(engl. financial mathematics) Die Finanzmathematik befasst sich mit der numerischen Erfassung und rechnerischen Analyse von Zahlungsströmen. Das Äquivalenzprinzip der Finanzmathematik sagt aus, dass bei Vorliegen bestimmter Zinssätze ( Zinsen) für alle einzelnen Zahlungszeitpunkte (Zinsstruktur) alle Zahlungsströme durch Aufzinsen der einzelnen Zahlungen auf einen späteren und durch Diskontieren auf einen früheren einheitlichen Betrachtungszeitpunkt bezogen und vergleichbar gemacht werden können (Barwert). Klassische Teilbereiche der Finanzmathematik sind die Zinsrechnung, die Kursrechnung (Aktienmarkt), die Renten und die Tilgungsrechnung sowie die Investitionsrechnung.
umfasst als Teilgebiet der angewandten Mathematik vor allem die Zinsrechnung, die Rentenrechnung, die Tilgungsrechnung sowie die Kurs- und Renditerechnung. Mitunter wird auch die rechnerische Ermittlung von Abschreibungen dazu gezählt. (1) Die Zinsrechnung ist grundlegend für die gesamte Finanzmathematik. Ihre wichtigste Fragestellung bezieht sich auf das Endkapital, über das jemand verfügen kann, der ein Anfangskapital zu einem gegebenen Zinssatz während einer bestimmten Laufzeit anlegt. Dabei hängt die Höhe des sich ergebenden Endkapitals davon ab, ob die Zinsen am Ende eines jeden Jahres dem zinstragenden Kapital zugeschlagen werden oder nicht. Im ersten Fall wendet man die einfache Zinsrechnung an, im zweiten die Zinseszinsrechnung. Von gemischter Zinsrechnung ist dann die Rede, wenn für einen bestimmten Laufzeitanteil die einfache und für den restlichen Laufzeitanteil die Zinseszinsrechnung benutzt wird. (2) Bei der Kentenrechnung geht es im Standardfall um die Frage nach dem Endkapital (Rentenendwert), über das jemand verfügen kann, der ein Konto, welches mit einem bestimmten Satz verzinst wird, über eine bestimmte Laufzeit hinweg mit einer regelmässig wiederkehrenden Zahlung (Rente) dotiert. Häufig wird auch danach gefragt, wie hoch das Anfangskapital (der Rentenbarwert) ist, das jemand auf einem verzinslichen Konto zur Verfügung stellen muss, damit man diesem über eine bestimmte Laufzeit hinweg einen regelmässig wiederkehrenden Betrag entnehmen kann. Im einfachsten Falle hat man es dabei mit konstanten Zahlungen zu tun, die in jährlichen Abständen erfolgen. In schwierigeren Fällen sind die Abstände der Rentenzahlungen kürzer und die Rentenzahlungen selbst variabel. (3) Viele Kreditverträge sehen vor, dass der Schuldner seinen Rückzahlungsverpflichtungen in planmässiger Weise genügt. Die Zahlungen, welche ein Schuldner zu einem bestimmten Zeitpunkt leistet, setzen sich dabei aus verschiedenen Komponenten zusammen. Die Aufgabe der Tilgungsrechnung besteht darin, vollständige Tilgungspläne aufzustellen und die in ihnen enthaltenen Grössen (vor allem Schuldenstände, Zins- und Tilgungsbeträge sowie eventuelle Aufgelder) rechnerisch zu ermitteln. (4) Gegenstand der Kursrechnung ist die Frage, wieviel jemand für Ansprüche auf (sichere) künftige Einnahmen bezahlen sollte, wenn an einem Kapitalmarkt ein bestimmter Zinssatz herrscht. Dabei beschäftigt man sich in der Finanzmathematik vor allem mit den Kursen von Kuponanleihen, von Raten- und von Annuitätenschulden. Ist der Kurs eines Anspruchs auf künftige Einnahmen am Markt beobachtbar oder auf eine andere Weise vorgegeben, so kann man auch nach dem Zinssatz fragen, der dann herrschen muss. Eine finanzmathematische Rechnung, die diese Frage beantwortet, wird als Renditerechnung bezeichnet. Literatur: Kruschwitz, L., Finanzmathematik, München 1989. Locarek, H., Finanzmathematik, München, Wien 1991.
