siehe Gesellschaftsrecht, Europäisches (mit Literaturangaben).
1. Einleitung Das Europäische Gesellschaftsrecht umfasst alle primären und sekundären Rechtsnormen der Europäischen Gemeinschaft, die sich mit privatrechtlichen Verbänden befassen. Die Rechtsangleichung ist auf diesem Gebiet schon weit vorangekommen. Neben der Verabschiedung einer Reihe von gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (RL, siehe Kapitel
4. ) kommt die Schaffung der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung, der Europa-AG und der Europäischen Genossenschaft als supranationale Rechtsformen durch Verordnungen (VO). Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Börsenhausse, vielfältiger Bilanzmanipulationen und Fehlverhalten des Managements hat die Kommission in ihrem Aktionsplan „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung des Corporate Governance” vom 21.5.2003 (siehe Kapitel
2. ) vielfältige weitere Massnahmen angekündigt, mit deren Verwirklichung zum Grossteil bereits begonnen wurde. Eine wichtige Rolle bei der Europäisierung des Gesellschaftsrechts spielt auch der Europäische Gerichtshof. In mehreren bahnbrechenden Urteilen hat er der Niederlassungsfreiheit nach den Art. 43, 48 EGV gegen nationale Zuzugsbeschränkungen zur Geltung verholfen und damit für weitgehende Unternehmensmobilität innerhalb des Gemeinsamen Marktes gesorgt. In seiner Rechtsprechung zur Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGV hat er Regelungen der verschiedenen Mitgliedstaaten, durch die sich diese Einflussmöglichkeiten auf privatisierte Unternehmen vorbehalten (sog. „Golden Shares”), sehr engen Beschränkungen unterworfen. Damit ist der Wettbewerb der nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen eröffnet. Zugleich wächst aber der Druck auf die Mitgliedstaaten zur weiteren Harmonisierung erheblich. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet dies insbesondere, dass das bisherige Kapitalschutzsystem gelockert werden könnte. Der Gesetzgeber hat mit dem Referentenentwurf zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 29.5.2006 bereits reagiert und u. a. die Herabsetzung des Mindestkapitals für die GmbH von 25.000 EUR auf 10.000 EUR vorgeschlagen. Mittelfristig steht aber auch die hiesige unternehmerische Mitbestimmung auf dem Prüfstand. Literatur und Internetadresse: Bayer, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Gesellschaftsrecht, BB 2004, 1 ff.; Drygala, Stand und Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts, ZEuP 2004, 337 ff.; Grundmann, Die Struktur des Europäischen Gesellschaftsrechts von der Krise zum Boom, ZIP 2004, 2401 ff.; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht im Wandel, NZG 2004, 1 ff.; ders., Das Aktiengesetz und das Europäische Recht, ZIP 2006, 445 ff.; Hopt, Europäisches Gesellschaftsrecht und deutsche Unternehmensverfassung, ZIP 2005, 461 ff.; Maul, Gesellschaftsrechtliche Entwicklungen in Europa, BB-Spezial 9, 2005, Heft 34, 2 ff.; Merkt, Die Pluralisierung des europäischen Gesellschaftsrechts, RIW 2004, 1 ff.; der Referentenentwurf des MoMiG ist abrufbar unter: http://www.bmj.bund.de; siehe hierzu Noack, Reform des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts, DB 2006, 1475 ff.; Seibert, GmbH-Reform, ZIP 2006, 1157 ff.; Römermann, Der Entwurf des „MoMiG”, GmbHR 2006, 673 ff.
