ist die Ausübung von Einfluß innerhalb interpersoneller (zwischenmenschlicher) Kommunikationsprozesse. Im Rahmen der persönlichen Kommunikation in sozialen Gruppen haben bestimmte Personen stärkeren Einfluß auf (konsumrelevante) Einstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen anderer Gruppenmitglieder. Sie werden nach Katz und Lazarsfeld (1955) als Meinungsführer (opinion leader) bezeichnet. Man geht dabei von einer graduellen, statt von einer dichotomen Ausprägung der Meinungsführerschaft bei Individuen aus. Mit der klassischen Zwei-Stufen-Hypothese wurde in den fünfziger Jahren auf der Grundlage von Untersuchungsergebnissen zum Wahlverhalten ein Modell der Meinungsführerschaft formuliert. Danach fließen Informationen in einer ersten Stufe von den Massenmedien zu den Meinungsführern und in einer zweiten Stufe von den Meinungsführern zu den Meinungsfolgern. Das Beeinflussungspotential der Meinungsführer wird
(1) von der Relaisfunktion (strategischer Standort im Informationskanal),
(2) der Modifikations- und Verstärkungsfunktion (Möglichkeit, Informationen zu verzerren, verstärken oder abzuschwächen),
(3) der Selektionsfunktion (Auswahl der weiterzuleitenden Informationen) und
(4) der Resistenzfunktion (die Abwehr von nicht wertekonformen Informationen) determiniert. Mit zunehmender Präzisierung sozialer Bestimmungsfaktoren und weiterer Erforschung der persönlichen Kommunikation setzte sich die Erkenntnis durch, dass sehr unterschiedliche Einflußverläufe zwischen Massenmedien, Meinungsführern und -folgern existieren. Dies führte zur Formulierung von Modellen der mehrstufigen Kommunikation, in denen auch Einflußbeziehungen zwischen verschiedenen Meinungsführern und zwischen Massenmedien und den „passiven“ Meinungsfolgern berücksichtigt wurden. Hauptkritikpunkt an den genannten Modellen ist die realitätsferne Annahme der weitgehenden Passivität der Meinungsfolger und der „Dominanz“ der Meinungsführer. Vor diesem Hintergrund wurden die M odelle des Informationsaustausches entwickelt. Empirische Untersuchungen konnten den Nachweis liefern, dass Meinungsfolger auch direkt über die Massenmedien erreicht werden können. Ferner wurde festgestellt, dass auch Meinungsfolger bei der interpersonellen Kommunikation aktiv werden. Dies führte zu einer differenzierten Typologisierung von Kommunikationsteilnehmern, deren Grundtypen die sog. Opinion Givers, Opinion Askers und die Inaktiven sind. Die differenzierteste Form findet sich bei Hummrich (1976), der grundsätzlich zwischen symmetrischen und asymmetrischen Kommunikationstrukturen unterscheidet, wobei er die Kommunikationstypen in Informationssucher, autonome und abhängige Informationsgeber, passive und aktive Informationsempfänger und sozial isolierte Konsumenten trennt. Mit zunehmender Differenziertheit der Modelle konnte eine Abkehr von der Hypothese des „übermächtigen“ Einflusses von Meinungsführern verzeichnet werden. Die Feststellung, dass häufig ein situationsbedingter Rollentausch zwischen Meinungsgebern und -nehmern vorliegt, erschwert allerdings eine exakte Modellformulierung. Der Begriff der mehrstufigen Kommunikation verweist darauf, dass der Einfluß der Umwelt auf das einzelne Individuum über mehrere Schritte erfolgt; Informationen zum gleichen Sachverhalt können unmittelbar über die Massenkommunikation oder ausschließlich über die persönliche Kommunikation vermittelt werden. Häufig kommt es allerdings zu einer komplementären Nutzung von Massen- und persönlicher Kommunikation. Einstellungs- oder verhaltensrelevante Wirkungen ergeben sich dann aus der Verkettung der beteiligten Kommunikationsformen. In der Erforschung dieses Problemfeldes spielen zunehmend die Rahmenbedingungen, unter denen sich spezifische Kommunikationsverläufe vollziehen, eine Rolle. Für Überschneidungen der Meinungsgebiete existieren wenig Anhaltspunkte. Meinungsführerschaft ist stark auf den Themenbereich begrenzt; die Hypothese, dass Meinungsführer auf vielen verschiedenen Gebieten ihren Einfluß ausüben, konnte nicht bestätigt werden. Allerdings lassen sich Überschneidungen bei den Meinungsbereichen feststellen, die sich sehr ähnlich sind oder die Interessenlage des Meinungsführers gleichermaßen berühren. Der Verwertungszusammenhang