Forschung, 8.  Aufl., Tübingen 1984. Albert, H., Die Wissenschaft und die Fehlbarkeit der Vernunft, Tübingen 1982.

von Karl R. POPPER entwickelte Methodologie, die auch in der Volkswirtschaftslehre erhebliche Bedeutung erlangt hat. Nach POPPER kann es keine sicheren ewiggültigen wissenschaftlichen Erkenntnisse geben. Wissenschaftliche Theorien haben demnach rein hypothetischen Charakter. Hypothesen lassen sich, etwas vereinfacht, als Behauptungen der Art »Alle Schwäne sind weiß« verstehen, d.h., es handelt sich um Allsätze, die über Tatbestände der Realität informieren. Findet man auch nur einen einzigen Schwan, der nicht weiss ist, dann ist die Hypothese falsifiziert (da ja nun nicht mehr alle Schwäne weiss sind). Eine Hypothese ist bestätigt, wenn bislang noch keine falsifizierenden Befunde (z.B. schwarze Schwäne) vorliegen. Man kann aber nicht sicher sein, ob es nicht in Zukunft irgendwo einen Schwan gibt, der nicht weiss ist. Folglich ist unser Wissen stets vorläufig bzw. hypothetisch. Wissenschaftlicher Fortschritt kann daher nicht in der Suche nach Bestätigungen liegen, sondern muss im beständigen Versuch bestehen, Hypothesen und Theorien zu falsifizieren, um auf diese Weise durch Elimination falscher Theorien zu Theorien zu gelangen, die der Wahrheit näherkommen. Wissenschaftler neigen dazu, jede Theorie vor der Falsifikation zu retten, etwa durch Einführung von Hilfshypothesen (z.B. Vögel, die schwarz sind, können niemals Schwäne sein), denn welcher Wissenschaftler hat schon Interesse daran, seine Theorien für falsch zu erklären. Folglich setzt Fortschritt eine kritische Einstellung und Grundhaltung der Wissenschaftler gegenüber Theorien voraus. POPPER belegt anhand historischer Beispiele, dass die erfolgreichsten Wissenschaften (z.B. Physik) aus einer Abfolge von Falsifikationen kühner Theorien bestehen und dass daher die Regeln des kritischen Rationalismus für den Wissenschaftsfortschritt funktional sind. Der Wissenschaftshistoriker Thomas KUHN hat dagegen anhand historischer Beispiele nachgewiesen, dass Theorien (er nennt sie Paradigmen) niemals falsifiziert, sondern abgelöst würden, ohne dass es dafür ausreichende und logisch zwingende Gründe gäbe. Eine Falsifikation sei schon deshalb kaum möglich, weil Wissenschaftler die Welt stets durch die Brille eines Paradigmas wahrnehmen. Paradigmen legen zum einen fest, welche Ausschnitte der Realität relevant sind, und zum anderen die Methoden (Messungen, Beobachtungen etc.) zur Erfassung und Beschreibung der Realität. Die Entwicklung einer Wissenschaft sei daher gekennzeichnet durch wissenschaftliche Revolutionen, und man könne nicht sagen, eine neue Theorie wäre eindeutig besser als die abgelöste Theorie, weil es dafür keine präzisen Kriterien geben kann. Die Ausführungen KUHNs sind auf heftige Kritik gestoßen, die v.a. aus dem Lager des kritischen Rationalismus kam. Innerhalb dieses Lagers waren aber die Reaktionen durchaus unterschiedlich. Während POPPER für eine permanente Revolution in den Wissenschaften eintrat und die von KUHN behauptete Unvergleichbarkeit von komplexen Theoriegebäuden bestritt, sah Imre LAKATOS, ein Schüler POPPERs, durchaus eine Notwendigkeit, den kritischen Rationalismus weiterzuentwickeln. Mit seiner Methodologie der Forschungsprogramme vollzog er den Schritt vom naiven zum geläuterten Falsifikationismus. Ein Forschungsprogramm ist nach LAKATOS gekennzeichnet durch a priori festgelegte Grundannahmen, die der Falsifikation entzogen sind, d.h., um einen harten Kern von Annahmen wird ein Schutzgürtel gezogen. Ein Progranun ist fortschrittlich, solange Wissenschaftler mit seiner Hilfe Probleme lösen können und so zu neuen Erkenntnissen gelangen. Erst wenn ein Forschungsprogramm stagniert, wird es durch ein anderes mit einem anderen harten Kern von Annahmen abgelöst. Für Paul FEYERABEND mußte auch der Rettungsversuch von LAKATOS ins Leere gehen. Weder der Falsifikationismus noch irgendeine andere Methodologie können Wissenschaftlern exakte Richtlinien vorgeben, denen sie im Falle nicht lösbarer Probleme folgen sollten. Ist es die Theorie, die da versagt oder die Wissenschaftler und ihr Mangel an Phantasie? Methoden engen lediglich die Kreativitätsspielräume von Wissenschaftlern ein, ohne ihnen Hilfestellungen zu geben, wie sie zu zutreffenden Theorien gelangen können. Folglich plädiert FEYERABEND wider den Methodenzwang und für einen offenen, herrschaftsfreien Diskurs der Wissenschaftler über Inhalte, Erfahrungen und Methoden. Derartige Überlegungen bildeten z.T. bereits in den 60er Jahren im neueren Methodenstreit zwischen Karl R. POPPER und Hans ALBERT auf der einen Seite und Vertretern der Frankfurter Schule, wie z.B. Theodor W. ADORNO und Jürgen HABERMAS, auf der anderen Seite den Streitgegenstand, ohne dass es damals gelungen wäre, zu einem Konsens zu gelangen. Für die Sozialwissenschaften traten die Vertreter des kritischen Rationalismus in diesen Diskussionen für einen methodologischen Individualismus ein, demzufolge soziale Institutionen stets als Ergebnis der Interaktionen sich rational verhaltender Individuen erklärt werden müßten, während der Holismus von der Existenz überindividueller Wesenheiten (wie z.B. Klassen, Staat) ausgehe und behauptet, sie wären nicht auf individuelles Verhalten reduzierbar (Selbstorganisation). Im politischen Bereich treten die meisten Vertreter des kritischen Rationalismus gegen den Historizismus, d.h. gegen die Auffassung einer Handlungsdetermination kraft geschichtlicher Gesetzmäßigkeiten (historischer Materialismus) und für ein piecemeal social engineering ein. Der kritische Rationalismus bestimmt zwar noch immer die Grundhaltung der meisten Ökonomen gegenüber Theorien. Allerdings hat die Kritik deutlich gemacht, dass es keine einfachen und leicht umsetzbaren Kriterien für die Falsifikation gibt. Neuere Autoren, wie Donald N. McCLOSKEY, empfehlen deshalb, dem alltäglichen Diskurs und den rhetorischen Elementen, die dabei zur Anwendung kommen, um andere zu überzeugen, größeres Augenmerk zu schenken. Literatur: Haslinger, F. (1993). Ökonomie und Gesellschaft (1993). Popper, K.R. (1989). McCloskey, D. (1986)

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