von Léon Walras begründeter Zweig der Grenznutzenschule. Walras stellt sich die Frage, ob in einem System interdependenter Märkte sich diese zugleich im Gleichgewicht befinden können, d. h. es geht ihm um die Existenz des allgemeinen Gleichgewichts. Wie die anderen Grenznutzentheoretiker unterstellt er Rationalverhalten, d.h. er geht von der Nutzenmaximierung der Individuen aus, weiterhin nimmt er die Präferenzen in Form kardinaler Nutzenfunktionen als gegeben an und arbeitet mit jeweils gegebenen Beständen an Faktorleistungen (Arbeit, Boden, Kapital) sowie mit gegebener lecnniK. aui aer Basis aie- ser Prämissen leitet er zunächst die individuellen Angebots- und Nachfragefunktionen in bezug auf die einzelnen Güter und Faktorleistungen ab, die er sodann zu Marktangebotsund Marktnachfragefunktionen aggregiert. Dabei unterstellt er vollkommene Konkurrenz bzw. Mengenanpasserverhalten, d.h. die Preise sind für die Individuen jeweils Datum, und die Unternehmen erzielen im Gleichgewicht weder Verlust noch Gewinn. Zusammen mit der Forderung, dass auf allen Märkten Angebot und Nachfrage übereinstimmen, erhält er daraus ein System von Gleichungen, aus dem sich wegen des Wal- ras-Gesetzes nur die Relativpreise bestimmen lassen, d. h. ein Gut muss als "Zählgut" (numéraire) dienen. Das Zustandekommen dieses Gleichgewichts veranschaulicht Walras durch das sog. Tatonnement: Ein Auktionator ruft Preise aus und variiert sie so lange, bis auf allen Märkten Gleichgewicht herrscht. Erst dann wird getauscht. Die Börsenpreisbildung wird somit zum Muster für die Preisbildung schlechthin. Der zur Cambridge- Schule gehörende englische Nationalökonom Francis Y. Edgeworth ersetzte die Tâtonnement-Vorstellung später durch diejenige des Rekontrahierens, d.h. alle Kaufverträge gelten so lange als nur vorläufig, bis die Gleichgewichtspreise gefunden sind. Vilfredo Pareto übernimmt die Grundstruktur dieses Ansatzes, ersetzt jedoch unter Verwendung von Indifferenzkurven das kardinale durch das ordinale Nutzenkonzept (Nutzenmessung) und macht die von Walras als konstant angenommenen Produktionskoeffizienten faktorpreisabhängig. Ausserdem legt er auf der Basis des Walras-Modells wichtige Grundlagen für die Wohlfahrtsökonomik (Pareto-Optimum). Enrico Barone überträgt das Konzept des allgemeinen Gleichgewichts im Sinne von Walras auf die zentral gelenkte Wirtschaft und liefert damit einen frühen Beitrag zur Diskussion um den Konkurrenzsozialismus. Der Schwede Gustav Cassel schliesslich trägt durch gewisse Vereinfachungen - unter Verzicht auf eine nutzentheoretische Fundierung arbeitet er unmittelbar mit Angebots- und Nachfragefunktionen — erheblich zur Popularisierung des Walras-Modells, vor allem in Deutschland, bei. Präzisiert und axiomatisch fundiert wird der Ansatz dann in der neueren Neoklassik. Literatur: Issing, O. (Hrsg.), Geschichte der Nationalökonomie, 2. Aufl., München 1988. Stavenha- gett, G., Geschichte der Wirtschaftstheorie, 4. Aufl., Göttingen 1969. lautes uemcen
Gruppe von Ökonomen, die wie Leon WALRAS (1835-1910) und Vilfredo PARETO (1848-1923) in Lausanne lehrten oder deren Werk fortführten. Gemeinsam ist ihnen die Entwicklung der Neoklassischen Theorie des allgemeinen - Gleichgewichts. Begründer der Schule ist WALRAS, der jedoch an Überlegungen seines Vaters Auguste WALRAS (1801-1866) und dessen Schulfreundes Augustin COURNOT (1801-1877) anknüpfte. Auguste WAL-RAS hatte im Anschluss an Gedanken von Jean-Baptiste SAY (Klassische Theorie) eine subjektive Wertlehre vertreten. COURNOT hatte, wie schon vor ihm Jules DUPUIT (1804-1866), fallende Nachfragefunktionen mit fallendem Grenznutzen begründet und die Preisbildung im Angebotsmonopol auf der Grundlage des Prinzips der Gewinnmaximierung bzw. Nutzenmaximierung diskutiert. Wie alle Vertreter der Neoklassischen Theorie ging Leon WALRAS vom - Rationalverhalten der einzelnen Marktteilnehmer aus, doch interessierte ihn v.a. die Interdependenz wirtschaftlichen Handelns und damit der Gesamtzusammenhang eines Systems miteinander verbundener Märkte. Dabei beschränkte er sich auf statische Überlegungen: Sein Ziel war zu zeigen, dass ein System interdependenter Märkte gleichzeitig im Gleichgewicht sein kann, wenn die Präferenzen aller Marktteilnehmer und die Produktionsmethoden aller Güter gegeben sind. WALRAS unterstellte, dass jeder Marktteilnehmer eine kardinale und additive Nutzenfunktion hat, mit der er die zur Befriedigung seiner Bedürfnisse notwendigen Güter bewertet sowie einen gegebenen Bestand an Faktorleistungen (Arbeit, Bodenleistungen, Kapitalleistungen