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Physiokratie

beruht auf einem Denkansatz, der einer Person zugeschrieben werden kann: Franvois Quesnay. Als "science 6conomique" von diesem konzipiert, versteht sie ihren Namen "Naturherrschaft" als Ausdruck für die natürliche Verfassung, deren Beachtung durch. eine Regierungsgewalt dem menschlichen Geschlecht höchstmögliche Vorteile bietet. Physiokratie ist eine natürliche und soziale Ordnung, die durch äussere Notwendigkeit und die "unwiderstehliche Kraft der Vorsehung" bestimmt wird. "Science conomique" ist eine Weltanschauung mit ökonomischer Basis: Sie umschliesst alles, was zum Glück der Souveräne und Untertanen beitragen mag. Anlass für die Beschäftigung Quesnays mit ökonomischen Fragen war der Niedergang der französischen Landwirtschaft durch die Machtpolitik absoluter Herrscher. Quesnay sucht die Begründung für eine allgemeine Sozial- und Staatsreform, in der kein Übergewicht eines Standes (Gewerbe) gegenüber einem anderen (Landwirtschaft) dem Gesamtwesen Schaden zufügt. Nur die wechselseitige Verbindung seiner Elemente verleiht einem Gemeinwesen seinen vollständigen Sinn. Dieser Sinn enthüllt sich ganz unmissverständlich in der Entdeckung der Interdependenz von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Quesnay zeigt, dass ein Systemablauf möglich ist, der den Vorstellungen der natürlichen Vernunft entspricht. Er erwartet, dass die durch die Verkündung des Naturrechts gewonnenen Einsichten in eine natürliche Gesellschaftsordnung es einem ideal regierenden Königtum ermöglichen, Gerechtigkeit durch Administration zu bewirken. Zu leisten sind die Durchführung öffentlicher Aufgaben und die Überwachung des wahren Funktionierens natürlichen Rechts. Was für den Herrscher wirklich das vorteilhafteste ist, ist zugleich auch das vorteilhafteste für die Untertanen. Voraussetzung ist, dass nur ein aufgeklärtes Volk in Übereinstimmung mit den natürlichen Regeln der Gesellschaft zu handeln vermag. Einer solchen Nation könnte kein unvernünftiges Gesetz vorgeschlagen werden. Regierung und Bürger würden es sofort als absurd erkennen. Das natürliche Recht fördert die Freiheit des Menschen, von allen Fähigkeiten, die ihm verliehen sind, einsichtsvollen Gebrauch zu machen, auch von seiner Fähigkeit, Eigentümer zu sein. Es bewirkt zudem, dass der Mensch in seinen Bemühungen zur Verbesserung seiner Lebensbedingungen die Rechte anderer achtet. So bewahrt Vernunft den Menschen vor Aktivitäten, die durch Zerstörung oder ernsthafte Beeinträchtigung sozialer Bindungen zu einem grösseren Elend für alle führen mögen. Freiheit für Toren verstösst gegen das Gebot der Harmonisierung der Interessen als Voraussetzung für eine Gesellschaft, die den Prinzipien der natürlichen Ordnung und Vernunft folgt. Rein egoistische Antriebe lassen sich mit einem Höchstmass an Wohlfahrt für die gesamte Gesellschaft nicht vereinbaren. So wird die Physiokratie zu einer Theorie des "legalen Despotismus", einer absoluten Herrschaft des natürlichen Rechts. Dem Monarchen fällt kein Machtmonopol zu. Er ist nur als Administrator der natürlichen Gesellschaftsordnung da. Eine gute Regierung sichert durch eine starke Zentralgewalt die Autorität ausschliesslich an das natürliche Recht gebundener positiver Gesetze - und mit ihnen das Recht der Individuen auf Eigentum, ihr Recht auf ökonomische Freiheit, auf freie Berufswahl, auf freien Handel und Austausch. Die gedankliche Voraussetzung für eine vernunftgerechte Reform der französischen Wirtschaft seiner Zeit schien Quesnay die Verankerung der Erkenntnis von der Komplementarität der individuellen Interessen innerhalb einer auf Arbeitsteilung und Tausch ausgerichteten Gesellschaft zu sein. Zudem war die Idee zu vermitteln, dass nicht die Zirkulation, sondern die Produktion Werte schafft. Für die Landwirtschaft ist der Boden die einzige Reichtumsquelle. In diesem Sinn zeigt das berühmte —Tableau economique Quesnays, wie jeder ökonomische Sektor von den Aktivitäten der anderen Sektoren abhängt - insb. aber, wie der Wohlstand der Grundbesitzer den Wohlstand der anderen Klassen bedingt. Ohne Zweifel ist das Tableau nur ein Anhängsel, es deckt nicht den Kern der physiokratischen Position ab (Joseph A. Schumpeter). Träger der Unternehmertätigkeit in der Landwirtschaft jener Zeit war nach Quesnay ein intelligenter, aktiver Pächterstand, der alle technischen und kommerziellen Möglichkeiten seiner Zeit zu nutzen suchte. Er war nicht Eigentümer des Bodens, dennoch frei von jeder wirtschaftlichen Einflussnahme der Grundbesitzer, von denen er den Boden - urbar gemacht und mit