1. Charakterisierung Steuerbilanzpolitik ist die Optimierung des zeitlichen Anfalls der Steuerbemessungsgrundlagen von bi-lanzierenden Unternehmen und deren Gesellschaftern durch Gestaltung der Steuerbilanz. Es konunt zu zeitlichen Einkommensverlagerungen und -gestaltungen auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG (Einnahmenüberschussrechnung) und bei den Haushaltseinkunftsarten (Schnee-loch, 2002, S. 136 ff.); siehe auch Einkommensteuer.
2. Instrumente der Steuerbilanzpolitik Die wichtigsten Instrumente der Steuerbilanzpolitik sind Wahlrechte, Ermessensspielräume und sach-verhaltsgestaltende Massnahmen. Dadurch entsteht eine steuerliche Manövriermasse, die in den legal vorgegebenen Grenzen auf die Planungsperioden verteilt werden kann. Ein Wahlrecht besteht z. B. dann, wenn der Bilanzierende kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung zusätzlich zu einer AfA nach § 7 Abs. 1 EStG eine Sonderabschreibung oder eine Ansparabschreibung nach § 7g EStG in An-spruch nehmen karm. Ein Ermessensspielraum ist z.B. bei der Schätzung der voraussichtlichen Nut-zungsdauer einer Maschine für Abschreibungszwecke oder bei zu einer Frage ungeklärter Rechtslage vorhanden. Bilanzierungs- und Bewertungsentscheidungen können aufgrund der Massgeblichkeit (Massgeblich-keitsgrundsatz) und der umgekehrten Massgeblichkeil\' in Handels- und Steuerbilanz grundsätzlich nur einheitlich getroffen werden.
3. Vorgehensweise der Steuerbilanzpolitik Aufgrund des Bilanzzusammenhangs gleichen sich die Gewimuninderungen in bestimmten Perioden und die Gewinnerhöhungen in anderen Perioden über die Totalperiode eines Unternehmens aus. Beim Vorziehen von Abschreibungen kommt es später zu entsprechend niedrigeren Abschreibungsbeträgen oder zu höheren Veräusserungsgewinnen. Durch die Steuerbilanzpolitik lassen sich daher in der Summe keine Bemessungsgrundlageneffekte erzielen. Es geht i.d.R. “nur” um die zeitliche Verteilung von Gewinnen und Verlusten. Ausnahmen von diesem Grundsatz ergeben sich bei Auflösung von steuerfreien Rücklagen (§§ 6b, 7g EStG), wenn entsprechende “Strafsteuern” anfallen (vgl. bspw. § 6b Abs. 7 EStG). Meist wird die frühzeitige Minderung von ertragsteuerlichen Bemessungsgrundlagen angestrebt, so dass es zu sog. Steuerstundungseffekten (Zinseffekte) kommt. Diese Überlegungen wären abschliessend, wenn lediglich proportionale Steuertarife gegeben wären und Gewinnverlagerungen keine nichtsteuerlichen Konsequenzen auslösen würden. Progressionseffekte sind rechtsformabhängig zu untersuchen. Insbesondere der progressive Einkommensteuertarif, der bei Personengesellschaften üblicherweise zum Tragen kommt, bietet interessante Gestaltungsmöglichkeiten. Vernachlässigt man zunächst Zinseffekte, so erfolgt eine Gewinnnivellierung als Zielsetzung. Von Vogt stammt das grundlegende Konzept. Man spricht von Gesetz der Vogt\'schen Normallinie. Zwangsläufig führt die gleichmässige Verteilung der Steuerbemessungsgrundlagen auf die einzelnen Perioden zur Minimierung der Steuerlast in der Totalperiode des Unternehmens. Der Mangel dieser Betrachtung ist offenkundig die Vernachlässigung des zeitlichen Anfalls der Steuerzahlungen. Werden Zinseffekte mitberücksichtigt, kommt man zur sog. „geneigten Normallinie”. Dann wird eine im Zeitablauf leicht ansteigende Gewinnreihe angestrebt. Die Modellierung dieser Problematik geht auf Marettek und Siegel zurück. Man minimiert die Summe der Steuerbarwerte bei Konstanz der nichtsteuerlichen Zahlungsüberschüsse. Die Optimumbedingung ist gegeben, wenn die Barwerte der Grenzsteuersätze aller Perioden sich entsprechen.