2. Aktionsplan · Mit ihrem Aktionsplan vom 21.5.2003 betreffend die Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung des Corporate Governance in der Europäischen Union, KOM(2003)284 endg., hat die EG-Kommission eine Vielzahl von Massnahmen angekündigt, mit denen sie bis 2009 das Europäische Gesellschaftsrecht reformieren will. Der Aktionsplan greift dabei insbesondere die Vorarbeiten von zwei Expertengruppen, die Berichte der sog. SLIM-Group aus dem Jahre 1999 und der sog. High-Level- oder Winter-Group aus dem Jahre 2002, auf und führt sie fort. Bislang hat die EG-Kommission einige der angekündigten Massnahmen bereits abgeschlossen. Hierzu zählen vor allem die zehnte, sog. Grenzübergreifende Verschmelzungs-RL vom 26.10.2005, die Richtlinie zur Deregulierung der zweiten, sog. Kapital-RL vom 13.7.2006 sowie die sog. AbschlussprüfungsRL vom 17.5.2006, in der die vierte, sog. Jahresabschluss-RL, siebente, sog. Konzernbilanz-RL und achten, sog. Prüferbefähigungs-RL zu einer modernisierten Richtlinie konsolidiert wurden. Folgende weitere Massnahmen sind besonders erwähnenswert: · Vorschlag für die sog. Grenzüberschreitende Stimmrechtsausübungs-RL vom 5.1.2006. · Diskussion eines Vorschlages für die 14., sog. Grenzüberschreitende Sitzverlegungs-RL · Prüfung der Schaffung weiterer supranationaler Rechtsformen · Empfehlung der EG-Kommission zur Offenlegung und Kontrolle durch die Aktionäre hinsichtlich der Vergütung von Direktoren vom 14.12.2004 (2004/913fEG) · Bildung des Europäischen Forums für Corporate Governance (ECGI=European Corporate Governance Institute) am 21.1.2005 · Empfehlung der EG-Kommission zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften vom 15.2.2005 (2005/162/EG) · Berufung des Beratenden Ausschusses für Gesellschaftsrecht und Corporate Governance vom 28.4.2005 (2005/380/EG). Die am 20.12.2005 von der EG-Kommission eingeleitete Konsultation zu den künftigen Prioritäten des Aktionsplans vom 21.5.2003 ist mit einer öffentlichen Anhörung am 4.5.2006 abgeschlossen worden. Literatur und Internetadressen: Der Aktionsplan ist abgedruckt in NZG 2003, Sonderbeilage zu Heft 13; vgl. ferner http://europa.eu.intkomm/internal_market/company/index_de.htm. Zur Corporate Governance und den Empfehlungen der EG-Kommission vgl. Maul/Lanfermann, EU-Kommission nimmt Empfehlungen zu Corporate Governance an, DB 2004, 2407 ff.; Spindler, Die Empfehlungen der EU für den Aufsichtsrat, ZIP 2005, 2033 ff. Vgl. ferner die Literaturhinweise zur Einleitung (siehe Kapitel 1).
3. Supranationale Rechtsformen Zur Rechtsvereinheitlichung (Vollharmonisierung) wurden bislang durch VO auf der Ermächtigungsgrundlage von Art. 308 EGV folgende drei supranationale Rechtsformen geschaffen: · Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) zum 1.7.1989 · Europa-AG (Europäische (Aktien)Gesellschaft) zum 8.10.2004; auch bezeichnet als Societas Europaea (SE) · Europäische Genossenschaft (EU-GEN) zum 18.8.2006; auch bezeichnet als Societas Cooperativa Europaea (SCE) oder European Cooperative Society. Quellen: Bereits erlassene VO sind bei Eur-Lex (http://eur-lex.europa.eu/) abrufbar. Ferner hat die EG-Kommission in Ergänzung zur Europäischen Genossenschaft für die Unternehmen der sog. Economie Sociale VO für zwei weitere europäischen Rechtsformen vorgeschlagen, die zuletzt am 6.7.1993 geändert wurden: · Europäischer Verein (EU-V); auch bezeichnet als European Association (AE); KOM(93)252 endg., (AB1.EG C 236 vom 31.8.1993, S. 1) · Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft (EU-GGES); auch bezeichnet als European Provident Mutual Society (ME); KOM(93)252 endg., (AB1.EG C 236 vom 31.8.1993, S. 40) Literatur und Internetadresse: http://www.europa.eu.int/comm/enterprise/entrepreneurship/coop/index. htm; Theis, Die Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft, Köln 2005; Wagner, Der Europäische Verein, Baden-Baden 2000. In ihrem Aktionsplan (siehe Kapitel