Gebäuden ausgestattet langfristig pachtete. Bäuerliche Unternehmertätigkeit setzt die Existenz wirtschaftlich gebundenen Vermögens als "Avances" voraus. Das erzeugte Produkt dient zunächst der Reproduktion des Vermögensbestandes, erzielte Überschüsse gehen an die Grundbesitzer. Ein Teil davon dient dem Konsum, ein anderer dem Kauf von Handwerksprodukten. Ein vernunftgemässer Ablauf ist gewährleistet, wenn jede Gruppe der Produzenten mit den erzielten Erlösen ihre Kosten sowie ihren Konsum zu decken vermag. Unterstellt wird, dass die Ausgaben der Grundbesitzer dafijisorgen, den Wirtschaftskreislauf nicht zu unterbrechen. Die Maxime lautet: Die Gesamtheit der Einkommensbeträge muss stets wieder in die jährliche Zirkulation zurückkehren und sie in ihrem ganzen Umfang durchlaufen. Hinzu kommt die Mahnung: Grundbesitzer und andere Grossverdiener dürften die "Ersparnisse des Königreichs" nicht zum Schaden. der Allgemeinheit zurückhalten. Die Quesnaysche Lehre gilt weithin als zentrale Vorstufe für die Entwicklung der klassischen Theorie, insb. des -überalismus. Bislang ist in der nicht-marxistischen Literatur jedoch übersehen worden, dass im Quesnayschen System zugleich eine Präformation sozialistischer Gesellschaftstheorie enthalten ist. Im Grundtypus dieses Systems findet Karl Marx jene Strukturen gedanklich vorgebildet oder zumindest angedeutet, die seine Erwägungen über die Bauelemente einer sozialistischen Gesellschaft prägen. Er vermerkt z. B. anhand des ökonomischen Tableaus, dass es der verteilenden Klasse der Eigentümer möglich ist, die Reproduktion durch eine bestimmte Verteilung des Jahresergebnisses derart zu regeln, dass eine Stockung der Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals verhindert wird. Vom Standpunkt der Kapitalreproduktion erscheint allerdings die herrschende Klasse als überflüssig; schliesslich sind die Akteure dieses Systems nicht die Grundeigentümer, sondern innovative Pächter. Damit kann der sozialistische Staat an die Stelle der Grundeigentümer treten, um die Funktionen zu übernehmen, die nach objektiven ökonomischen Gesetzen zu einem Höchstmass an Revenuen führen. Er kann ferner die notwendigen politischen Bedingungen festlegen, durch welche die einmal erkannten ökonomischen Gesetzmässigkeiten in wachsendem Masse Förderung anstelle von Behinderung erfahren können. Marx betrachtet das System der Physiokratie zwar als die innerhalb des Rahmens der feudalen Gesellschaft durchdringende neue kapitalistische Gesellschaft. Er betont jedoch, dass jenes System selbst über diese neue Gesellschaft hinauswächst. Es enthält Ansätze, die eine sozialistische Transformation der Gesellschaft als funktionsfähig erscheinen lassen. Es ist angesichts der Prozesse der Systemtransformation in der Gegenwart nicht uninteressant zu wissen, dass Alexis de Tocqueville (1856) die - wie er sagte - "destruktiven" Elemente in der Theorie des Sozialismus im Werk "der ersten Physiokraten" enthalten sah. Es sei zu erkennen, dass die "Ökonomisten oder Physiokraten" eine Gesellschaftsphilosophie anböten, die wenig Wert lege auf die politischen Freiheiten, für die Vergangenheit und ihre Wohlstand und Frieden stiftenden Institutionen nur Verachtung zeigten und unter Hinweis auf die Aufklärung der Menschen die Unmöglichkeit einer Despotie in einem System der natürlichen Ordnung zu begründen suchten. Der Staat müsse in diesem System, um nach den Regeln der natürlichen Ordnung regieren zu können, "allmächtig" sein. Seine Aufgabe sei es auch, den Geist der Bürger nach einem (im voraus - von ihm bestimmten) Vorbild zu formen. Das sind für ihn Gründe genug, vor einer sozialistischen —Transformation zu warnen. Tocqueville fürchtete mit Blick auf die Erfahrungen der Französischen Revolution die dabei zu erwartende Entfesselung der Leidenschaften, die damit verbundene Gefährdung der Freiheiten und schliesslich eine verhängnisvolle Neigung vieler Menschen, "die Gleichheit in Knechtschaft der Ungleichheit in Freiheit vorzuziehen".                Literatur: Hoselitz, B. E, Agrarian Capitalism, the Natural Order of Things: Franwis Quesnay, in: Kyklos, Vol. XXI (1968), S. 637 ff. Quesnay, F., Ökonomische Schriften, mit einer Einleitung von Kuczynski, M., Berlin (0) 1971, 1976. Krüsselberg, H. G., Vermögen, Kapital, Eigentum — Schlüsselbegriffe der Ordnungstheorie?, in: Krüsselberg, H. G. (Hrsg.), Vermögen im Systemvergleich, Stuttgart, New York 1984, S. 37 ff. Tocqueville, A. de, Der alte Staat und die Revolution, 1856; deutsche Ausgabe Reinbek bei Hamburg 1969, Buch III, 3. Kapitel.

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