Marketing muss dem Wertewandel in der Gesellschaft Rechnung tragen, wenn es erfolgreich bleiben will - eine gängige Auffassung, der ganz ohne Zweifel zugestimmt werden muß. Werte, Werthaltungen, Werteinstellungen und dgl., so z.B. die relative Gewichtung von Freiheit und Gleichheit, von Egoismus und Altruismus usw., sind als elementare Vorstellungen vom Wünschenswerten oder gar als Lebensziele v. a. für strategische, d.h. grundlegende und langfristig angelegte Entscheidungen von Bedeutung. Bei operativen Maßnahmen kann dagegen schon eher auf produkt- bzw. güterspezifische Präferenzen abgestellt werden. So gesehen schließt eine Werteorientierung die Beachtung fokussierter Präferenzen keineswegs aus. Grundfragen der Werteorientierung bzw. des Wertemanagements, wie die Frage nach den relevanten Wertetrends und ihren Folgen oder die Frage nach der Beeinflußbarkeit von Werten durch eine Art Werteerziehung bei Kunden und Mitarbeitern, setzen eine Werteforschung bzw. entsprechende Informationsgrundlagen voraus. Während die akademische Werteforschung wichtige Anhaltspunkte in der Form von Meßvorschlägen und Wertetheorien liefert (Wertewandel, Wertetheorien, Wertemanagement), muss das Marketing - darauf aufbauend - stets selbst herauszufinden versuchen, welche Werte und Wertetrends für das Unternehmen bedeutsam sind und wie es reagieren bzw. agieren kann. Für die Erfassung von Werten haben diverse Forschungsrichtungen recht unterschiedliche Meßinstrumente, v. a. Fragebögen bzw. Werteskalen, entwickelt, nicht nur die Psychologie und Soziologie, sondern auch die Organisationsforschung und die Marketingwissenschaft. Da immer wieder neue Werte auftauchen, ist die Modifikation dieser Instrumente unvermeidlich. Dasselbe gilt für wiederholte Validitätstests, da die anfängliche Validität eines Instruments mit der Zeit verloren gehen kann. Die Werte des Menschen werden in seiner Kindheit und Jugendzeit entscheidend geprägt, nicht nur von Schule und Elternhaus, sondern auch den jeweiligen Lebensverhältnissen. Deshalb liegt es bei der Untersuchung von Wertetrends nahe, generationenspezifische Entwicklungen zu analysieren. Soweit keine (Werte-)Panel zur Verfügung stehen, bleibt nur die Auswertung wiederholter Umfragen im Rahmen der Kohortenanalyse oder die Auswertung von Dokumenten und dergleichen in ihren werterelevanten Hinweisen, so z. B. die Auswertung von Tagebüchern, Presseerzeugnissen, Werbeanzeigen usw. und deren historische Entwicklung (Inhaltsanalyse). Die Werteorientierung begründet sich im Einfluß von Werten und Wertewandelten- denzen auf das Verhalten im beruflichen und imprivaten Sektor. Der Zusammenhang zwischen Werten und V erhaltensweisen ist allerdings komplex und immer wieder neu zu prüfen. Werthaltungen und Wertehierarchien beeinflussen das Verhalten zum einen über die Konkretisierung von Verhaltenszielen, etwa von Arbeits- und Konsummotivationen (Motive), zum anderen über die Prägung von Einstellungen, wobei Werte als Beur- teilungsstandards fungieren. Ob Werte ein Verhalten prägen, hängt jedenfalls davon ab, ob die relevanten Werte harmonieren bzw. konfligieren, ob in bezug auf das wertegerechte Verhalten genügend Fähigkeiten und Ressourcen (z.B. Kaufkraft beim Kaufverhalten) vorhanden sind und ob die gewünschten Alternativen, etwa die gewünschten Produkte, überhaupt zur Verfügung stehen. Von daher gesehen kann es nicht überraschen, wenn einem Trend zugunsten ökologischer Werte z. B. erst nach einer gewissen Zeit ein entsprechender Ökologie-Trend im konkreten Kauf- und Konsumverhalten folgt. Das strategische Marketing braucht rechtzeitige Hinweise auf Wertetrends und somit eine Früherkennung in Sachen Werte. Für diese Aufgabe und für die Werteentwick- lungsprognose bedarf es der Kenntnis jener Faktoren, welche die Wertegenese beeinflussen. Die einschlägige Werteforschung (Wertetheorien) deutet v.a. auf folgende Einflußfaktoren hin: die Erfahrungen in der Kindheit und im Jugendalter, v.a. die Knappheitsbedingungen in diesen formativen Jahren sowie der Erziehungsstil der Eltern (autoritäres Verhalten behindert Selbstwertgefühle und Autonomie), die Sozialisationsbedingungen im Erwachsenenalter