Im Schrifttum werden unterschiedliche Definitionen vorgeschlagen. Am verbreitesten ist die Auffassung, daß unter dem Internationalen Steuerrecht das nationale Steuerrecht zu verstehen ist, das sich mit der Besteuerung von grenzüberschreitenden Sachverhalten beschäftigt.
1. Charakterisierung / Begriff Der Begriff Internationales Steuerrecht ist weder kodifiziert noch systematisch konzipiert. Es ist teilweise sogar umstritten, ob man überhaupt von einem „internationalen” Steuerrecht sprechen kann. Unter „Internationalem Steuerrecht” verstehen einige Autoren nur jene Normen, die ihrer Quelle nach völkerrechtlicher Natur sind. Dadurch wird der Begriff sehr eng gefasst und ist auf die Herkunft des Rechts bezogen. Wird in diesem Zusammenhang der Begriff gegenständlich definiert, handelt es sich um das Recht der Abgrenzung der Steuergewalten (Steuerhoheit), weil lediglich Kollisionsnormen zum Internationalen Steuerrecht zählen. Unter dem Begriff Kollisionsnormen sind Rechtsnormen zu verstehen, die Rechtsansprüche der Staaten gegeneinander abgrenzen. Hinsichtlich des Ursprungs seiner Normen wird das Internationale Steuerrecht unterschieden in das „Internationale Steuerrecht im engeren Sinne” und das „Internationale Steuerrecht im weiteren Sinne”: · Das Internationale Steuerrecht im engeren Sinne umfasst nur die steuerlich relevanten Normen des Völkerrechts, die das staatliche Kollisionsrecht betreffen. Dabei geht es in erster Linie um diejenigen Normen, welche der Beschränkung und Abgrenzung sich überschneidender Steueransprüche dienen. Zum Internationalen Steuerrecht im engeren Sinne zählen daher
(1) das nicht kodifizierte völkerrechtliche Gewohnheitsrecht mit steuerlicher Relevanz,
(2) geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen,
(3) weitere bilaterale sowie multilaterale Abkommen mit steuerlichem Bezug, wie zum Beispiel Amts- und Rechtshilfeabkommen,
(4) steuerlich relevante Normen des EU-/EG-Vertrages oder der WTO (vormals GATT) und
(5) steuerlich bedeutende Entscheidungen internationaler Gerichte (z.B. EuGH). · Das Internationale Steuerrecht im weiteren Sinne beinhaltet zudem alle Normen des nationalen Steuerrechts, die sich mit den Überschneidungen der Besteuerungsansprüche von Staaten befassen und diese zu regeln versuchen (Aussensteuerrecht, nationales). Wie jedoch bereits oben angeführt, ist es umstritten, ob das nationale Aussensteuerrecht dem Internationalen Steuerrecht zugeordnet werden soll. Es findet sich auch die Auffassung, dass zum Internationalen Steuerrecht alle Normen zählen, die ausländische oder grenzüberschreitende Sachverhalte zum Gegenstand haben. Diese Normen können der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sein. Darüber hinaus kann man den Begriff des Internationalen Steuerrechts in zwei weitere Ordnungsbegrif-fe aufteilen. Dabei lassen sich all jene Normen, die sich mit der Vermeidung der Doppelbesteuerung befassen, als Doppelbesteuerungsrecht und alle übrigen als Aussensteuerrecht bezeichnen. Quelle des Aussensteuerrechts ist das nationale Recht, wohingegen Quelle des Doppelbesteuerungsrechts das Völkerrecht ist. Das Internationale Steuerrecht wird somit auch als Oberbegriff fur das Aussen- und Doppelbesteuerungsrecht verstanden und erfasst damit alle Rechtsnormen, die steuerliche Sachverhalte mit Auslands-beziehungen betreffen und der Quelle nach entweder nationales oder internationales Recht sind. Ein Auslandsbezug liegt dann vor, wenn sich der Steuerpflichtige einerseits und das Steuergut andererseits auf verschiedenen Hoheitsgebieten (Steuerhoheit) befinden und/oder mehrere Staaten auf denselben Steuerpflichtigen oder dasselbe Steuergut zugreifen. Das Internationale Steuerrecht bedarf stets eines Bezuges zu bestimmten Rechtsordnungen. Jeder Staat hat somit sein eigenes Internationales Steuerrecht, das demzufolge auch jeweils aus der Perspektive dieses Staates betrachtet werden muss.
