Kaufrisiko Wahrnehmung ist im Rahmen der Theorien des Käuferverhaltens bzw. der Konsumentenforschung eine allgemeine und umfassende Bezeichnung für den Prozeß der Informationsgewinnung aus Umwelt- und Körperreizen einschließlich der damit verbundenen emotiven Prozesse und der Modifikationen durchTransformationsprozesse. Das Ergebnis sind Empfindungen und Vorstellungen über die Umwelt sowie die eigene Person. In verschiedenen Disziplinen (z.B. Psychologie, Physiologie und Physik) werden unterschiedliche Aspekte der Wahrnehmung jnit verschiedenen Methoden untersucht. Im Marketing interessieren v. a. psychologische Aspekte der Gegenstandswahrnehmung. Im Vordergrund steht die visuelle Wahrnehmung, insb. bei Werbemitteln (Werbepsychologie). Der Begriff „Gegenstand“ wird dabei nicht e.S. von „Sache“ und „Ding“ gebraucht, sondern in einem weiteren Sinne. Gegenstand ist alles das, was dem Subjekt „entgegensteht“, worauf die Wahrnehmung gerichtet ist. Zu den Gegenständen gehören nicht nur materielle Produkte, sondern auch Dienstleistungen. Vom Produkt werden nicht nur physikalische Eigenschaften wahrgenommen, sondern auch Anmutungsquali- täten (Anmutumg) und Images. Hier sollen drei für das Marketing zentrale Gegenstandskategorien der Wahrnehmung näher beschrieben werden: Stimulus-, Form- und Farbwahrnehmung. Bei den Untersuchungen zur Stimulus\'wahrnehmungwerden spontane, quantitative Reaktionen gemessen, die von Stimuli ausgelöst worden sind. Stimulus kann dabei grundsätzlich alles sein, was wahrgenommen werden kann. Beispielsweise werden Lautstärken wahrgenommener Töne gemessen, der ästhetische Eindruck von Bildern und Urteile über Produktqualitäten. Im Rahmen psychophysischer Untersuchungen (Psychophysik) können die wahrgenommenen Reaktionen, z.B. Lautstärken und Gewichtsempfindungen, gut mit den entsprechenden objektiven Stimuluseigenschaften verglichen werden, z.B. mit Schalldrücken und physikalischen Gewichten. Dabei ist zu erkennen, dass bei der Transformation physikalischer Stimuli in psychische Größen Wahrnehmungsverzerrungen auftreten. Der Versuch, diese Verzerrungen auf eine bestimmte mathematische Funktion zu reduzieren, ist gescheitert. In erster Annäherung können aber Verzerrungsformen zu Stimulusarten in Beziehung gesetzt werden (vgl. Abb. 1). Bei physikalischen Stimuli findet man monotone Verzerrungen, die durch eine Potenzfunktion beschrieben werden können. Komplexe Stimuli werden gruppiert. Dabei sind unterschiedliche Gruppierungsformen beobachtbar. Bei wahrgenommenen Meinungen findet um die vertretene Meinung eine Assimilation statt (ähnliche Meinungen werden der eigenen angeglichen). Im Umfeld runder Preise (gebrochene Preise) können dagegen Kontrasteffekte nachgewiesen werden (Preise, die etwas unter runden Preisen liegen, werden unverhältnismäßig preiswürdiger wahrgenommen als Preise, die etwas über runden Preisen liegen). Die Verzerrungen bei der Transformation wahrgenommener Stimuli in psychische Größen haben unterschiedliche Formen, aber eine gemeinsame Erklärung. Sie sind das Ergebnis einer zweckmäßigen Anpassung an die Umwelt, die im Laufe der Evolution entstanden ist. Beispielsweise wird durch die monotone Transformation der Lichtintensität das Spektrum des wahrnehmbaren Lichts erheblich vergrößert. Gruppierungseffekte führen i.d.R. zu Verbesserungen von Klassifikationen. Die Angleichung von ähnlichen Meinungen vereinfacht das wahrgenommene Meinungsspektrum, und die Spreizung von Preisen um runde Preise verdeutlicht Preisunterschiede. Bei der Formwahrnehmung geht es nicht nur um die Gegenüberstellung von Stimuli und einfachen Reaktionen. Es werden die Grundlagen des Wahrnehmungsprozesses und komplexere Ergebnisse der Wahrnehmung untersucht. Die Beschreibung des Wahrnehmungsprozesses knüpft an die Wahrnehmung physikalischer Stimuli an. Die wahrgenommenen physikalischen Stimuli bilden zunächst eine ungeordnete Reizmenge. Figur-Grund-Differenzierung, Gestalt- und Prägnanzbildung sind grundlegende Ordnungsprozesse, durch die die wahrgenommene Reizmenge strukturiert und Wahrnehmung möglich wird. Die Figur-Grund-Differenzierung ist ein erster