Marktbeherrschung
Der Begriff „Nachfragemacht“ ist von seiner theoretischen Herkunft der soziologisch orientierten Machttheorie zuzuordnen. Macht bedeutet dort die Überlegenheit eines Individuums A gegenüber einem Individuum B und damit die Möglichkeit für A, B zu beherrschen. Dies gelingt allerdings nur, wenn diametral eine Abhängigkeit des Individuums B von A und damit eine offensichtliche Unterlegenheit vorliegt. Übertragen auf ökonomische Austauschprozesse, läßt sich Nachfragemacht demnach charakterisieren als das Potential eines überlegenen Nachfragers, seine Interessen in Verhandlungen gegenüber einem abhängigen und damit unterlegenen Anbieter durchzusetzen. Abhängigkeit im Rahmen dieses „bilateralen Beherrscnungs - Abhängigkeits - V erhältnis- ses“ liegt dann vor, wenn ein Anbieter auf einen Nachfrager derart angewiesen ist, dass er dessen Aufträge nicht verlieren kann, ohne seine wirtschaftliche Existenz zu gefährden (vgl. Arndt, 1977). Nachfragemacht und Abhängigkeit können daher den Wettbewerb zwischen Anbietern und Nachfragern nachhaltig beeinflussen und müssen somit als bedeutsame Parameter für Entscheidungen im Rahmen der Vertriebswegepolitik der Anbieter angesehen werden. Offen zu Tage treten asymmetrische Machtkonstellationen in den Fällen, wo Organisationen der öffentlichen Hand als Nachfrager auftreten, industrielle Großunternehmer mittelständischen Zulieferern gegenüberstehen, wie z. B. in der Automobilbranche, und industrielle Anbieter auf große Handelsunternehmen angewiesen sind, wie z. B. in derLebensmittelbranche. Jede dieser als Nachfrager auftretenden Organisationen hat aufgrund ihrer überlegenen Position die Möglichkeit, den Anbietern Forderungen zu stellen, welchen diese unter anderen Marktbedingungen nicht nachkom- men würden. Bei diesen Forderungen handelt es sich zum einen um „ungewöhnlich“ hohe Zugeständnisse im Rahmen der Preissetzung, zum anderen aber auch um „Leistungen ohne Gegenleistung“ wie z.B. Eintrittsgelder oder Regalmieten. Ein entsprechender als „Sündenregister“ bezeichneter Forderungskatalog wurde schon in den siebziger Jahren vom Bundeswirt- schaftsministerium zusammengestellt. Derartige wettbewerbspolitische Konstellationen kollidieren allerdings mit den wohlfahrtsökonomischen Vorstellungen der sozialen Marktwirtschaft. Aus diesem Grund waren gesetzgeberische Regulierungen notwendig, die insb. in den Paragraphen 22 und 26 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zum Ausdruck kommen. Nachfragemacht wird dort jedoch nicht explizit behandelt, sondern im Rahmen einer Spiegelbildtheorie als Äquivalent zur Angebotsmachtbetrachtet. Auch im GWB wird zunächst vom Machtpotential ausgegangen, in dem der Versuch unternommen wird, einen Marktbeherr- schungstatbestandiestzustelen(§ 22 Abs. 1- 3 GWB). Liegt dieser vor, können Präventivmaßnahmen, wie z.B. Fusionsverbote auf der Grundlage weiterer rechtlicher Bestimmungen (§ 37a Abs. 1, 2 GWB) vorgenommen werden, um das Machtpotential zu begrenzen (Fusionskontrolle). Voraussetzung ist jedoch die vorherige Abgrenzung eines für eine Marktbeherrschungsvermutung relevanten Marktes. Dies bereitet allerdings in der Praxis insb. bei der Bestimmung von Nachfragemärkten erhebliche Probleme. Die Vermutung selbst orientiert sich dann an monopolistischen bzw. oligopolistischen Marktformen, die mittels Konzentrationsraten des Marktanteils gemessen werden (Marktformen). Neu aufgenommen wurde in einer