1. Charakterisierung Finanzmathematik ist ein Teilgebiet der Wirtschaftsmathematik. In ihrer klassischen Form beschreibt sie die Entwicklung eines Kapitals durch Zinsen und Renten- bzw. Tilgungszahlungen. Durch die zunehmende Komplexität der Finanzprodukte hat sich die Thematik und Methodik in neuerer Zeit stark erweitert. An die Stelle des Kapitals tritt nun allgemeiner der Begriff der Finanzposition, dessen Analyse und Steuerung umfangreiche mathematische Kenntnisse erfordert.
2. Klassische Finanzmathematik Die Klassische Finanzmathematik basiert auf Anwendungen der arithmetischen und geometrischen Reihen, d.h.
Wesentliche Teilgebiete sind Zinsrechnung, Rentenrechnung und Tilgungsrechnung. a) Zinsrechnung Zins ist eine Vergütung für die zeitweilige Überlassung von Kapital. Während ein Kredit Zinskosten verursacht, erzielt ein Guthaben einen Zinserlös. Die Höhe der Zinsen ist abhängig vom Kapital A, dem Zinssatz p pro Periode und der Laufzeit T gemessen in Perioden. Im Kalkül der einfachen Verzinsung werden die Zinsen linear berechnet: Z = A• p•T , wobei sich die Feststellung der Zinsen (Fälligkeit) auf das Laufzeitende bezieht. Dann wird der aufgezinste Betrag A+ Z = A(1+137\') zurückgezahlt. Der Ausdruck 1 + pT heisst Aufzinsungsfaktor oder kurz Zinsfaktor. Im Kalkül der exponentiellen Verzinsung werden Zinsen jeweils zum Periodenende berechnet und dem Kapital zugeschlagen (Kapitalisierung der Zinsen). In diesem Fall vermehrt sich laufend die Schuld eines Kredites bzw. das Guthaben einer Einlage. Ein nicht unwesentlicher Teil der Kapitalmehrung ist darin begründet, dass in späteren Zinsperioden nicht nur für das ursprüngliche Kapital Zinsen anfallen, sondern auch für die kapitalisierten Zinsen — sogenannte Zinseszinsen. Entwickelt sich das Kapital in einem Konto, gilt für die Folge der Kontostände
Damit ist der Zinsfaktor der exponentiellen Verzinsung (1 + p)T , und aufgelaufene Zinsen berechnen sich zu
Soll umgekehrt nach T Perioden ein Kapital K erreicht werden, ist zum Beginn der Laufzeit eine Anlage A= KA1+ p)T notwendig. Dabei heisst A der Barwert von K. Den Übergang von K zu A nennt man Abzinsen bzw. Diskontieren, und 1/(1 + p)T heisst der Diskontierungsfaktor der exponentiellen Verzinsung. Analog ist 1/(1 + pT) der Diskontierungsfaktor der einfachen Verzinsung. Ist ein Jahreszins r vereinbart und ist das Jahr in m gleich lange Zinsperioden unterteilt, so spricht man von unterjähriger Verzinsung, wenn bereits am Ende jeder Teilperiode Zinsverrechnungen im Konto vorgesehen sind. Mit dem Periodenzins p = r/m berechnet sich der Kontostand nach n Jahren, d.h. nach in • n Zinsperioden, zu
den effektiven Jahreszins. Man nennt r b) Rentenrechnung Zahlungen, die sich in regelmässigen Abständen wiederholen, nennt man Rentenzahlungen. Je nachdem, ob die Zahlungen zum Beginn oder am Ende der Periode erfolgen, liegt eine vorschüssige bzw. nachschüssige Rente vor. Werden die aufgelaufenen Beträge in einem Konto mit exponentiellem Periodenzins p geführt (d.h. jeweils am Ende der Periode werden Zinsen fällig, die sich über das Konto kapitalisieren), berechnet sich der Kontostand K7 bei nachschüssigen, konstanten Einzahlungen in Höhe von B ausgehend von KZ = 0 durch
Analog gilt für den Kontostand K7 vorschüssiger Einzahlungen B ausgehend von Ko” = B nach t Perioden
Der Barwert PVT (Present Value) konstanter Rentenzahlungen berechnet sich mit den Rentenbarwertfaktoren
zu PVT = B • RBF7 bzw. PVTS = B • RBFT” . Für den Barwert einer ewigen (nachschüssigen) Rentenzahlung B gilt schliesslich PK.,\' = p Werden von einem Konto mit Kapital K0 > 0 regelmässig Zahlungen B geleistet, gilt für den Kontostand KT nach T Perioden
c) Tilgungsrechnung Tilgung ist die Rückzahlung einer Schuld (Kredit). Erfolgt die Kapitalrückführung regelmässig zum Periodenende über ein Konto mit exponentiellem Periodenzins p, können jeweils zum Periodenende folgende Grössen bestimmt werden:
(1) Die Tilgungsrate Tn der nten Periode, d.h. der Betrag, um den die Restschuld verringert wird.