2. Bedeutung / Ziel des Internationalen Steuerrechts Das Internationale Steuerrecht beschäftigt sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen ein grenzüberschreitender Sachverhalt steuerliche Wirkung im Inland und/oder im betreffenden ausländischen Staat entfaltet. Grenzüberschreitende Sachverhalte können dabei sowohl inländische Steuerpflichtige mit Auslandsbeziehungen (Outbound-Sachverhalte) als auch ausländische Steuerpflichtige mit Inlandsbeziehungen (Inbound-Sachverhalte) betreffen. Das Internationale Steu-errecht befasst sich mit der Begründung, den laufenden und der Beendigung der einzelnen nationalen Steuerpflichten unter Einbeziehung der zwischenstaatlichen Normen. Mit Hilfe des Internationalen Steuerrechts, insbesondere durch Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), sollen Doppelbesteuerungen vermieden oder zumindest gemindert werden. Da eine mehrfa-che Steuerbelastung die Rentabilität jeder Tätigkeit zusätzlich senkt, würden Doppelbesteuerungen zu einer Beschränkung der Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte auf das Inland fuhren. Die Folgen wären weniger Wettbewerb und, damit einhergehend, sinkendes Wirtschaftswachstum. Aus diesem Grund sind die betroffenen Staaten daran interessiert, Mehrfachbelastungen durch Steuern zu vermeiden. Zwar stiege kurzfristig das Steueraufkommen, auf lange Sicht sänke es jedoch. Zudem verletzt eine mehrfache Besteuerung desselben Sachverhaltes bei demselben Steuerpflichtigen das Leistungsfähig,keitsprinzip. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden von Staaten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) geschlossen. Deutschland hatte zum 01.01.2006 auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen 88 DBA. Besteht kein DBA, und finden daher keine bilateralen Kollisionsnormen Anwendung, kann eine Vermeidung der Doppelbesteuerung im nationalen Recht geregelt werden, wobei diese unilateralen Massnahmen i.d.R. allerdings weniger weitreichend sind. Für Deutschland ist hier § 34c Abs. 1 bis 5 EStG oder § 26 Abs. 1 KStG beispielhaft. Trotz der grundsätzlichen Absicht, grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeiten nicht zu behindern, sol-len die Kollisionsnormen keine missbräuchlichen oder zumindest vom Gesetzgeber nicht gewollten Steuergestaltungen errnöglichen. Aus diesem Grund wird von den vertragsschliessenden Staaten nicht nur eine Vermeidung der Doppelbesteuerung angestrebt, sondern auch eine Unterbindung steuerspa-render Gestaltungsmöglichkeiten (Minderbesteuerung, Nullbesteuerung). Diesen Bestrebungen wird in Deutschland insbesondere im nationalen Aussensteuerrecht (Aussensteuerrecht, nationales), zum Beispiel durch
(1) § 2a Abs. 1 EStG,
(2) die Treaty-Shopping-Regelung in § 50d Abs. 3 EStG,
(3) das Aussensteuergesetz sowie
(4) bestimmte Klauseln in Doppelbesteuerungsabkommen Rech-nung getragen. Solche Klauseln sind vor allem
(1) Aktivitätsklauseln,
(2) Subject-to-tax-Klauseln,
(3) Remittance-Base-Klauseln oder
(4) Switch-over-Klauseln. Schwerpunkte der Steuergestaltung sind insbesondere Verrechnungspreise und Gesellschaftskonstruktionen im Ausland. Die Bedeutung von Verrechnungspreisen nimmt aufgrund der steigenden internationalen Verflechtung von Unternehmenstätigkeiten zu. Durch Verrechnungspreise haben international tätige Unternehmen die Möglichkeit, Gewinne in niedrigbesteuernde Länder zu verschieben. Um einer solchen Verschiebung entgegenzuwirken, verschärfen in den letzten Jahren insbesondere die Hochsteuerländer ihre Vorschriften zur Bestimmung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen. Durch Gesellschaftskonstruktionen versuchen natürliche und juristische Personen, Teile ihres steuerpflichtigen Einkommens in Niedrigsteuerländer oder Steueroasen umzuleiten, um das internationale Steuergefälle zu nutzen.
