In einem formalen Sinne ist die Zahlungsbilanz eines Landes stets ausgeglichen. Dies ist notwendigerweise der Fall, weil erstens nach dem Prinzip der doppelten Buchführung verfahren wird und zweitens alle unvollständigen oder fehlerhaften Erhebungen durch einen —Restposten korrigiert werden (formaler Zahlungsbilanzausgleich). Wenn in der wirtschaftspolitischen und wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion von Zahlungsbilanzausgleich gesprochen wird, so geht es immer um den materiellen Zahlungsbilanzausgleich. Synonym dazu wird von einem Zahlungsbilanzgleichgewicht gesprochen, während der Terminus aussenwirtschaftliches Gleichgewicht eine etwas andere Bedeutung haben kann. Materieller Zahlungsbilanzausgleich wird mit dem Ausgleich bestimmter Teilbilanzen der Zahlungsbilanz gleichgesetzt. Jedoch ist auch wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt, auf den Ausgleich welcher Teilbilanzen es ankommt, damit von Zahlungsbilanzgleichgewicht die Rede sein kann. Zudem kann es sein, dass unter unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Konstellationen der Ausgleich unterschiedlicher Teilbilanzen Zahlungsbilanzgleichgewicht signalisiert. Die wichtigsten Konzepte zur Bestimmung eines materiellen Zahlungsbilanzausgleichs sind im einzelnen: (1) Ausgleich der Leistungsbilanz. Er liegt vor, wenn die Summe des Aussenbeitrages und des Saldos der Übertragungsbilanz gleich Null ist. Ein Leistungsbilanzsaldo von Null stellt im Prinzip insofern ein Gleichgewicht dar, als das Inland im Leistungsverkehr gerade soviel laufende Zahlungen empfängt, wie es selbst leistet. (2) Ausgleich der Grundbilanz. Er liegt vor, wenn der "harte Kern" der aussenwirtschaftlichen Transaktionen im Gleichgewicht ist, also die Summe aus Leistungsbilanztransaktionen und Transaktionen des langfristigen Kapitalverkehrs gleich Null ist. So kann auch ein Leistungsbilanzüberschuss ein Zahlungsbilanzgleichgewicht signalisieren, wenn die Inländer ihn durch Export langfristigen Kapitals finanzieren. Den Ausgleich der Grundbilanz als Zahlungsbilanzgleichgewicht zu interpretieren, kann allerdings insofern problematisch sein, als auch der langfristige Kapitalverkehr erheblichen Schwankungen unterliegen kann. (3) Ausgleich der —Devisenbilanz. Er liegt vor, wenn die Währungsreserven der zentralen währungspolitischen Instanz unverändert bleiben. Aufgrund des formalen Zahlungsbilanzausgleichs bedeutet ein Ausgleich der Devisenbilanz definitionsgemäss, dass auch die Summe der Transaktionen der Leistungsund Kapitalbilanz (einschl. des Restpostens) gleich Null ist, das Inland also ebenso hohe Zahlungseingänge wie Zahlungsausgänge zu verbuchen hat. Nachteilig ist an diesem Konzept erstens, dass in der Devisenbilanz nicht die gesamten Veränderungen der inländischen Devisenreserven erscheinen, sondern allein die Veränderungen der Währungsreserven bei der Zentralbank. Rechnet man zur Devisenbilanz die Veränderungen der Nettoauslandsforderungen (Nettoauslandsaktiva) des übrigen Bankensektors hinzu, so erhält man als weitere Teilbilanz der Zahlungsbilanz die Liquiditätsbilanz. Die Verwirklichung eines Zahlungsbilanzgleichgewichts wird dann bei einem Ausgleich der Liquiditätsbilanz als erreicht angesehen. Zweitens kommt es aber zu einem Ausgleich der Devisenbilanz oft nur deshalb, weil andere öffentliche Stellen zahlungsbilanzwirksame Transaktionen zu diesem Zwecke selbst vornehmen bzw. beeinflussen. In sollchen Fällen handelt es sich nicht um ein Zahlungsbilanzgleichgewicht im Marktsinne. (4) Ausgleich der —autonomen Transaktionen: Er liegt vor, wenn die Summe der im aussenwirtschaftstheoretischen Sinne autonomen Transaktionen gleich Null ist. Transaktionen gelten aktuell als autonom, wenn sie nicht mit der Absicht vorgenommen werden, die gegebene Zahlungsbilanzsituation zu beeinflussen. Ihr Gegenteil sind die —induzierten Transaktionen, die von öffentlichen Instanzen bewusst nur zum Zwecke der Gestaltung der Zahlungsbilanzsituation vorgenommen werden. In der Praxis ergeben sich dabei Abgrenzungsprobleme und kaum lösbare Messschwierigkeiten. Die Motivation zahlungsbilanzrelevanter öffentlicher Transaktionen ist nicht immer genau bestimmbar bzw. die beiden Motive können sich bei einzelnen Transaktionen vermischen. Ferner können öffentliche Instanzen nicht nur zur Zahlungsbilanzbeeinflussung selbst Transaktionen vornehmen, sondern auch durch wirtschaftspolitische Datensetzung und gezielte Massnahmen versuchen, die übrigen inländischen Wirtschaftseinheiten zu solchen Transaktionen anzuregen oder von ihnen abzuhalten. Ein in theoretischer Sicht befriedigendes Mass für Zahlungsbilanzgleichgewicht hätte daher nicht von den aktuellen, sondern von den potentiellen autonomen Transaktionen auszugehen. Das wäre die Gesamtheit der Transaktionen, die in Abwesenheit von staatlich verfügten Devisenbewirtschaftungsmassnahmen, Handelshemmnissen usw. stattfinden würde. Literatur: Rose, K., Theorie der Aussenwirtschaft, 10. Aufl., München 1989. Konrad, A., Zahlungsbilanztheorie und Zahlungsbilanzpolitik, München 1979.
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