usw.). Mittels des Prinzips der Nutzenmaximierung leitete er daraus für jeden Marktteilnehmer Nachfragefunktionen für produzierte Güter und Angebotsfunktionen für Faktorleistungen ab. Über alle Marktteilnehmer aggregiert ergeben sich daraus Marktnachfragefunktionen für alle Güter und Marktangebotsfunktionen für alle Faktorleistungen. Entsprechend werden aus dem Postulat gegebener Technik (konstante Produktionskoeffizienten) und der Annahme, dass Unternehmer weder Gewinn noch Verlust machen (vollkommene Konkurrenz), Marktangebotsfunktionen für alle Güter und Marktnachfragefunktionen für alle Faktorleistungen abgeleitet. Zusammen mit der Forderung, dass auf allen Märkten Angebot gleich Nachfrage sei, ergibt das ein System von Gleichungen, deren Zahl gleich ist der Zahl der Märkte für Güter und Faktorleistungen. WALRAS schloss (zu Unrecht) aus dieser Gleichheit, dass ein alleemeines Gleicheewicht existiert: Es gibt Preise für Güter und Faktorleistungen, zu denen alle produzierten Güter abgesetzt und alle vorhandenen Faktorleistungen nachgefragt werden, alle Marktteilnehmer ihren subjektiven Nutzen maximieren und alle Unternehmer weder Gewinn noch Verlust machen. Dieser Schluss gilt jedoch nur, wenn weitere Annahmen gemacht werden, die v.a. die Möglichkeit negativer Preise bzw. Güter- oder Faktorleistungsmengen ausschließen. Aus seiner Analyse leitete WALRAS ab, dass nur relative Preise, d.h. Preise in bezug auf ein beliebiges Preisgut (numeraire) bestimmt werden können, da sich das Gleichgewicht des letzten Markts aus der Tatsache ergibt, dass alle anderen Märkte im Gleichgewicht sind (WALRASsches Gesetz). Um zu zeigen, wie ein solches Gleichgewicht zustande kommt, bediente sich WALRAS der Konstruktion des sog. TätonnementProzesses: Ein Auktionator ruft Preise aus und verändert sie so lange, bis Gleichgewicht auf allen Märkten erreicht ist. Francis Y. EDGEWORTH (Cambridge-Schule) ersetzte diese Annahme durch die ebenso künstliche Annahme des >Rekontrahierens<, nach der alle Kaufverträge vorläufig sind, solange nicht die Gleichgewichtspreise gefunden sind. Sowohl WALRAS als auch EDGEWORTH machten implizit die Annahme, dass vollständige Konkurrenz dem Tätonnement-Prozess bzw. dem Rekontrahieren nahekommt. WALRAS dehnte später seine Betrachtung auf die Wahl der Produktionsmethoden und die Märkte für Kapitalgüter aus, bezog auch Geldbestände in seine Überlegungen ein, ohne jedoch die grundlegende Struktur seines Systems zu verändern oder in seinen Bemühungen besonders erfolgreich zu sein. PARETO übernahm im wesentlichen WALRAS\' System, veränderte jedoch die nutzentheoretische Grundlage, indem er statt von kardinalen und additiven Nutzenfunktionen von Indifferenzkurven ausging, die ordinate und nicht-additive Nutzenfunktionen voraussetzen. Ebenso ersetzte er die konstanten Produktionskoeffiziepten durch variable, von Faktorpreisverhältnissen abhängige Produktionskoeffizienten (Isoquanten). Weiter wies er nach, dass jedes Gleichgewicht im WALRASschen System abhängig ist von der gegebenen Ausgangsverteilung der Faktorleistungen, und dass vollständige Konkurrenz zwar eine (PARETQ-)effiziente Allokation knapper Mittel an konkurrierende Ziele herbeiführen kann, dass diese Allokation jedoch nur dann optimal ist, wenn die daraus resultierende Verteilung der Güter den Präferenzen aller Marktteilnehmer entspricht (PARETO-Optimum). Mit diesem Nachweis legte PARETO die Grundlage für die moderne Wohlfahrtsökonomik. Auf seinen Überlegungen aufbauend wies später Enrico BARONE (1859-1924) nach, dass bei gleichen Faktorleistungsmengen und gleichen Präferenzen die effiziente Allokation der vorhandenen Ressourcen in einer staatlich oder zentral gelenkten Wirtschaft dieselbe ist wie in einer dezentral organisierten (Markt-)Wirtschaft mit vollständigem Wettbewerb, ein Nachweis, der für die Theorie der - Planung und des sog. Konkurrenzsozialismus grundlegende Bedeutung gewann. Zum weiteren Umkreis der Lausanner Schule gehört auch der schwedische Ökonom Gustav CASSEL (1866-1945), der das WALRASsche System zwar durch den Verzicht auf eine nutzentheoretische Grundlage verflachte, ihm dafür jedoch zu großer Wirkung verhalf. Eine exakte Analyse des WALRASschen Systems unter Berücksichtigungen der Überlegungen PARETOs erfolgte erst in den Arbeiten der Vertreter der Neo-neoklassischen Theorie (John R. HICKS, Paul A. SAMUELSON, G€rard DEBREU u.a.). In dieser Version ist sie die Grundlage der modernen Mikroökonomie geworden. K.H.H. Literatur: Hutchison, T.W. (1953)
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