wie z. B. das Wertespektrum am Arbeitsplatz und im privaten Lebensbereich und die Veränderungen im Lebenslauf, sog. Lebenszykluseffekte, wie z.B. der Eintritt ins Berufsleben, die Gründung einer Familie, deutliche Veränderungen der Einkommenssituation und der Rückzug aus dem Erwerbsleben. Werden solche Faktoren nicht nur kontrolliert, sondern auch antizipiert, dann kann am ehesten j ene V orwegnahme von W ertetrends gelingen, die einen (zeitlichen) Spielraum für die Planung und Vorbereitung von Marketingmaßnahmen gewährt. Bei der Antizipation von Werten bzw. Werteverschiebungen sollten v. a. folgende Ansätze der Wertetheorie berücksichtigt werden: Theorie des gesellschaftlichen Wertewandels von Inglehart Nach Inglehart bilden sich die Werthaltungen bzw. Wertemuster eines Menschen in seiner Kindheit und Jugendzeit heraus. Dabei entwickelt sich eine hohe Wertschätzung all jener Dinge, die relativ knapp sind. Folglich kommt es zu einem gesellschaftlichen Wertewandel, wenn jüngere Generationen in anderen Knappheitsbedingungen aufwachsen bzw. aufgewachsen sind als die älteren. Altere Wertemuster werden so durch neue nach und nach verdrängt, weil ältere Generationen aussterben und durch neue ersetzt werden (stille Revolution). Entwicklungspsychologie Eine differenziertere Sicht der Wertegenese liefern entwicklungspsychologische Arbeiten. Diese betonen u. a. den Einfluß intrafamiliärer Bedingungen, v.a. die Bedeutung des Erziehungsstiles der Eltern auf die geistig-moralische Entwicklung des Kindes. Es gilt als gesichert, dass eine autoritäre Erziehung Minderwertigkeitsgefühle und Anlehnungstendenzen, aufgeklärtere bzw. demokratische Erziehungsformen dagegen Selbstwertgefühle und Autonomie fördern. Sozialisationsforschung Sozialisationsforscher kennen Werteverschiebungen auch im Erwachsenenalter, zumal in dieser Lebensphase neue Sozialisationsagenten auftreten und neue Lebensbedingungen eintreten können. Man denke an den Eintritt in das Berufsleben, an den beruflichen Aufstieg, an Veränderungen des verfügbaren Einkommens, an die Gründung einer Familie oder an den Rückzug aus dem Erwerbsleben. In welches Wertemilieu ein Heranwachsender oder ein Erwachsener am Arbeitsplatz hineinwächst, darüber entscheidet auch das Unternehmen mit ihrer Unternehmenspolitikund-kultur. Wertetheorie von Rokeach Obwohl Werte eher grundlegende, relativ stabile Strebensinhalte darstellen, sind sie nach Rokeach im Rahmen einer kommunikativen Werteerziehung veränderbar. In gezielten Experimenten gelang es Rokeach, Werte bzw. Werthierarchien sowie beteiligte Einstellungen nachhaltig zu verändern, indem er die Teilnehmer auf andere Werte in deren Bezugsgruppe(n) und auf z.T. vorhandene intrapersonale Wertewidersprüche hmwies. Allerdings hat Rokeach bei seiner Konfrontationsmethode zugleich einen beachtlichen sozialen Druck erzeugt und damit ein Vorgehen gewählt, das sich im Marketing i. d. R. verbieten dürfte. LerntheoretischeAnsätze Vielversprechende Alternativen zur Werteerziehungsmethode von Rokeach zeigen die lerntheoretischen Ansätze auf, wobei v. a. an die positive Verstärkung wünschenswerter Wertemuster und an das Vorleben von Werteorientierungen (Modeling, Imitationslernen) zu denken ist. Für derartige Lernfor- men spricht, dass positive Verstärkungen im Zweifel wirksamer sind als Drohungen und Bestrafungen (vgl. dazu auch pädagogische Forschungsarbeiten) und dass ein Vorleben weniger Reaktanz erzeugt als verbale Einforderungen. Die Notwendigkeit des Vorlebens zentraler Werte durch das Management ist nicht zuletzt von den Untersuchungen der Erfolgsfaktoren im Unternehmen unterstrichen worden.
Literatur: Inglehart, R., The Silent Revolution, Princeton, N.J. 1977. Rokeach, M., The Nature of Human Valúes, New York, London 1973. Silberer, G., Werteforschung und Werteorientierung im Unternehmen, Stuttgart 1991. Dlugos, G.; Wei- ermair, K. (Hrsg.), Management Under Differing Value Sy stems, Berlin, New York 1981. Raffée, H.; Wiedmann, K. P., Dialoge 2: Konsequenzen für das Marketing, Hamburg 1987. Windhorst, K.-G., Wertewandel und Konsumentenverhalten, Münster 1985.
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