5. Novelle des GWB die explizite Umstellungsflexibilität unterlegener Unternehmen (§ 22 Abs. 1 und § 26 Abs.2 GWB). Bezogen auf Nachfragemacht kann ein Nachfrager dann als marktbeherrschend angesehen werden, wenn die Anbieter keine Möglichkeit haben, entweder ihre Leistungen umzustellen, um dem Nachfragedruck zu entgehen oder auf andere Nachfrager auszuweichen. DieBeurteilungder Ausweichmöglichkeiten ist zugleich Grundlage für die Abhängigkeitsvermutung eines Anbieters von einem „marktstarken“ Nachfrager (§ 26 Abs. 1 GWB). Dieser Aspekt weicht jedoch von der vorangegangenen absoluten Marktbetrachtung für das Vorliegen von Nachfragemacht ab. Hier wird vielmehr die dyadische Beziehung zwischen einem Nachfrager und einem Anbieter untersucht, um über dessen Abhängigkeitsposition zu entscheiden. Entscheidend für das Vorliegen von Nachfragemacht ist in diesem Fall also die jeweilige Wettbewerbsposition des betrachteten Marktpartners. Diese relative Betrachtung geht von der Vorstellung aus, dass die Marktform nicht unbedingt Machtausübung impliziert, sondern lediglich die Möglichkeit dafür bieten kann, nämlich dann, wenn ein Anbieter von einem der wenigen „marktstarken“ Nachfrager abhängig ist. Damit ist auch schon der letzte Aspekt von Nachfragemacht, die Ausübung, angesprochen. Während die zuvor dargestellten Aspekte lediglich als notwendige Bedingung für die Wirksamkeit von Nachfragemacht angesehen werden können, ist mit deren Ausübung die hinreichende Bedingung erfüllt. Erst der Einsatz von Machtmitteln durch einen marktbeherrschenden Nachfrager, wie z.B. Entlistungsdrohungen, beeinträchtigt das Geschäftsergebnis des betroffenen Anbieters, z.B. in Form von ungewöhnlich hohen Erlösschmälerungen. Nach juristischer Auffassung führt dieses Verhalten wiederum zu einer Wettbewerbsverzerrung und paßt somit nicht in das Gefüge einer wohlfahrtsökonomisch ausgerichteten sozialen Marktwirtschaft. Diesem „Ausbeutungsmißbrauch“ eines marktstarken Nachfragers steht mit dem Verbot der Diskriminierung (§ 26 Abs.2, 3 GWB) ein weiteres juristisches Regulierungsinstrument entgegen. Die Kontrolle der Aufrechterhaltung eines funktionierenden Wettbewerbs und damit auch eines ausgeglichenen Machtverhältnisses zwischen Anbietern und Nachfragern obliegt qua Gesetz der Monopolkommission und dem Bundeskartellamt (vgl. auch §§ 24b, 44-50 GWB). Während die Monopolkommission aber lediglich konzentrationsbedingte Machtverschiebungen gesamtwirtschaftlich zu beobachten und zu beurteilen hat, ist das Bundeskartellamt befugt, wettbewerbsverzerrenden Entwicklungen im Einzelfall durch juristische Maßnahmen wie z.B. durch Untersagung einer geplanten Fusion (Daimler/MBB; Metro/Kaufhof) oder durch Bußgeldbescheide im Mißbrauchsfall zu begegnen (Miß- brauchsaufsicht). Damit ist das Bundeskartellamt Ansprechpartner für Anbieter, die sich einem wettbewerbsunüblichen Druck seitens der Nachfrager ausgesetzt fühlen. Allerdings ist die Kartellbehörde nicht die letzte juristische Instanz. Gefällte Beschlüsse können von dem zuständigen Kammergericht z.B. im Fall coop/Wandmaker oder vom Bundesgerichtshof wie im Fall Metro/Kaufhof korrigiert bzw. aufgehoben werden. Allerletzte Instanz ist jedoch, wie der Fall Daimler/MBB gezeigt hat, der Bundeswirtschaftsminister. Unabhängig davon besteht für Unternehmen, die einer unbilligen Behinderung durch Nachfragemacht ausgesetzt sind, noch die Möglichkeit, zivilrechtliche Ansprüche in Form einer Verbandsklage vor Zivilgerichten geltend zu machen (vgl. § 35 Abs. 3 und §87 ff. GWB). M.G./J.W.
Literatur: Irmnen\'ja, K.; Mcslmäckcr, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: in: GWB, Kommentar zum Kartellgesetz, München 1981. Lademann, R., Nachfragemacht von Handelsunternehmen. Analyse der Begriffe, Erklärungs- und Rechtstatsachenprobleme, Göttingen 1986. Nie- strath, U., Nachfragemacht des Handels. Begriff, Theorie und Operationalisierung, Frankfurt/M. 1983.
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