4. Strategien der Steuerbilanzpolitik Es sind folgende Strategien der Steuerbilanzpolitik bekannt: · Natürliche Personen mit hohen Einkünften und Kapitalgesellschaften streben eine maximale Gewinnnachverlagerung an. Voraussetzung ist bei letzteren, dass diese Politik keine nachteiligen Folgen bei nichtsteuerlichen Kriterien (Ausschüttungspolitik, Rating etc.) auslösen. Auch die konkreten Regelungen zur Managementanreizsetzung in einem Unternehmen können diese Strategie deutlich verkomplizieren. · Natürliche Personen mit niedrigen Einkünften verlagern Gewinne nur solange in die Zukunft, wie der positive Zinseffekt negative Progressionseffekte überkompensieren kann. Unter Einbeziehung der Erbschaftsteuer ergibt sich eine weitergehende Gewinnnachverlagerung als bei deren Vernachlässigung. Bei Kapitalgesellschaften besteht auf Unternehmensebene zunächst ein proportionaler Steuertarif. Sollen mit der Steuerbilanzpolitik aber rationale Entscheidungen getroffen werden, ist die Gesellschafterebene mit zu berücksichtigen. Dann unterliegen die Ausschüttungen dem progressiven Einkommensteuertarif gemäss dem Halbeinkünfteverfahren. Ausserordentlich kompliziert sind Verlustsituationen. Im Schrifttum wird z.T. die Ansicht vertreten, dass in Verlustsituationen eine Politik der maximalen Gewinnnachverlagerung nicht sinnvoll sei. Begründet wird dies damit, dass es keinen Sinn ergebe, Verluste, die im Jahr ihrer Entstehung einem Steuersatz von 0 % unterliegen, durch eine Politik der maximalen Gewinnnachverlagerung noch zu erhöhen. Auf diese Art könne keine Steuerentlastung erreicht werden, vielmehr würden spätere Entlastungsmöglichkeiten verringert (vgl. dazu kritisch: Schneeloch, 2002, S. 169 ff.).
5. Einordnung der Steuerbilanzpolitik Die bisherigen Ausführungen beruhen auf einer steuerbilanzpolitischen Partialbetrachtung. Bilanzpolitische Ziele nichtsteuerlicher Art sind somit nicht berücksichtigt worden. Derartige bilanzpolitische Ziele nichtsteuerlicher Art können aber im Einzelfall von ausserordentlich grosser Bedeutung sein. Sie beziehen sich regelmässig primär nicht auf die Gestaltung der Steuer-, sondern der Handelsbilanz bzw. des Jahresabschlusses. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Informationspolitik sowie die Zielsetzung der Erhaltung oder Steigerung der Kapitalbeschaffungsmöglichkeiten. Wichtig ist auch, die erbschaft- bzw. schenkungsteuerlichen Wirkungen nicht aus den Augen zu lassen. Hinweise · Zu den angrenzenden steuerrechtlichen Wissensgebieten (nach deutschem Steuerrecht) siehe Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer, Steuerlehre, Betriebswirtschaftliche Steuerrecht, Internationales, Umsatzsteuer. · Zu den angrenzenden Wissensgebieten siehe Abschlusserstellung nach US-GAAP, Bilanz analyse, Cash flow, Internationale Rechnungslegung nach IAS/IFRS, Jahresabschluss nach deutschem Recht, Jahresabschluss nach schweizerischem Recht, Kapitalflussrechnung, Kennzahlen, finanzwirtschaftliche, Kennzahlen, wertorientierte, Konzernabschluss, Sanierungsmanagement, Sonderbilanzen, Swiss GAAP FER.
Literatur: Baetge, Jörg / Kirsch, Hans-Jürgen / Thiele, Stefan: Bilanzanalyse, 2. Auflage, Düsseldorf 2004; Elschen, Rainer: Managementanreize und steuerpolitische Optimierung, DBW 1995, S. 303-322; Haberstock, Lothar / Breithecker, Volker: Einführung in die Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 13. Auflage, Berlin 2005, S. 168 ff.; Hundsdoerfer, Jochen: Tariffantasien des Gesetzgebers und der optimale Steuerbilanzgewinnpfad, StuW 2000, S. 18-32; Kudert, Stephan / Bartel, Stephanie / Jaunich, Markus / Lindner, Moritz: Steuerbarwertminimierung mithilfe kombinierter Ertragsteuersätze, DB 2005, S. 961-963; Küting, Karlheinz / Weber, Claus-Peter: Die Bilanzanalyse, 7. Auflage, Stuttgart 2004; Marettek, Alexander: Steuerbilanzplanung, Herne/Berlin 1980; Schneeloch, Dieter: Besteuerung und betriebliche Steuerpolitik. Band 2: Betriebliche Steuerpolitik, 2. Aufl., München 2002, S. 113 ff.; Siegel, Theodor: Verfahren zur Minimierung der Einkommensteuer-Barwertsumme, BFuP 1972, S. 6580; Vogt, Fritz Johannes: Bilanztaktik, 6. Auflage, Heidelberg 1963, S. 16-31. Internetadressen: http://www.bundesfinanzhof.de http://www.bundesfinanzministerium.de, http:// www.forum-steuem.de, http://www.sis-verlag.de; www.stiftung-marktwirtschaft.de; www.gesetze-iminternet.de
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