Ordnungsprozeß, durch den bestimmte Teile des Wahrgenommenen hervorgehoben werden, die man „Figur“ nennt. Der Rest bildet den „Grund“. Die Figur scheint vor dem Grund zu stehen bzw. auf dem Grund zu liegen. Gut abgegrenzte und lokalisierte Konfigurationen, die massiv und integriert sind, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit als Figuren wahrgenommen. Der Grund ist weniger strukturiert und eher unbestimmt. Trotz dieser unpräzisen Kriterien gibt es kaum interindividuelle Wahrnehmungsunterschiede. Einzelne Gegenstände werden bei der Wahrnehmung spontan verbunden und als Gestalt bewusst (Gestaltpsychologie). Dies erfolgt nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Man spricht von „ Gestaltgesetzen “. Die Abbildungen 2 bis 4 zeigen drei Beispiele. Es ist versucht worden, ein den Gestaltgesetzen übergeordnetes Gesetz zu formulieren. Gestaltpsychologen sehen im Prägnanzgesetz eine zusammenfassende Verallgemeinerung der Gestaltgesetze. Einfachheit (regelmäßige Figuren wie Kreise und Rechtecke sind z. B. einfach), Einheitlichkeit (einheitliche Flächen sind solche, die farblich und graphisch in sich wenig strukturiert sind) und Kontrast sind Bedingungen, die zu prägnan ten Darstellungen führen. In der Werbung arbeitet man viel mit Prägnanz, weil prägnante Abbildungen schneller und genauer wahrgenommen werden (Werbepsychologie). Formen und Bilder werden als Gesamtheit bewusst, gehen aber nicht als Gesamtheit in das Gedächtnis ein. Anders ausgedrückt: Es werden keine „Kopien“ der wahrgenommenen Objekte als kognitive Repräsentanten gespeichert. Die wahrgenommenen Formen werden bei der Wahrnehmung in einfache geometrische Elemente wie Linien, Winkel und Bogen zerlegt. Davon werden die invarianten Elemente gespeichert. Sie bilden ein charakteristisches Muster der wahrgenommenen Form, das das Wiedererkennen ermöglicht. Der Buchstabe „A“ wird bspw. in zwei schräge und eine waagerechte Linie zerlegt. Durch diese Elemente kann das „A“ im Alphabet eindeutig identifiziert werden. Entsprechende kennzeichnende Muster und eine dazugehörende interne Organisation entstehen für Figuren und Bilder. Man spricht in diesem Zusammenhang von „ Mu- stererkennung“,,, Merkmalshypothese“, aber auch von „ Merkmalstheorie“ und „Attributtheorie“. Für das Wiedererkennen folgt daraus: Es kommt auf die kennzeichnenden invarianten Merkmale an. Für die Werbung bedeutet das: Produkte werden schnell wiedererkannt, wenn sie invariante Merkmale haben, die sich deutlich vom Hintergrund und den invarianten Merkmalen der Konkurrenzprodukte abheben. Das Wiedererkennen basiert auf der Zerlegung einer geometrischen Form in geometrische Elemente. Das Ergebnis dieser Analyse ist aber mehr als eine bloße Synthese. Objekte werden als Gesamtheiten bewusst. Dazu gehören neben der äußeren Gestalt und dem Aussehen Kenntnisse über Eigenschaften, Anmutungsqualitäten, Sympathiewerte u.a.m. Dieser extensive Wahrnehmungsbegriff ist in Ausdrücken wie „Qualitätswahrnehmung“ enthalten. Damit ist das Bewusstwerden von Produkteigenschaften in einem umfassenden Sinne gemeint. Diese wahrgenommenen Produkteigenschaften werden häufig durch Methoden der mehrdimensionalen Skalierung veranschaulicht. Als Ergebnis erhält man Räume, die als Wahrnehmungsräume interpretiert werden (Positionierung). Wie in anderen Modellen wird unterstellt, dass bei der Produktwahrnehmung Produkteigenschaften bewusst werden (attributive Wahrnehmung). Diese Ansicht ist wahrscheinlich durch die verwendeten Methoden geprägt worden. Sie erfassen Produkte attributiv. Wahrnehmungspsychologisch spricht viel gegen die Annahme einer attributiven Objektwahrnehmung. Wahrnehmung vollzieht sich in Interaktion mit der Umwelt. Die Situation bildet den Hintergrund der Produktwahrnehmung. Daher werden Produkte in verschiedenen Situationen unterschiedlich wahrgenommen. Während einer Diät wird Schokolade bspw. anders wahrgenommen („macht dick“) als vorher („schmeckt lecker“). Innerhalb der Situation werden keine isolierten Produkteigenschaften wahrgenommen, sondern funktionale Beziehungen. Schokolade wird nicht als kalorienreich wahrgenommen (kann jedoch in