Kauf und Verwendung von Produkten des privaten Konsums können nach der Lebenserfahrung mit unbeabsichtigten Einbußen an Vermögen, Gesundheit und persönlicher Leistungsfähigkeit verbunden sein. Man denke etwa an Unfälle mit elektrischen Geräten, Kinderspielzeugen, Haushaltschemikalien, Heimwerkerausrüstungen etc. Die Möglichkeit dieser Schäden wird als Konsumrisiko oder mangelnde Konsumsicherheit bezeichnet. Soweit diese Risiken im Produkt oder seiner Darbietung begründet sind, ist enger von Produktrisiko oder von mangelnder Produktsicherbeit zu sprechen. Diese mit einem Produkt verbundenen Risiken sind zunächst vor Auslieferung an den Kunden wegen der Produkthaftung zweckmäßigerweise Gegenstand einer sicherheitsorientierten Produktpolitik (Einbau von Sicherheitseigenschaften, Qualitätskontrollen bei Beschaffung und Fertigung) und der sie begleitenden Sicherheitskommumkation (Sicherheitswerbung, Warnungen, Gebrauchsanweisungen). Ergebnis ist regelmäßig nicht der Ausschluß jeglicher Risiken, aber wohl jene Produktsicherheit, die zu erwarten der Benutzer berechtigt ist (nach dem Produktfehlerbegriff des Produkthaftungs- gesetzes von 1990). Soweit Produktrisiken dem Hersteller erst nach der Auslieferung bekannt werden, stellt sich die Frage einer Rückrufaktion. Mit Rückrufaktionen (Produktrückrufen) versuchen Unternehmen, nach Auslieferung an den Kunden die Verfügung über das mit besonderen Risiken behaftete Produkt zwecks Elimination des Risikos zurückzubekommen. Ob die Risikoursachen dann durch Reparaturen abzustellen sind oder das Produkt insgesamt einbehalten oder ausgetauscht wird, ist dabei ebenso von zweitrangiger Bedeutung wie der Umstand, ob ggf. die Reparatur beim Hersteller oder im Zuge eines Außendienstbesuches beim Kunden erfolgt. Eine Typologie des Produktrückrufs kann mit Transparenz, Freiwilligkeit und Trägerschaft an drei Merkmalen anknüpfen. Nach dem Merkmal der Transparenz werden offene und verdeckte Produktrückrufe unterschieden. Im ersten Fall erfolgt eine öffentliche Aufforderung, die beim Konsumenten keinen Zweifel am Anlaß entstehen läßt. Im zweiten Fall eines verdeckten Rückrufs erfolgt die Risikokorrektur ohne Kenntnis des Kunden etwa im Zuge einer so oder so geplanten Wartung in der Firmenwerkstatt oder beim Kunden. Nach dem Merkmal der Freiwilligkeit sind Produktrückrufe aufgrund einer gesetzlichen Rückrufpflicht (in Deutschland etwa für Arzneimittel) von jenen Rückrufen zu unterscheiden, die ohne diesen gesetzlichen Zwang und insoweit „freiwillig“ in Ansehung der möglichen Unfallfolgen bei einem Unterlassen des Rückrufs erfolgen. Gemäß dem Merkmal der Trägerschaft lassen sich Rückrufe des Herstellers von jenen des Händlers (etwa im Fall des Importeurs bedeutsam) und vor allem von denjenigen Rückrufen unterscheiden, die durch firmenneutrale Institutionen und ggf. gegen den erklärten Willen des Herstellers erfolgen. Institutionen mit Rückrufrechten sind z. B. das Bundesgesundheitsamt in Deutschland und vor allem die Consumer Product Safety Commission in den USA. Uber Rückrufaktionen existieren in Deutschland, aber auch in den meisten anderen Ländern, keine zuverlässigen Statistiken. Aus der Beobachtung offener Rückrufaktionen ist der Eindruck zu gewinnen, dass sowohl hinsichtlich der Mängel der zurückgerufenen Artikel als auch hinsichtlich der Anzahl der Rückrufe die Automobilindustrie und deren Zulieferer führen. In der Vergangenheit sind daneben Pharmazeutika, elektrische Haushaltsgeräte und Lebensmittel von Rückruf aktionen schwerpunktmäßig betroffen gewesen. In einigen Fällen ergab sich für Lebensmittel und Arzneien mit der vorsätzlichen Vergiftung von Einzelstücken (z.B. zwecks Erpressung des Herstellers) ein völlig neuartiger Grund für den Produktrückruf. Die Entscheidung, ob ein Produktrückruf im Einzelfall durchzuführen oder aber zu unterlassen sei, wird in doppelter Hinsicht kontrovers diskutiert. Zum einen sind die Argumente für und gegen einen Rückruf i. d. R. außerordentlich schwer auszumachen oder gar zu quantifizieren. Dabei sind die Kosten eines durchgeführten Rückrufs (Publizität, Überprüfung, Ersatzteile) noch am einfachsten abzuschätzen und auch begrenzt in eine Haftpflichtversicherung einzubeziehen. Die Ausgaben infolge einer unterlassenen Rückrufaktion werden als Schadensanfall und in Form von Unfallzahlen bedeutsam, die nicht nur wegen der Möglichkeit einer Haftungsabwehr außerordentlich schwierig zu prognostizieren sind (s.a. Krisen-Marketing). Die Auswirkungen der Schadenspublizität einerseits oder des Rückrufs andererseits auf den Firmenruf und den Marktwert der Unternehmung sind schließlich, wenn überhaupt, nur mit großen Unsicherheiten abzuschätzen. Dabei steht zu vermuten, dass etwa der Bekanntheitsgrad des Herstellers, seine bisherige Rückruf- und Produktsicherheitsbilanz, die Zeitspanne zwischen erstem Schadensanfall und Rückruf sowie die Freiwilligkeit der Aktion bedeutsame Einflußfaktoren darstellen. Zuverlässige empirische Ergebnisse für die Rückrufwirkungen auf den Firmenruf liegen bislang nicht vor. Eine Produkthaftungs- rückstellung in Handels- und Steuerbilanz ist zudem allem für tatsächliche Ausgaben durch Haftung oder Haftungsvorsorge diskutabel. Zum anderen aber und vor allem wird gegen ein Rückrufkalkül zuweilen geltend gemacht, die Abwägung von Vorteilen und Nachteilen durch den Hersteller verstoße angesichts der Möglichkeit schwerster Unfälle bei Unterlassung eines Rückrufs gegen fundamentale ethische Grundsätze. Das Kalkül im Ergebnis von der subjektiven Risikoeinstellung und den Prognosen eines Disponenten in der Herstellerfirma abhängen zu lassen, ist für Vertreter dieser Ansicht nicht akzeptabel und führt zur Forderung einer gesetzlichen Rückrufpflicht. Eine solche Pflicht schlösse indessen, wie alle Erfahrungen zeigen, pflichtwidriges Verhalten ebenfalls nicht aus. D.St.
Literatur: Diercks, Organisation des Produkt- riickrufs, Darmstadt 1978. Hollmann, H.H., Zur Institutionalisierung von Rückrufentscheidungen durch Einrichtung einer „Rückruf-Kommission“, in: Produkthaftpflicht International, Heft 2 (1986), S. 37 ff. Niehusen, C., Die rechtlichen Grundlagen und die Durchführung einer Rückrufaktion, Frankfurt/Main 1979.
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