(2) Die Gesamtbelastung B,, = Tn + Zn der n-ten Periode (Kapitaldienst) als Summe von Tilgungsbetrag rn und Zinszahlung Zn .
(3) Die Restschuld An nach der n-ten Periode. Abhängig vom Tilgungsmodus wird zwischen Ratentilgung und Annuitätentilgung unterschieden. Ist der Tilgungsbetrag bei der Rückzahlung einer Schuld für alle Perioden gleich, liegt eine Ratentilgung vor. Soll die Schuld nach N Perioden getilgt sein, ergibt sich
Ist bei der Rückzahlung einer Schuld die Gesamtbelastung für alle Perioden gleich, liegt eine Annuitätentilgung vor. Soll die Schuld nach N Perioden getilgt sein, ergibt sich
3. Neuere Finanzmathematik In neuerer Auffassung erweitert sich das Aufgabengebiet der Finanzmathematik von der klassischen Geldanlage und -aufnahme zur Analyse beliebiger Finanzpositionen. Damit rückt das Spektrum aller Finanzprodukte ins Blickfeld. Gleichzeitig erweitern sich die Anforderungen an die quantitativen Methoden (z.B. Differentialrechnung und weite Teile der Stochastik). Auch die Berechnung der Zinsen ist betroffen: Zu verschiedenen Möglichkeiten der Tageberechnung für beliebige Laufzeiten treten weitere Kalküle der Zinsrechnung. Methodisch gliedert sich die neuere Finanzmathematik in die folgenden drei Bereiche: a) Cashflow-Analyse Die Cashflow-Analyse beginnt mit der Darstellung zukünftiger Zahlungen (engl. Cashflows; siehe auch Cash Flow) zu bestimmten Zeitpunkten. Die graphische Darstellung erfolgt meist anhand eines Zahlenstrahls, auf dem die Zeitpunkte to tN mit den zugehörigen Zahlungen CF,, = CF(tn) für n=1, ...,N angebracht sind. Zu einer Position aus Anleihen werden beispielsweise die einzelnen Coupon- und Kapitalzahlungen aufgeführt. Zahlungen komplexer Produkte sind dabei so weit wie möglich in Zahlungen einfacher Basisprodukte zu zerlegen. Sieht z.B. eine der Anleihen das Recht auf Wandlung in a Stück einer Aktie vor, wird die Schlusszahlung zerlegt in die Zahlung einer gewöhnlichen Anleihe und die Zahlung einer Kaufoption (Call) auf a Aktien, deren Basiswert gleich dem Nennwert der Anleihe ist. Damit erweist sich die Cashflow-Analyse als ein Teilgebiet des Financial Engineering. b) Bewertung Ziel ist die Feststellung des heutigen Wertes (Barwert) sämtlicher Zahlungen einer Position G. Zur Bestimmung des Barwertes geht man von einem arbitragefreien Markt (Arbitrage) gehandelter Produkte aus und definiert als Barwert von G denjenigen Preis Vo (G), der den um G erweiterten Markt arbitragefrei lässt. Man spricht von arbitragefreier Bewertung oder einer Bewertung Market-to-Market. Die Berechnung des Barwertes kann alternativ erfolgen
(1) über eine Duplikation der Position (d.h. Konstruktion einer Handelsstrategie, deren Zahlungen zu allen Zeitpunkten mit der Position übereinstimmt) - Vo (G) ist dann der Preis der Duplikation in to - oder