Befragungen so beurteilt werden), sondern als ein Produkt, das gut schmeckt, aber dick macht. Das Farbensehen entsteht physiologisch durch Erregung der Zäpfchen. Das sind Fotorezeptoren, die über die Retina verteilt sind. Es können drei Zapfentypen auseinandergehalten werden, die unterschiedlich auf Lichtfrequenzen und damit auf Farben reagieren. Man kann sagen, dass die Zapfen die nicht vollkommen gesättigten Farbtöne Blau, Grün und Rot empfangen. In nachgelagerten Nervenzellen werden diese wahrgenommenen Farben verknüpft. Dadurch wird gemischtes Licht zu einer Fülle von Farbnu- ancen kombiniert. Farben erfüllen Zeichen-, Ordnungs- und Beeinflussungsfunktionen. Im Rahmen der Zeichenfunktion haben sie symbolische Bedeutungen (z.B. Weiß als Farbe des Lichts, der Reinheit und Vollkommenheit), können Ersatz für alphanumerische Zeichen sein und bestimmte Inhalte repräsentieren (z. B. als Sicherheitsfarben und Steuersignale). Von Ordnungsfunktion spricht man, weil durch Farben Objekte hervorgehoben und strukturiert werden können. Für das Marketing hat die Beeinflussungsfunktion die größte Bedeutung. Farben beeinflussen v. a. die An- mutungsqualitäten, aber auch die Sinnesqualitäten, die sich auf direkt wahrnehmbare Objekteigenschaften beziehen, z.B. auf Temperaturen, Gerüche und Oberflächenbeschaffenheit. Eine genaue Trennung zwischen Sinnes- und Anmutungsqualitäten ist allerdings in den meisten Fällen nicht möglich. Der rote Schein des Kaminfeuers ist z. B. ein Indikator für die Raumtemperatur, also mit einer Sinnesqualität verknüpft. Er löst aber auch Assoziationen mit „Gemütlichkeit“ und „Wohlempfmden“ aus, ist also auch mit Anmutungsqualitäten verknüpft. Diese Farbassoziationen ermöglichen, dass durch Farben Emotionen ausgelöst und bestimmte Produkteigenschaften verstärkt werden können. Genauer: Durch die Farbgebung der Produkte werden die mit der Farbe assoziierten Anmutungs- und Sinnesqualitäten mehr oder weniger stark auf die Produkte übertragen. Margarine muss danach eine hellgelbe Farbe mit geringer Rotbeimischung haben, um als gut streichfähig wahrgenommen zu werden. Einen Kühlschrank muss man innen weißblau streichen, wenn die Kühlwirkung farblich verstärkt werden soll. Diese Ausführungen zeigen, dass Wahrnehmung durch zahlreiche Faktoren bestimmt wird. Bisher ging es um Faktoren, die im Wahrnehmungsprozeß eingebettet sind, z.B. Farbassoziationen und Transformationsgesetze. Wahrnehmung wird aber auch durch externe Faktoren beeinflußt, z.B. durch motivationale Zustände, soziale Erfahrungen, Einstellungen, Erwartungen u.a.m. Hypothesen der folgenden Art konnten empirisch bestätigt werden: Je größer der soziale Wert eines Objektes, desto höher die WahrnehmungsWahrscheinlichkeit und die Akzentuierung (z. B. Überschätzung). Entsprechendes gilt für individuelle Bedürfnisse und motivationale Zustände. Diese Untersuchungen haben zu einer neuen Auffassung von Wahrnehmung geführt. Man spricht in der Wahrnehmungspsychologie von „ sozialer Wahrnehmung“ (social perception), in der Sozialpsychologie ist dafür die Bezeichnung „soziale Akzentuierung “ gebräuchlich. Die Ausführungen zeigen, dass Wahrnehmen ein offener Prozeß ist. Dies gilt für den Input- und den Outputbereich. Wahrnehmung ist gegenüber zahlreichen Umwelteinflüssen offen und breitet sich in verschiedene Richtungen aus. Zwischen Wahrnehmen, Lernen, Denken, Kategorisieren, Urteilen und anderen psychischen Prozessen ist keine genaue Abgrenzung möglich. Deutlich wird auch, dass Wahrnehmen kein passives Aufnehmen von Umweltinformationen ist, sondernein aktives Rekonstruieren. Dabei kommen - meistens unbewusst - Ergänzungen und Modifikationen vor, die zu Verwechslungen und Wahrnehmungstäuschungen führen können. Außerdem ist die Wahrnehmung selektiv, denn nur ein Teil der Umweltreize kann wahrgenommenund ein noch kleinerer Teil kognitiv verarbeitet werden (Aufmerksamkeit, Gedächtnistheorie).
Literatur: Behrens, G., Das Wahrnehmungsverhalten der Konsumenten, Frankfurt 1982. Stadler, M.; Seeger, F.; Raeithel, A., Psychologie der Wahr- nehmung, 2. Aufl., München 1977.
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