Die Bemühungen um die Explikation des Begriffes »Arbeitswissenschaft« sowie um die »funktionale« Differenzierung entsprechender Aufgabenbereiche gestalten sich in Literatur und Praxis sehr vielfältig. Der Mehrzahl der Definitionsvorschläge liegt die Auffassung zugrund e, daß Arbeitswissenschaft sich mit der Analyse und Gestaltung von Arbeitssystemen, d. h. den Interaktionen zwischen Mensch und technischen Systemen zu befassen habe. Sie untersucht die biologischen und psychosozialen Grundlagen menschlicher Arbeit und macht technologische Aussagen zur Gestaltung bzw. Beeinflussung von Arbeitsbedingungen. Ausgangspunkte sind hierbei die postulierten Ziele »Arbeitsproduktivität«/»Wirtschaftlichkeit« und »Humanisierung der Arbeit«. Im Memorandum der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V. (1979) wird »Arbeitswissenschafu definiert als Wissenschaft von der menschlichen Arbeit, speziell unter den Gesichtspunkten der Zusammenarbeit von Menschen und des Zusammenwirkens von Mensch und Arbeitsmitteln bzw. Arbeitsgegenständen, den Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen menschliche Arbeit sich vollzieht, 85 den Wirkungen und Folgen, die sie auf Menschen, ihr Verhalten und damit auch auf ihre Leistungsfähigkeit hat, sowie den Faktoren, durch die Arbeit, ihre Bedingungen und Wirkungen menschengerecht beeinflußt werden können. Aufgrund des zentralen Anliegens der Arbeitswissenschaft, die Teilaspekte »Mensch«, »Maschine« und »Umwelt« hinsichtlich der genannten ökonomischen und sozialen Ziele zu koordinieren, bedarf es der Einbeziehung der Erkenntnisse zahlreicher einschlägiger Fachwissenschaften, wie bspw. der Medizin, der Sozialwissenschaften, der Ingenieurwissenschaften, der Rechtswissenschaften u. a. Die wechselseitige Anpassung von Mensch und Arbeit in Organisationen kann unter verschiedenen Forschungsaspekten thematisiert werden, wobei im Rahmen der begrifflichen Abgrenzung bzw. Zuordnung arbeitswissenschaftlicher Teilgebiete eine ähnlich breite Palette unterschiedlicher Einteilungskriterien besteht wie bei dem Begriff »Arbeitswissenschaft«. Folgt man dem Vorschlag der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e. V. und der Hochschulgruppe Arbeitswissenschaft, dann ergeben sich folgende Teilgebiete: Arbeitsphysiologie, psychologie, Soziologie, pädagogik und Arbeitstechnologie. Daneben gibt es noch eine Anzahl von »Sondergebieten«, die entweder spezielle Aufgabenstellungen innerhalb der Arbeitswissenschaft behandeln, oder sich auf bestimmte Anwendungsbereiche beschränken, wie bspw. die Anthropotechnik, die Ergonomie, das Industrial Engineering und die industrielle Arbeitswirtschaft.
Das Phänomen menschliche Arbeit bildet das Erfahrungsobjekt verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Die mit der Industrialisierung im 18. und 19. Jh. verbundenen neuen Arbeitsformen und -bedingungen stellten hohe und zum Teil neue Anforderungen an die arbeitenden Menschen und damit auch neue Fragen an die Wissenschaften. Die damit verbundenen Einflüsse auf die menschliche Arbeitsleistung entwickelten sich bereits im 19. Jh. zu Forschungsobjekten der Medizin (Arbeitsphysiologie). Die Ansätze der Grundlagenforschung wurden sehr rasch inhaltlich erweitert und durch anwendungsbezogene Forschung ergänzt. Die zunehmende Komplexität der Mensch-Maschine-Systeme und die damit verbundenen Gefahren eines Systemengpasses beim arbeitenden Menschen zwangen zu einer integrativen Sicht der Arbeit und führten zur Entwicklung der Ergonomie (1949) bzw. Arbeitswissenschaft als Wissenschaftsdisziplin. Sie nahm bis heute weltweit und unabhängig vom Wirtschaftssystem einen raschen Aufschwung und führte zur Gründung von nationalen und internationalen arbeitswissenschaftlichen Gesellschaften. Die Arbeitswissenschaft wird heute weitgehend als eigenständige, interdisziplinär orientierte und integrative Wissenschaft i.S. einer umfassenden Arbeitsgestaltungswissenschaft verstanden. Dennoch grenzt man sie inhaltlich nicht einheitlich ab. Die Entwicklung der Arbeitswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland wurde durch eine technisch- ökonomische, technisch-physiologische und technisch-psychologische Betrachtungsweise nachhaltig geprägt. Neben diesem mehr na- tur- bzw. ingenieurwissenschaftlichen Ansatz wird heute auch die gesellschaftlich-politische Dimension in Form der emanzipatorischen Arbeitswissenschaft vertreten. Im deutschen Sprachraum sind zwei Hauptrichtungen festzustellen: • die ergonomisch-analytische und • die organisations-wissenschaftlich-pädagogische Richtung. Luczak/Volpert (1987) verstehen in Weiterentwicklung der Definition der Arbeitswissenschaft durch die Gesellschaft für Arbeits- Wissenschaft (GFA) (1972) unter Arbeitswissenschaft die Systematik der Analyse, Ordnung und Gestaltung der technischen, organisatorischen und sozialen Bedingungen von Arbeitsprozessen mit dem Ziel, dass die arbeitenden Menschen in produktiven und effizienten Arbeitsprozessen schädigungslose, ausführbare, erträgliche und beeinträchtigungsfreie Arbeitsbedingungen vorfinden, Standards sozialer Angemessenheit sowie Entlohnung und Kooperation erfüllt sehen, Handlungsspielraum erhalten, Fähigkeiten erwerben und in Kooperation mit anderen ihre Persönlichkeit entfalten und entwickeln können. Arbeits wissenschaftliche Erkenntnisse sind heute bei der humanen und wirtschaftlichen Gestaltung von Arbeitssystemen in Betrieben unverzichtbar. Der explizite Bezug auf arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse in der Arbeits- und Sozialgestaltung (vgl. z.B. §§90, 91 BetrVG 1972) und die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Mikroelektronik am Arbeitsplatz bilden Beispiele für die Anforderungen der Praxis an die Arbeitswissenschaft. Die Ansatzpunkte der arbeitswissenchaftli- chen Forschung und Gestaltung sind die Elemente des Arbeitssystems und die zwischen diesen bestehenden Verknüpfungen, irtsb. die Arbeitsbedingungen. Die Aufgaben der Arbeitswissenschaft i.S. einer pragmatischen Realwissenschaft lassen sich anhand verschiedener Modellarten verdeutlichen. Die arbeitswissenschaftli- chen Grundlagen werden mit den Modellvarianten (1), (2) und (7) (vgl. Modell des Arbeitssystems), die theoretische Ebene mit dem kausalen Modell (z.B. Belastungs- Beanspruchungs-Modell) abgedeckt; ihre pragmatische Aufgabe konkretisiert sich in den Modellvarianten (3), (5), (6) und (8) (z. B. arbeitswissenschaftliche Beurteilungsdimensionen und -ebenen). Zwischen der Arbeitswissenschaft und der Betriebswirtschaftslehre bestehen wechselseitige Beziehungen. Durch die Betonung der Subjektposition des arbeitenden Menschen und durch die rechtlichen Rahmenbedingungen wird die Gestaltung der Arbeitssysteme entsprechend den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen auch ein zentrales Anliegen der Betriebswirtschaftslehre, vor allem des Personalwesens und der Organisation. Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse haben für betriebswirtschaftliche Gestaltungsprobleme Bedingungschrakter, insb. bei den personalbezogenen Gestaltungsmassnahmen und der Personaleinsatzplanung. Literatur: Albach, H. (Hrsg.), Arbeitswissenschaft, Stand und Bedeutung für die Betriebswirtschaftslehre, ZfB, Ergänzungsheft 1, 1984. Bokranz, R./ Landau, K., Einführung in die Arbeitswissenschaft. Analyse und Gestaltung von Arbeitssystemen, Stuttgart 1991. Grandjean, E., Physiologische Arbeitsgestaltung, 3. Aufl., Landsberg a. Lech 1979. Lau- rig, W., Grundzüge der Ergonomie, 3. Aufl., Berlin 1990. Luczak, HJVolpert, W., Arbeitswissenschaft. Kerndefinition, Gegenstand, Forschungsgebiete, 3. Aufl., Eschborn 1989. Rohmert, WRutenfranz, J. (Hrsg.), Praktische Arbeitsphysiologie, 3. Aufl., Stuttgart, New York 1983. Schmidtke, H. (Hrsg.), Lehrbuch der Ergonomie, 2. Aufl., München, Wien 1981. Ulich,E., Arbeitspsychologie, Stuttgart 1991. Verband für Arbeitsstudien und Be- triebsorganisation/REFA, Grundlagen der Arbeitsgestaltung, München 1991. Zink, K.J. (Hrsg.), Arbeitswissenschaft und neue Technologien, Eschborn 1988.
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