für das Marketing besteht in Form spezifischer und unspezifischer Möglichkeiten zur Steuerung von interpersoneller Kommunikation bzw. von Meinungsführern. Unspezifische Steuerung ist die Einflußnahme eines Kommunikators auf interpersonelle Kommunikationsprozesse in der gesamten Zielgruppe (also nicht nur auf Meinungsführer beschränkt). Als Technik kommt 1) die Simulationpersönlicher Kommunikation in der Werbung, z. B. bei der Slice-of- Life- oder Testimonialwerbung, in Frage. Hierzu zählt auch der Einsatz sog. Diffusionsagenten, die als Konsumenten auftreten und „positive“ Gespräche (in Gegenwart anderer Konsumenten) über das Produkt führen. 2) Stimulation interpersoneller Kommunikation kennzeichnet den Versuch, mit bestimmten Kommunikationstechniken den Konsumenten zu autonomer Informationsabgabe oder -suche zu veranlassen. Mit der klassischen Werbung müssen hierzu bestimmte, die Abgabe und Suche von Informationen initiierende Motive angesprochen werden. Im Direktmarketing können z. B. Member-Get-Member-Aktionen dieser Zielsetzung dienen. Sie weisen den Vorteil auf, dass man sowohl die Initiatoren als auch die Referenzpersonen als Zielpersonen erfassen kann und damit- bei systematischer Pflege der Kontakte - Aufschluß über die Struktur der Primärgruppe erhält. 3) Die aktive Teilnahme an interpersoneller Kommunikation bezieht sich auf die Lenkung von Gesprächen, die in einer Konsumentengruppe z. B. im Rahmen von in-door- selling-Aktivitäten (so das Vertriebskonzept vonTupperware) stattfinden. Derartige Veranstaltungen können auch dazu dienen, einen Adressbestand potentieller Kunden aufzubauen, Informationen über die Struktur von Primärgruppen zu gewinnen sowie innerhalb der Gesprächsrunden Meinungsführer zu lokalisieren und ggf. als Mitarbeiter zu gewinnen. Den Möglichkeiten zur spezifischen Steuerung interpersoneller Kommunikation hat man sich seit Beginn der Meinungsführer- Forschung gewidmet. Zielsetzung ist der Aufbau eines Netzes von spezifischen psy- chographischen und soziodemographischen Charakteristika, mit Hilfe dessen Meinungsführer identifiziert und als effizientes Segmentwerblicher Kommunikation angesprochen werden können (Marktsegmentierung). Die Befunde sind allerdings ernüchternd. Soziodemographische Merkmale und Persönlichkeitsfaktoren eignen sich kaum zur Identifikation. Merkmale des Sozialverhaltens, wie Geselligkeit, Mitgliedschaft in Vereinen/Verbänden und insb. Indikatoren der sozialen Integration, können eher als trennfähige Kriterien gelten. Hinsichtlich einer Meinungsführer-Mediapla- nung wurde insb. das medienspezifische Nutzungsverhalten von Meinungsführern näher untersucht. Generelle Nutzungsprofile ließen sich nicht feststellen, allerdings konnte eine deutlich stärkere Nutzung von Medien, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem meinungsführenden Thema stehen, verzeichnet werden. Meinungsführer profilieren sich aufgrund eines stärkeren (themenspezifischen) Informationsinteresses, einer aktiveren Informationssuche und eines intensiveren Informations-Abgabeverhaltens. Als Antriebskräfte für die Informationsabgabe können Motive zur Erlangung sozialer Kompetenz und zur Vermeidung kognitiver Dissonanzen sowie ein stärker ausgeprägtes (Produkt-, Seif- und Werbemittef-) Involvement gelten. Letzteres ist auch verantwortlich für den extensiveren Informationsverarbeitungsprozeß bei Meinungsführern. Hierdurch wird ein höherer Kenntnisstand des Meinungsführers bewirkt, der ihm in seiner sozialen Gruppe hohe Kompetenz verleiht. Meinungsführung unterliegt - wie bereits angeführt - einem Rollentausch zwischen aktiven Ratgebern und Ratnehmern, insofern sind auch die Determinanten des Infor- mationssuchverhaltens von Relevanz. Hierzu zählt ebenfalls das Involvement sowie das Ausmaß des wahrgenommenen Kauf- bzw. Entscheidungs-Risikos. Letzteres tritt v. a. in entscheidungsnahen Situationen auf; als risikoreduzierende Strategie kommt der Suche nach weiteren Informationen bei Kommunikatoren aus der Bezugsgruppe ein besonderer Stellenwert zu. Hierzu zählt auch die gezielte Suche nach entscheidungsbestätigenden Informationen zur Reduktion von „Nachkauf“-Risiken. Das wahrgenommene Risiko kann darüber hinaus auch als Erklärung für den