umfasst die historische Entwicklung der Wirtschaft in einzelnen Regionen (Ländern) und Wirtschaftsbereichen sowie ihre Verflechtung mit dem allgemeinen gesellschaftlich-politischen Geschehen (—Sozialgeschichte). Als Grenzwissenschaft zwischen Geschichte und Wirtschaftswissenschaft ist Wirtschaftsgeschichte auf interdisziplinäre Zusammenarbeit angewiesen; wichtige Ergänzungen liefern Rechtsgeschichte, Geographie, Statistik und andere Hilfswissenschaften. Die gegenseitige Verzahnung ökonomischer und sozialer Entwicklungsprozesse lässt eine scharfe Trennung von Sozial- und Wirtschaftsgeschichte weder möglich noch sinnvoll erscheinen. Entstanden ist die Wirtschaftsgeschichte im Rahmen des Historismus des 19. Jh., bedeutsam wurden die Materialsammlungen der Historischen Schule der Nationalökonomie; zunehmend befassen sich dann auch Historiker mit wirtschaftshistorischen Fragen. Mit verschiedenen Gliederungsansätzen sucht die Wirtschaftsgeschichte die Vielfalt ökonomischen Geschehens zu ordnen: · Einteilung nach bestimmten Entwicklungskriterien (Wirtschaftsstufen), · rein zeitliche Periodisierung nach ökonomisch-politischen Kriterien, · sachliche Gliederung nach Teilgebieten (Agrar-, Verkehrs-, Gewerbegeschichte), · regionale Gliederung (Städte, Regionen, Länder). In enger Anlehnung an die Wirtschaftswissenschaften steht heute die Betrachtung der neueren Zeit (19./20. Jh.) im Vordergrund. Die Ausbildung ökonomischer Theorie und des technisch-industriellen Zeitalters mit rasch aufeinanderfolgenden Wandlungsprozessen im technisch-ökonomisch-sozialen Bereich lassen als Parallelerscheinungen Wechselwirkungen und Zusammenhänge erkennen. Wirtschaftsgeschichte kann dabei ökonomische Theorie auf Anwendbarkeit und Praxisbezug überprüfen, notfalls relativieren; aus Quellen und Materialdichte können\' neue Hypothesen und theoretische Ansätze gewonnen werden. Die quantitative Forschung hat im Rahmen der "New Economic History" der letzten Zeit besondere Bedeutung erlangt, eine umfassende kulturhistorische Betrachtung ist demgegenüber etwas zurückgetreten. Will man jedoch die technisch-ökonomische Gegenwart nicht als abstraktes, geschichtsloses und damit unverständliches Gebilde ansehen, wird es nötig sein, zumindest die grossen Entwicklungslinien in die Vergangenheit zurückzuverfolgen. Neue Impulse in dieser Richtung deuten sich in jüngster Zeit von der Geschichtswissenschaft her an. Eine deutsche Wirtschaftsgeschichte beginnt mit der Begegnung von Römern und Germanen. Die Ausbildung der Grundherrschaft im Frankenreich, die Ostkolonisation im Mittelalter, die Bedeutung der Hanse für den Handel, der —Zünfte für das Gewerbe sind weitere wichtige Entwicklungsschritte. Die Entwicklung des —Merkantilismus als Wirtschaftsverfassung des Absolutismus, das vor allem für die westeuropäischen Staaten bedeutsame Kolonialzeitalter und die Ausbildung der deutschen Territorialstaaten als Wirtschafts- und Finanzeinheiten sind Schwerpunkte bis zum 18. Jh. Die säkulare Inflation des 16. Jh., die Folgen des 30jährigen Krieges, die staatliche, kameralistische Wirtschaftsaktivität des 18. Jh. bieten sich für die Betrachtung der deutschen Wirtschaft als wichtige Sonderbereiche an. Der mit der technischen Revolution in England einsetzende und im 19. Jh. über Europa ausstrahlende Industrialisierungsprozess leitet die eigentliche Neuzeit ein, deren wechselvolles Schicksal mit Wirtschaftskrisen, Inflationen, dem Ringen zwischen Liberalismus und —Protektionismus, den grossen Weltkriegen (Kriegswirtschaft) bis zur Gegenwart heranreicht (-Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland). Die Komplexität der Zusammenhänge hat zahlreiche Teilbereiche entstehen lassen, die wie z. B. Unternehmensgeschichte, Bankgeschichte und Technikgeschichte den ökonomisch-sozialen Entwicklungsprozess in seinen Verästelungen verfolgen. Fragen der europäischen Einigung (Vorbild —Deutscher Zollverein) oder der Gestaltung von Wirtschaftsund Sozialordnung lassen sich kaum ohne Rückgriff auf die historische Entwicklung behandeln. Wirtschaftsgeschichte hat damit auch für das Verständnis der Gegenwart zentrale Bedeutung. Literatur: Aubin, H.IZorn, W (Hrsg.), Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. I (1971), Bd. II (1976), Stuttgart. Henning, F.-W., Das vorindustrielle Deutschland 800-1800, Bd. 1, 3. Aufl., Paderborn 1977; Die Industrialisierung in Deutschland 1800-1914, Bd. 2, 5. Aufl., Paderborn 1979; Das industrialisierte Deutschland 1914-1978, Bd. 3, 5. Aufl., Paderborn 1979. Treue, W., Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Bd. 1, 2, 3. Aufl., Stuttgart 1973.
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