2. ) vom 21.5.2003 hat die EG-Kommission angekündigt, den derzeitigen Legislativprozess in diesem Bereich aktiv zu unterstützen. Schliesslich wird, ausgehend von einer Studie der CREDA (Chambre de commerce et d\'industrie de Paris) in Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg aus dem Jahre 1997 und der nunmehr etablierten - Europa-AG auch die Schaffung einer europäischen Rechtsform für kleinere und mittlere Unternehmen diskutiert, der sog. Europäischen Privatgesellschaft (EPG); auch bezeichnet als European Private Company (EPC) oder Soci&i Fermhe Europ&ne (SFE). Die von der EG-Kommission in ihrem Aktionsplan (siehe Kapitel
2. ) vom 21.5.2003 angekündigte Machbarkeitsstudie wurde im Juli 2005 vorgelegt. Darin werden die Vor- und Nachteile eines möglichen europäischen Statuts für kleinere und mittlere Unternehmen bewertet. Mittelfristig (bis 2008) wird die Vorlage eines entsprechenden Verordnungsvorschlages ins Auge gefasst. Ferner hat die EG-Kommission angekündigt, den Bedarf an weiteren supranationalen Rechtsformen, insbesondere den einer Europäischen Stiftung (European Foundation), ebenfalls mittelfristig (bis 2008) zu prüfen. Beide Rechtsformen wurden in der Konsultation zu den künftigen Prioritäten des Aktionsplans (Kapitel
2. ) vom 21.5.2003 zur Diskussion gestellt. Literatur und Internetadressen: Die Machbarkeitsstudie ist abrufbar unter: http://ec.europa. eu/enterprise/entrepreneurship/craft/craft-priorities/doc/de_resume_rapport_final.pdf; Braun, The European Private Company, German Law Journal 5 (2004), 1393 ff.; Fischer, Brücken zur Europäischen Privatgesellschaft, ZEuP 2004, 737 ff.; Hommelhoff/Helms (Hrsg.), Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, Köln 2001; Hopt, Die europäische Stiftung — Ein Plädoyer für eine neue europäische Rechtsform!, EuZW 2006, 161; Wicke, Die Euro-GmbH im „Wettbewerb der Rechtsordnungen”, GmbHR 2006, 356 ff. Vgl. ferner die Hinweise zum Aktionsplan (siehe Kapitel 2).
4. Richtlinien Die von den Organen der Europäischen Gemeinschaft erlassenen Richtlinien (RL) richten sich nach Art. 249 Abs. 3 EGV an die Mitgliedstaaten. Diese sind verpflichtet, das mit der RL angestrebte Ziel durch Erlass nationaler Gesetze umzusetzen, wobei der einzelne Mitgliedstaat hinsichtlich der Wahl von Form und Mittel grundsätzlich frei ist. Auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts wurden bislang basierend auf der Ermächtigungsgrundlage des Art. 44 Abs. 2 lit g EGV folgende RL erlassen:
1. RL vom 9.3.1968 (68/151/EWG); sog. Publizitäts-RL, auch Register-RL
2. RL vom 13.12.1976 (77/91/EWG); sog. Kapital-RL, auch Kapitalschutz-RL
3. RL vom 9.10.1978 (78/855/EWG); sog. Verschmelzungs-RL, auch Fusions-RL
4. RL vom 25.7.1978 (78/660/EWG); sog. Jahresabschluss-RL, auch Bilanz-RL
6. RL vom 17.12.1982 (82/891/EWG); sog. Spaltungs-RL
7. RL vom 13.6.1983 (83/349/EWG); sog. Konzernbilanz-RL, auch Konzernabschluss-RL
8. RL vom 10.4.1984 (84/253/EWG); sog. Prüferbefähigungs-RL, auch Abschlussprüfer-Richtlinie 10. RL vom 26.10.2005 (2005/56/EG); sog. RL zur grenzüberschreitenden Verschmelzung 11. RL vom 21.12.1989 (89/666/EWG); sog. Zweigniederlassungs-RL 12. RL vom 21.12.1989 (89/667/EWG); sog. Einpersonen-GmbH-RL 13. RL vom 21.4.2004 (2004/25/EG); sog. Ubernahmeangebots-RL, auch Übernahme-RL. Die
4. ,
7. und