3. Prinzipien der Besteuerung Zu Überschneidungen von Steueransprüchen kommt es als Folge der Anwendung von gleichen oder unterschiedlichen Prinzipien der Besteuerung. Aufgrund des Souveränitätsprinzips kann ein Staat Besteuerungsansprüche geltend machen. Unter Berücksichtigung des Völkergewohnheitsrechts macht er dies nur bei Vorliegen eines Anknüpfungsmerkmals. Vom gewählten Anknüpfungsmerkmal hängt i.d.R. der Umfang des Besteuerungsanspruches ab. Knüpft der Staat den Besteuerungsanspruch an ein Steuergut, so besteuert er aufgrund des Territorialitätsprinzips nur die auf seinem Steuergebiet realisierten Erträge bzw. das dort belegene Vermögen; knüpft er den Besteuerungsanspruch an die Person, so besteuert er aufgrund des Universalitätsprinzips das Welteinkommen, -vermögen oder die -erbschaft. Das Souveränitätsprinzip wird somit flankiert vom
(1) Territorialitätsprinzip und Universalitätsprinzip. Des Weiteren werden
(2) das Wohnsitzstaatprinzip und Nationalitätsprinzip,
(3) das Wohnsitzprinzip und Ursprungsprinzip,
(4) das Bestimmungslandprinzip und Ursprungslandprinzip sowie
(5) das Freistellungsprinzip und Anrechnungsprinzip unterschieden. In den meisten Staaten wird der Besteuerung sowohl das Wohnsitzstaatprinzip als auch das Ursprungsprinzip zugrunde gelegt; manche Staaten besteuern ausschliesslich nach dem Ursprungsprinzip. Die Besteuerung nach dem Wohnsitzstaatprinzip in einem Staat kollidiert zwangsläufig mit einer Besteuerung nach dem Ursprungsprinzip im anderen Staat. Die Anwendung von kollidierenden Besteuerungsnormen bewirkt, soweit keine Vereinbarungen zwischen den Staaten diesbezüglich getroffen werden, Doppelbesteuerungen. Um diese zu vermeiden, ergreifen die beteiligten Staaten kollisionsauflösende Massnahmen, die entweder im Doppelbesteuerungsrecht (bilaterale Abkommen) oder im nationalen Recht (unilaterale Regelungen) enthalten sind. Hinweise · Zu den angrenzenden steuerrechtlichen Wissensgebieten (nach deutschem Steuerrecht) siehe Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer, Steuerbilanzpolitik, Steuerlehre, Betriebswirtschaftliche, Umsatzsteuer. · Zu den angrenzenden Wissensgebieten, insbesondere der Rechnungslegung, siehe Abschlusserstellung nach US-GAAP, Bilanzanalyse, Internationale Rechnungslegung nach IFRS, Jahresabschluss nach deutschem Recht, Jahresabschluss nach schweizerischem Recht, Kapitalflussrechnung, Konzernabschluss, Sonderbilanzen, Swiss GAAP FER. · Zum Gesellschaftsrecht sowie zu den verschiedenen Gesellschafts- bzw. Rechtsformen siehe u.a. Aktiengesellschaft, deutsche, Aktiengesellschaft, kleine, Europäisches Gesellschaftsrecht (Europa AG, Europäische Genossenschaft usw.), Genossenschaft, deutsche, Gesellschaftsformen, österreichische (Aktiengesellschaft, österreichische, GmbH, österreichische usw.), GmbH, deutsche sowie viele weitere Gesellschafts- bzw. Rechtsformen.
Literatur: Djanani, Christiana / Brähler, Gernot, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Wiesbaden 2006; Frotscher, Gerrit, Internationales Steuerrecht, München 2001; Gross-Bölting, Klaus, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 2004; Grotherr, Siegfried / Herfort, Claus / Strunk, Günter / Kaminski, Bert / Rundshagen, Helmut, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Bremen 2003; Jakobs, Otto H., Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002; Kluge, Volker, Das Internationale Steuerrecht, 4. Aufl., München 2000; Reith, Thomas, Internationales Steuerrecht, München 2004; Rose, Gerd, Internationales Steuerrecht, 6. Aufl., Berlin 2004; Schaumburg, Harald, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 1998; Wilke, Kay-Michael, Lehrbuch des internationalen Steuerrechts, 7. Aufl., Berlin 2002. Internetadressen: http://www . internationales- steuerre cht. de/; http://vvww.stb-web.de/fachartikel/ istr/index.php; http://www.univie.ac.at/steuerrecht/internat.htm; http://www.estv.admin.ch/data/dba/d/; http://www.swionline.at; http://www.bundesfinanzministerium.de/cln_01/nn_318/DE/Steuern/Veroef fentlichungen_zu_Steuerarten/Internationales_Steuerrecht/node.htmlntm=true; http://www.oecd.org/ home/; http://europa.eu.int/ej/de/index.htm; http://www.judicialis.de/; http://www.international-taxlaw.at; http://steuer-newsletter.de/themen/istri; http://europa.eu.int/conun/taxation_customs/taxation/ companytax/parents-subsidiary_directive/index_de.htm.
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