Die Mißbrauchsaufsicht wird vom Bundeskartellamt gemäß dem Kartellgesetz ausgeübt, wenn eine wirksame Konkurrenz (Wettbewerb) fehlt und Behinderungsmissbrauch (Einschränkung der wettbewerblichen Handlungsfreiheit eines anderen) oder Ausbeutungsmissbrauch (z. B. durch überhöhte Preisforderungen) vorliegt. Konsequenzen der Miss- brauchsaufsicht können Beanstandung oder Untersagung missbräuchlichen Verhaltens bzw. Nichtigkeitserklärungen von Verträgen durch das Bundeskartellamt sein.
Die Ausübung der Mißbrauchsaufsicht gehört zu den Aufgaben der Kartellbehörden. Unter Mißbrauch ist allgemein der - vernünftigen, normgerechten und anerkannten Verhaltensregeln widersprechende - Gebrauch eines Gegenstandes oder Rechtes zu verstehen. Die nach §§ 2-8 GWB ausgenommenen Erlaubnis-, Widerspruchs- und An- meldekartelle unterliegen nach §§11, 12 GWB der Mißbrauchsaufsicht. Voraussetzung ist die Feststellung eines Mißbrauchs im Sinne eines objektiv sachwidrigen Verhaltens. Der Kartellbehörde steht hier ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung. Bei den vertikalen Bindungen nach § 18 GWB üben die Kartellbehörden eine Mißbrauchsaufsicht dahingehend aus, ob eine für den Wettbewerb auf dem Markt erhebliche Zahl von Unternehmen gleichartig gebunden und in ihrer Wettbewerbsfreiheit unbillig eingeschränkt ist oder für andere Unternehmen der Marktzutritt unbillig beschränkt oder durch das Ausmaß solcher Beschränkungen der Wettbewerb auf dem Markt wesentlich beeinträchtigt wird. Die Kartellbehörden können die jeweils notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung des Mißbrauchs durchführen bzw. anordnen. Für die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Stellungen enthält das GWB neben der Generalklausel der mißbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung drei Anwendungsfälle, nämlich den Behinderungsmißbrauch (Behinderungswettbewerb), den Preismißbrauch und die Preisspaltung und Konditionenmißbrauch (§ 22 Abs. 4 Nr. 1-3 GWB). Der Mißbrauch führt nicht zur Rechtsunwirksamkeit des Vertrages. Die Kartellbehörde kann für die Zukunft mißbräuchliches Verhalten untersagen und Verträge für unwirksam erklären (§ 22 Abs. 5 GWB). In der Praxis hat sich die nach § 22 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 GWB mögliche Preismißbrauchsaufsicht als wenig wirksam erwiesen, weil den marktbeherrschenden Unternehmen eine mißbräuchliche Preisüberhöhung nicht nachgewiesen werden konnte. Das EWG-Kartellrecht verbietet in Art. 86 EWGV den Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen auf dem gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben, soweit er dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
(Missbrauchskontrolle, korrektive Missbrauchsaufsicht) bezeichnet das Bemühen der Wettbewerbspolitik, Unternehmen, die eine marktbeherrschende Stellung (Marktbeherrschung) einnehmen, daran zu hindern, die ihnen verfügbare Marktmacht zu nutzen, um Lieferanten oder Abnehmer "auszubeuten" (Ausbeutungsmissbrauch) oder um Wettbewerber in ihren Möglichkeiten zur wettbewerbsrelevanten Aktion und Reaktion unbillig zu beschränken (Behinderungsmissbrauch). Im deutschen Wettbewerbsrecht ist die Missbrauchsaufsicht vor allem im § 22 GWB tungstatbestände, die der Wettbewerbsbehörde den Nachweis des Bestehens einer marktbeherrschenden Stellung erleichtern sollen. Der Tatbestand des Missbrauchs wird in § 22 GWB lediglich durch das Aufzählen einiger Beispiele verdeutlicht. Im übrigen belässt es der Gesetzgeber bei der Feststellung, dass die Kartellbehörde untersagend eingreifen und Verträge für unwirksam erklären kann, wenn eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausgenutzt wird. Die Missbrauchsaufsicht hat die Aufgabe, eine Ausnutzung der vom Wettbewerb nicht kontrollierten Handlungsspielräume zu Lasten Dritter zu unterbinden. Die auf diesen Märkten nicht mehr wirksame "unsichtbare Hand" des Lenkungsund Kontrollverfahrens Wettbewerb soll hier gleichsam durch die "sichtbare Hand" der Wettbewerbsbehörde ersetzt werden. Diese hat somit die Aufgabe, marktbeherrschende Unternehmen nach Möglichkeit zu einem "wettbewerbsanalogen" Verhalten zu veranlassen. Dabei kann auf die Ursache des fehlenden Wettbewerbs und eines unter Umständen missbräuchlichen Verhaltens, nämlich auf das Bestehen einer marktbeherrschenden Position, kein Einfluss genommen werden; sie ist als Datum zu akzeptieren. Auch kann von der Wettbewerbsbehörde zwar missbräuchliches Verhalten untersagt, jedoch nur begrenzt positives Handeln angeordnet werden. Sie ist nicht imstande, ein Marktverhalten herbeizuführen, das vor allem auch gewährleistet, dass die sog. dynamischen Wettbewerbsfunktionen, also eine rasche Anpassung der Angebots- an eine sich wandelnde Nachfragestruktur und eine befriedigende Innovationsrate, hinreichend