8. RL wurden mit der sog. Abschlussprüfungs-RL vom 17.5.2006 (2006/43/EG) zusammengefasst. Darüber sind bzw. waren der Erlass folgender Richtlinien in der Diskussion:
5. RL; sog. AG-Struktur-RL
9. RL; sog. Konzernrechts-RL 14. RL; sog. Sitzverlegungs-RL sog. RL zur grenzüberschreitenden Stimmrechtsausübung sog. Liquidations-RL. Ouellen: Bereits erlassene RL sind bei Eur-Lex abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu. Vgl. ferner die Hinweise zum Aktionsplan (siehe Kapitel 2). Hinweise · Zum Gesellschaftsrecht sowie zu den verschiedenen Gesellschafts- bzw. Rechtsformen siehe u.a. Aktiengesellschaft, deutsche Aktiengesellschaft, kleine, Europa AG, Europäische Genossenschaft (EU-GEN), Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), Genossenschaft, deutsche, Gesellschaftsformen, österreichische (Aktiengesellschaft, österreichische, GmbH, österreichische usw.), GmbH, deutsche sowie viele weitere Gesellschaftsbzw. Rechtsformen. · Zu den angrenzenden Wissensgebieten siehe Abschlusserstellung nach US-GAAP, Corporate Governance, Due Diligence, Going Public, Handelsrecht, Hedgefonds, Insolvenzrecht (deutsches), Internationale Rechnungslegung nach IFRS, Jahresabschluss nach deutschem Recht, Jahresabschluss nach schweizerischem Recht, Kapitalflussrechnung, Konzernabschluss, Mergers & Acquisitions, Private Equity, Sanierungsmanagement, Swiss GAAP FER Unternehmensbewertung, Unternehmensethik, Venture Capital.
Literatur: Behrens, Gesellschaftsrecht, in: Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Band 1, Abschnitt E.III, Loseblatt, Stand: August 2005, München; Edwards, EC Company Law, Oxford 1999; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Heidelberg 2004; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., München 2003; Hopt/Wymeersch (Ed.), European Company and Financial Law, Texts and Leading Cases, 3nd. ed., Berlin New York 2004; dies., Capital markets and company law, Oxford 2003; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., Berlin New York 1996; Menjucq, Droit international et europ8en des societ8s, Paris 2001; Nagel, Deutsches und europäisches Gesellschaftsrecht, München 2000; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Baden-Baden 2000; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, Berlin New York 2006; Wiesner, Europäisches Gesellschaftsrecht, in: Münchner Handbuch des Gesellschaftsrecht, Band 3, 2. Aufl., München 2003. Internetadressen nebst Anschriften der für das europäische Gesellschaftsrecht wichtigen Institutionen, deren Organe, Verbände und Datenbanken: Europäische Kommission Binnenmarkt: http://europa. eu.int/comm/internal_marketkompany/index_de.htm; Europäischer Gerichtshof http://www.curia. eu.int/de/transitpage.htm; Amtsblatt der Europäischen Union: http://publications.eu.int/index_de.html sowie http://ted.europa.eu/; Eur-Lex - Europäische Rechtsvorschriften (u.a. Richtlinien, Verordnungen und EG-Vertrag): http://eur-lex.europa.eu; Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V.: http://www.bda-online.de/www/bdaonline.nsf/id/Publikationen; Bundesverband der deutschen Industrie e.V.. http://www.bdi-online.de/; Bundesnotarkammer: http://www.bnotk.de/Bundesnotarkanumer/Ueberblick.BNotK.html; Deutsches Aktieninstitut e. V. (DAI): http://www.dai.de/ internet/dai/dai-2-0.nsUdai_publikationen.htm; Deutscher Anwaltverein e.V. (DAV): http://www. anwaltverein.de/bruessel/europa.html; Aktuelle Entwicklung (Links zu RL-Vorschlägen, Stellungnahmen, u.ä.): http://www.jura.uni-duesseldorf.de/dozenten/noack/gesetz.shtml#; (Stand vom 20.7.2006).
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