Kognitive Dissonanzen sind z. B. dann zu erwarten, wenn „starke“ Raucher auf die Hauptursache des Lungenkrebses hingewiesen werden, oder wenn stolze Käufer bei prestigeträchtigen, hochpreisigen Produkten gezwungen werden, sich selbst und anderen gegenüber einen Fehlkauf zuzugestehen. Mit der kognitiven Dissonanz ist jedenfalls ein erkannter bzw. ein empfundener Widerspruch zwischen einzelnen Wahrnehmungen und Überzeugungselementen (Kognitionen) gemeint. Sind viele Kognitionen miteinander unvereinbar, so handelt es sich um eine kognitive Kakophonie. Dissonanzen sind v. a. nach einer Kaufentscheidung zu erwarten (Nachkaufverhalten); erstens als schmerzliche Erkenntnis, auf die Vorteile der nicht gewählten Alternative) verzichten zu müssen, zweitens als Folge von Enttäuschungen mit dem gekauften Gut (im Rahmen eigener Erfahrungen), drittens nach kritischen Kommentaren oder Hinweisen seitens Dritter (Glaubwürdigkeit und Kompetenz vorausgesetzt) und viertens nach ansprechenden Werbekontakten, welche die Vorzüge konkurrierender Angebote herausstellen. Dissonanzen können aber auch vor einer Kaufentscheidung auftreten! Hierbei ist v. a. an Attacken gegen vorgefaßte und geliebte Meinungen, Einstellungen bzw. Erwartungen zu denken. Ganz allgemein gesprochen: Das Auftreten und die Stärke einer kognitiven Dissonanz hängen davon ab, inwieweit eine Person in Konflikte bzw. in Widersprüche gerät, bei denen ihr Selbstwert, ihr Selbstverständnis, ihre Kompetenz auf dem Spiele steht. Je bedeutsamer und je resistenter die in Konflikt geratenen Überzeugungen sind, desto stärker werden die kognitive Dissonanz und das Streben nach einer Dissonanzreduktion aus- fallen. Im einzelnen lassen sich folgende dissonanzbegünstigende Faktoren herausstellen: 1) das Festgelegtsein auf die widersprüchlichen bzw. attackierten Positionen, 2) die Freiwilligkeit, mit der eine Position eingenommen wurde, und damit letztlich auch die persönliche Verantwortung, 3) das Ego-lnvolvement bzw. das Einbezo- gensein des Selbstverständnisses, des Selbst- Wertes, des Kompetenzempfindens, 4) die subjektive Toleranz gegenüber Ungereimtheiten bzw. das personale Konsonanzoder Gleichgewichtsstreben und 5) das eigene Zutun in Sachen Dissonanzvermeidung, etwa dergestalt, dass per aktives oder passives Verhalten versucht wird, jene Situationen zu meiden, die Widersprüche aufdecken oder produzieren könnten, und jene Kontakte zu suchen, die eine (Selbst-) Bestätigung versprechen. Kognitive Dissonanzen, die ex definitione als unangenehm erlebt werden, lassen sich - ganz allgemein gesprochen - auf folgende Weise reduzieren: 1) durch die Änderung von Kognitionen bzw. Überzeugungen, z.B. das Infragestellen bislang nicht hinterfragter Überzeugungen und die Änderung von Zielen, Wünschen und Ansprüchen, 2) durch das Hinzufügen neuer Kognitionen, den Einbezug bestätigender oder rechtfertigender Aspekte in die Problemdefinition und 3) die Elimination dissonanter Elemente, das Abtrennen unangenehmer Problemaspekte oder das Verdrängen unliebsamer Feststellungen. All diese Reaktionsmöglichkeiten können von einer Verhaltensänderung oder einer Veränderung der (Lebens- )Situation begleitet sein. Im Zweifel wird jene Dissonanzreduktion präferiert und realisiert, die bei vergleichbarem Erfolg den geringsten Aufwand verursacht oder bei vergleichbarem Aufwand den größten Dissonanzabbau erwarten läßt. Die Marketing-Relevanz der kognitiven Dissonanz wird am deutlichsten, wenn wir konkrete Formen der Dissonanzreduktion ins Auge fassen. Zu diesen zählen im Bereich des Käuferverhaltens u. a. folgende: 1) die Neigung der Käufer, das gekaufte Produkt bzw. die gewählte Marke aufzuwerten und - was weniger stark ausgeprägt ist - die nicht gewählten Alternativen abzuwerten. 2) die Tendenz, bestätigende bzw. rechtfertigende Hinweise, Informationen oder Argumente zu präferieren bzw. zu akzeptieren (Informationsverhalten)und 3) die Neigung, Hinweise auf Vorteile nicht gewählter, konkurrierender Marken zu meiden, es sei denn, dass eine Auseinandersetzung mit solchen Informationen die Rechtfertigung des eigenen Kaufverhaltens zu erleichtern bzw. zu stärken verspricht. Marketing kann demnach über eine Steuerung der Dissonanzentstehung und des Dissonanzabbaus unterschiedliche Ziele verfolgen. Es liegt z.B. nahe, dissonanzerzeugte Aufwertungseffekte kurz nach dem Kauf zu fördern, indem die Kunden rechtzeitig und gezielt über das Verkaufspersonal, die Werbung oder über Beipackzettel in ihrer Wahl bestärkt werden (Nachkaufmarketing). Analog dazu lassen sich die Dissonanzen von Kunden konkurrierender Anbieter als Anknüpfungspunkt nutzen, wenn Marken- wecnseltendenzen zugunsten eigener Angebote gefördert werden sollen, obgleich dies i. d. R. schwieriger sein dürfte als dieUmwer- bung eigener Kunden. Vielversprechend dürften auch jene Versuche sein, die darauf abzielen, die vorerst noch zweifelnden Käufer zu aktiven Meinungsführern und damit zu unbezahlten, im sozialen Umfeld aber besonders glaubwürdigen Werbehelfern zu machen.
Literatur: Festinger, L., Theorie der kognitiven Dissonanz, Berlin 1978. Raffee, H.; Sauter B.; Sil- berer, G., Theorie der kognitiven Dissonanz und Konsumgüter-Marketing, Wiesbaden 1973. Schu- chard-Ficber, C., Ein Ansatz zur Messung von Nachkauf-Dissonanz, Berlin 1979. Silberer, G., Dissonanz bei Konsumenten, in: Graf Hoyos, C.; Kroeber-Riel, W.; Rosenstiel, L. von; Strümpel, B. (Hrsg.), Grundbegriffe der Wirtschaftspsychologie, München 1980, S. 344-351.
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