verwirklicht werden. Möglich ist lediglich die Korrektur eines unerwünschten Marktergebnisses im Einzelfall, ein Ansatz, der als "regula- tion approach" bezeichnet wird. Die Kriterien, nach denen eine derartige Marktergebniskontrolle betrieben wird, sind umstritten. Bedenken weckt dabei vor allem die Forderung, auf vermachteten Märkten das Konzept eines "Als-ob-Wettbewerbs" anzuwenden. Für eine staatliche Missbrauchsaufsicht über die hier geforderten Preise ergibt sich daraus z.B. die Aufgabe, die Preise durchzusetzen, die auf diesen Märkten bei wirksamem Wettbewerb hätten erzielt werden können. Die tatsächlich geforderten Preise sind mit diesen Wettbewerbspreisen zu vergleichen. Die Differenz markiert den Preismissbrauch, den es durch Untersagung zu verhindern gilt. Nun ist marktwirtschaftlicher Wettbewerb ein Prozess, der in Verlauf und Ergebnis nicht vorhersehbar und folglich auch nicht gedanklich simulierbar ist. Die exakte numerische Bestimmung hypothetischer Wettbewerbspreise ist damit nicht möglich. Das Konzept des Als-ob-Wettbewerbs erweist sich als nicht operabel. Um diesen Mangel zu heilen, ist vom Bundeskartellamt das sog. Vergleichsmarkt- Konzept entwickelt worden. Mit ihm versucht man, den benötigten Als-Ob-Massstab dadurch zu konkretisieren, dass dem missbrauchsverdächtigen Preis ein anderer Preis gegenübergestellt wird, der auf einem vergleichbaren Markt mit höherer Wettbewerbsintensität gilt. Doch führt auch dieses Vorgehen erfahrungsgemäss zu einer Vielzahl von Schwierigkeiten. Vor allem als Verfahren zur Preiskontrolle stösst die Missbrauchsaufsicht zudem auch auf erhebliche ordnungspolitische Bedenken. Geprüft wird, ob die durch eine Preiserhöhung erzielten Mehrerlöse durch unvermeidbare Mehrkosten gerechtfertigt sind. Dieses Vorgehen löst sich von der Referenzsituation eines wirksamen Wettbewerbs, weil es die unter Wettbewerbsbedingungen durchaus gegebene Möglichkeit ausschliesst, Preissteigerungen durch das Wirksamwerden zusätzlicher Nachfrage zu rechtfertigen; es zwingt die Kartellbehörde auch, kaum objektivierbare Entscheidungen darüber zu treffen, mit welchen Deckungsbeiträgen die einzelnen Erzeugnisse eines Mehrprodukt-Unternehmens zu belasten sind. Für die Unternehmenspolitik ergibt sich aus der Notwendigkeit, höhere Preise durch höhere Kosten zu rechtfertigen, die Aufgabe, die einzelnen Produkte derart mit Gemeinkosten zu belasten, dass der Nachweis unabwendbarer Mehrkosten dort, wo Preiserhöhungen beanstandet wurden, gesichert ist. Es wird folglich dazu ermuntert, die Kosten den Preisen anzupassen. Das aber ist gleichbedeutend mit einer Umkehrung des marktwirtschaftlichen Prinzips, das einem wirksamen Wettbewerb die Aufgabe zuweist, die Preise auf das Niveau der Kosten herabzudrücken und nicht etwa diese auf das Niveau der Preise "hochzurechnen". In dem Masse, in dem es gelingt, Preiserhöhungen durch gestiegene Kosten zu legitimieren, entfällt zudem der Zwang zur Kostensenkung. Damit wäre der Versuch, wettbewerbsanaloge Ergebnisse zustandezubringen, einmal mehr misslungen. Die Referenzsituation eines "Als-Ob-Wett- bewerbs" erweist sich somit als eine Fiktion, deren Konkretisierung erhebliche Ermessensspielräume eröffnet. Die Effizienz der Missbrauchsaufsicht wird durch diese Mängel erheblich beeinträchtigt. Seit Inkrafttreten des GWB sind kaum mehr als ein Dutzend Missbrauchsverfahren gemäss § 22 GWB eingeleitet worden, von denen nur wenige zu einer Untersagungsverfügung des Bundeskartellam- tes geführt haben, die schliesslich auch von den Gerichten bestätigt wurde. Der Zeitbedarf, den derartige Verfahren beanspruchen, ist zudem erheblich. Die Missbrauchsaufsicht stösst - vor allem als Verfahren zur Preiskontrolle - auf erhebliche ordnungspolitische Bedenken. Alle Versuche, die Wirksamkeit dieses Instrumentes zu verbessern, sind weitgehend erfolglos geblieben. Die Notwendigkeit seiner Inanspruchnahme ist somit möglichst gering zu halten. Dazu ist es erforderlich, auf bereits vermachteten Märkten den verbliebenen Restwettbewerb zu bewahren und "newcomer" zum Wettbewerbsvorstoss zu befähigen; und es ist zu vermeiden, dass neue marktbeherrschende Positionen begründet werden. Dazu bedarf es einer wirksamen Zusammenschlusskontrolle und einer liberalen Aussenwirtschaftspolitik, die sich konsequent bemüht, Märkte der heimischen Volkswirtschaft für ausländische Anbieter zu öffnen oder offen zu halten.
Literatur: Baur, ]., Der Missbrauch im deutschen Kartellrecht, Tübingen 1972. Monopolkommission, Anwendung und Möglichkeiten der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen seit Inkrafttreten der Kartellgesetznovelle, Sondergutachten 1, Baden-Baden 1975. Schmidt, /., Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 3. Aufl., Stuttgart 1990.
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