Investitionsgütermarketing
alle im Rahmen des Kaufentscheidungspro- zesses von Gütern und Dienstleistungen anfallenden Informations- und Entschlußaktivitäten in gewerblichen und anderen Organisationen. Man spricht vom organisationalen Beschaffungsverhalten im Gegensatz zum Käuferverhalten von Konsumenten bzw. privaten Haushalten. In der Theorie des organisationalen Beschaffungsverhaltens geht es in deskriptiver Wissenschaftsabsicht um die Beschreibung des organisationalen Beschaffungsverhaltens in Form von Total- bzw. Strukturmodellen. Elemente dieses Modells sind die Determinanten des Entscheidungsprozesses und ihre Beziehungen zum Ergebnis der Beschaffungsentscheidung. Wird dabei auf das beschaffende Individuum abgestellt („organisationslose“ Käufermodelle), so lassen sich unter der Annahme rationalen Verhaltens Modelle der mikroökonomischen Investitionstheorie und Bestellpolitik als eine erste Gruppe von Ansätzen kennzeichnen. Empirische Arbeiten zeigten jedoch, dass Beschaffungsentscheidungen von emotionalen, nicht-aufgabengerechten und nicht-ökonomischen Determinanten beeinflußt werden. Neuerdings rückt dabei das Konstrukt der Kompetenz in den Mittelpunkt des Interesses. Die verhaltenstheoretische Prämisse der „beschränkten“ Rationalitätder(Beschaffungs-) Entscheidungen führte zu buyer behaviour- Modellen nach dem Muster des SOR-Para- digmas (Käuferverhalten), wodurch die empirische Forschung zur Analyse des Verhaltens organisationaler Einkäufer stimuliert wurde. Gegenstand dieser Forschungsrichtung war die Lieferantenauswahl in Abhängigkeit von Kaufsituation, Persönlichkeitsvariablen, Organisationsregelung und Risikowahrnehmung, z.B. im Modell von Cardozo. Dabei wurde versucht, zwischen verschiedenen Typen von Kaufentscheidungen zu differenzieren, indem Merkmale der Einkaufssituation zur Typbildung hcr- angezogen wurden. Zum einen kann das Kaufobjekt nach dem Grad der Neuartigkeit eingestuft werden. Zum anderen kann das aus dem Wert des Kaufobjekts und der Notwendigkeit zu organisatorischen Umstellungen resultierende Ausmaß der Informationsbeschaffung als Abgrenzungsmerkmal dienen. Schließlich ist die Unterscheidung nach dem Umfang der Einbeziehung neuer Lieferanten in den Entscheidungsprozeß möglich. Auf diese Weise kommt man zu den auch in der allgemeinen Käuferverhaltens- theorie bekannten Typen des Erstkaufs, modifizierten Wiederholungskaufs und des reinen Wiederholungskaufs. Aus diesen Typologien ergeben sich grundsätzlich andere Ausgestaltungen des Beschaffungsprozesses in bezug auf die Verwendung von Richtlinien, auf die Art und Anzahl der an einer Entscheidung beteiligten Personen, auf die Notwendigkeit von Verhandlungsprozessen usw. Damit war jedoch die Perspektive des Individuums bereits ansatzweise verlassen. Der soziale und organisationale Bezug des Einkäufers innerhalb der beschaffenden Organisation erfordert eine Thematisierung des kollektiven Charakters der Beschaffungsentscheidung. Entscheidungsgremien und die darin ablaufenden Informationsprozesse rückten in den Mittelpunkt der Modelle, so z.B. in den Konzepten von Howard/Sheth, Robinson/Faris/Wind, Choffray/Lilien und von Webster/ Wind. Am bekanntesten dürfte das allgemeine Strukturmodell von Webster und Wind sein (vgl. Abb). Neben der Einbeziehung vielfältiger Determinanten besteht der Vorteil dieser Modelle v. a. darin, die Interaktionen innerhalb der Organisation zu berücksichtigen. Dabei geht es insb. um die von den Beteiligten wahrgenommenen Rollen im Verlauf des Informations- und Entscheidungsprozesses. Die bekanntesten Ansätze sind das Buying-Center-Konzept, das Promotoren-Konzept von Witte und das Simplifier-Clarifier-Konzept. Die besondere Bedeutung dieser empirisch verifizierten Modelle besteht darin, dass sich aus ihnen entsprechende zielgruppenspezifische Kommunikationsstrategien ableiten lassen. Der allen Ansätzen gemeinsame Nachteil besteht jedoch darin, dass sie im Kern mono-organisational bleiben. Jede Beschaffung ist jedoch ein Prozeß zwischen zwei Partnern, der sich in vielen Fällen zudem über einen langen Zeitraum erstreckt, in dem im Rahmen von Verhandlungen zahlreiche Informationen ausgetauschtwerden. Mit dem Phänomen des Verhandlungsprozesses wird eine dritte Modellinie angesprochen. Sie umfaßt die Ausweitung der klassischen Beschaffungstheorie zu einer Interaktionstheorie. Diese versucht, die Verkäufer-Käufer-Dyade als Interaktionsprozeß, d. h. als multiorganisationalen, multitemporalen und multipersonalen Vorgang in sozialwissenschaftlichen Kategorien zu beschreiben und zu erklären. Zwischen beiden Markttransaktionspartnern findet ein sozialer Beeinflussungsprozeß - oft mit wachsender gegenseitiger Bindung (Creeping Commitment) - statt, dessen Verlauf und Ergebnis (ähnlich wie bei den mono-or- ganisationalen Ansätzen) von Umfelddeterminanten, Persönlichkeitsvariablen und Organisationsvariablen abhängen. Bagozzi erarbeitete auf dieser Basis eine Typologie von Austauschprozessen und Austauschobjekten, Hakanson und Ostberg modellieren je nach Kaufsituation unterschiedliche Interaktionssysteme. Allen Ansätzen ist gemeinsam, dass ein expliziter Einbezug der absatzpolitischen Instrumente nur relativ schwach erfolgt. Gerade unter der Management-Perspektive ist jedoch eine Ableitung der sich aus dem Beschaffungsverhalten ergebenden Implikationen für das Absatzverhalten unerläßlich. Das ist besonders wichtig im Rahmen des Investitionsgütermarketing, wo per defi- nitionem Business-to-Business-Marketing vorliegt und ein systematisches Beziehungsmanagement möglich ist. In der Tat lassen sich bezüglich aller vier Marketing-Mix-Bereiche jedoch durchaus wichtige Schlußfolgerungen ableiten. Aus dem Interaktionsansatz ergibt sich z.B. die hohe Bedeutung der Messe zur Absatzstimulierung im Investitionsgüterbereich und damit zur Beeinflussung des organisationa- len Beschaffungsverhaltens, da die Messe die für den Interaktionsansatz typische „face-to- face“-Kommunikation ermöglicht. Ferner ist es notwendig, dem Buying-Center und seinen verschiedenen Entscheidungs- und Beeinflussungspersonen mit einem entsprechend gestalteten Selling-Center gegenüberzutreten. Das gilt v. a. dann, wenn in langwierigen Verhandlungen die einzelnen Details einer Transaktion, wie dies für das Anlagengeschäft typisch ist, von Fachleuten eingebracht werden müssen. wicklungstendenzen im Investitionsgütermarketing, 2. Aufl., Stuttgart 1980.
Literatur: Backhaus, K., Investitionsgütermarketing,
2. Aufl., München 1990, S. 21-95. Kirsch, W.; Kutschker, M.; Lutschewitz, H., Ansätze und Ent
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