Rollenwechsel zwischen Ratnehmern und -gebern gelten. Auch die Aktivierungskraft der Werbung kann über das sog. Werbemittel-Involvement positiv das Ausmaß persönlicher Kommunikation - also sowohl Ratnehmen als auch Ratgeben - stimulieren. Zusätzlich determinieren interpersonale Faktoren die Meinungsführerschaft. Sie bezeichnen das Einflußpotential in der Bezugsgruppe, welches von der Position einer Person im sozialen Netz bestimmt wird. Zentrale Positionen kennzeichnen ein hohes Maß sozialer Integriertheit, die von dem Ausmaß der sozialen Kontakte (Interaktionshäufigkeit), der Bindungsstärke, von der wahrgenommenen Ähnlichkeit und der Attraktivität des Kommunikators sowie seiner Vertrauenswürdigkeit determiniert wird. Hinzu kommt das Ausmaß wahrgenommener Kompetenz, die zusammen mit der V ertrauenswürdigkeit die Glaub Würdigkeit determiniert. Die Erkenntnis, dass Meinungsführung dem Rollentausch zwischen Kommunikationspartnern unterliegt und Meinungsführer nur schwer auszumachen sind, hat in letzter Zeit ein nachlassendes Forschungsinteresse an diesem Phänomen bewirkt. Die Erschließung der jedoch zweifellos bedeutsamen Wirkungspotentiale der interpersonellen Kommunikation für das Marketing hängt von der theoretischen und empirischen Beantwortung folgender Fragen ab: 1) Wie hoch ist das relative Wirkungspotential der interpersonellen Kommunikation im Hinblick auf alternative Kommunikationsformen im Rahmen mehrstufiger Kommunikationsprozesse ? 2) Auf welchen psychischen Ebenen wirkt interpersonelleKommunikation? 3) Unter welchen Rahmenbedingungen weist die interpersonelle Kommunikation besondere Wirkungspotentiale auf? 4) Welche Marketingtechniken eignen sich besonders zur Aktivierung zwischen- menschlicherKommunikationen? Zur Beantwortung dieser Fragen muss man sich stärker mit dem Austauschprozeß der interpersonellen Kommunikation auseinandersetzen, womit eine Loslösung von der Fixierung auf das - sehr instabile - Phänomen der personengebundenen Meinungsführerschaft verbunden ist. Für die Messung von Meinungsführerschaft bzw. von interpersoneller Kommunikations-Aktivität sind - Das Selbsteinstufungs-Verfahren, - das Schlüsselinformanten-Verfahren und - soziometrische Techniken von Bedeutung. Bei dem Selbsteinstufungs-Verfahren, z.B. der Rogers-Skala, werden unterschiedlich umfangreiche Itembatterien eingesetzt, anhand derer der Befragte eine Selbsteinschätzung von produktbezogener oder genereller Gesprächsintensität, Ratgeber- und Ratnehmerverhalten vornimmt. Anschließend erfolgt eine Verrechnung der Punktwerte zu Gesamtwerten, die ein eindimensionales Kontinuum der graduellen Meinungsführerschaft aufspannen. Das Schlüsselinformanten-V erfahren basiert auf der Befragung weniger Probanden, die als Experten hinsichtlich der Sozialstruktur ihrer Bezugsgruppe einen hinreichenden Überblick über die Kommunikationsbeziehungen haben und die Meinungsführer in der Gruppe benennen können. Hierbei wird allerdings das Identifikationsproblem auf die Schlüsselinformanten verlagert. Größere Genauigkeit und Effizienz als die beiden genannten Verfahren weisen die soziometrischen Techniken auf, die als Verfahren zur quantitativen Analyse von zwischenmenschlichen Präferenzbeziehungen innerhalb bestimmter (definierter) sozialer Gruppen gelten können. Voraussetzung für die Anwendung ist die Erfassung aller wesentlichen Beziehungen, was wiederum die namentliche Kenntnis der Gruppenmitglie- der voraussetzt. Dieses Verfahren wurden erfolgreich im Rahmen der Erforschung der Diffusion von Produkten eingesetzt. Der hohe Aufwand zur Erfassung der Gruppenstrukturen setzt der Praktikabilität jedoch enge Grenzen. Literatur. Brüne, G., Meinungsführerschaft im Konsumgütermarketing, Heidelberg 1989. Gatig- non, H.; Robertson, T. S., A exchange theory of interpersonal communication, in: Journal of Consumer Research, 13.Jg. (1986), S. 534-538. Grefe, R.; Müller, S., Die Entwicklung des „Opinion Leader-Konzeptes und der Hypothese vom zweistufigen Kommunikationsprozeß, in: Zeitschrift für Markt-, Meinungs- und Zukunftsforschung, Heft 2 (1976), 19. Jg., S.4011-4034. Hummrich, Ü., Interpersonelle Kommunikation im Konsumgütermarketing, Wiesbaden 1976.
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