(2) über die Diskontierung (Zinsrechnung) der Zahlungen CF„..., CFN der Position mit den Diskontierungsfaktoren DF„..., DFN des Marktes; dabei entspricht dem Cashflow CF,, der Diskontierungsfaktor DF = DF(to,t,,) gleicher Laufzeit:
Diese Berechnung des Barwertes ist allerdings auf den Fall beschränkt, dass Beträge und Zeitpunkte der Cashflows zum Zeitpunkt to bekannt sind. Ist eine Zahlung aus heutiger Sicht unbekannt — z.B. die Zahlung einer Option auf eine Aktie, die von der zukünftigen Kursentwicklung der Aktie abhängt —, müssen geeignete stochastische Modelle herangezogen werden - hier ein Kursmodell für die Aktie. Der heutige Wert einer unsicheren Position berechnet sich dann als diskontierter Erwartungswert der Zahlung. Da dieser nicht nur von den Marktgegebenheiten abhängt, sondern auch von dem verwendeten Modell, ist diese Form der Bewertung Mark to Market and Model. Neben der arbiragefreien Bewertung gibt es auch die Möglichkeit eine Position nach der erzielten Rendite zu beurteilen. c) Risikoanalyse Wird eine Position über die Zeit gehalten, entsteht ein Risiko aus möglichen negativen Wertänderungen (Verlusten). Der erste Schritt der Analyse ist die Identifizierung verschiedener Risikofaktoren, die den Wert der Position beeinflussen. Sind diese Faktoren Marktgrössen (z.B. Kurse oder Zinsen), so spricht man von Marktrisiken (Kursrisiko oder Zinsrisiko). Aber auch eine Verschlechterung der Bonität oder der Ausfall eines Kontrahenten kann zu Verlusten führen. Hält ein Investor z.B. eine Position aus festverzinslichen Industrieanleihen, kann sowohl ein allgemeiner Anstieg der Marktzinsen als auch eine negative Änderung der Bonitätsstufe des Emittenten zu Wertverlusten führen. Bonitätsrisiko und Ausfallrisiko werden zum Begriff Kreditrisiko zusammengefasst. Marktrisiken und Kreditrisiken zählen zu den Geschäftsrisiken eines Unternehmens. Dagegen werden Risiken, die mit dem Betriebsablauf verbunden sind, operationelle Risiken genannt. Dies sind insbesondere personelle und technische Risiken. Ziel der Risikoanalyse ist die Quantifizierung der Risiken. Einfachstes Verfahren hierzu ist die Szenarioanalyse. Diese bestimmt die Wertänderung einer Position, wenn gewisse Änderungen der Risikofaktoren eintreten. Dabei können als Standardszenarien marktübliche Änderungen oder als Stressszenarien extreme Ausschläge simuliert werden. Das am häufigsten verwendete Risikomass ist aber der Value at Risk (VaR). Auf Basis der Verlustverteilung bestimmt er eine (minimale) obere Verlustschranke so, dass diese nur mit vorgegebener (kleiner) Risikowahrscheinlichkeit noch überschritten wird. Eine sinnvolle Ergänzung des Value at Risk ist der sogenannte Expected Shortfall, der den erwarteten Verlust für den Fall bestimmt, dass die Verlustschranke VaR überschritten wird. Geht man bei der Berechnung des VaR für Marktzinsen meist von normalverteilten Verlusten aus, trifft dies wegen der Asymmetrie von Verlusten im Kreditbereich nicht zu. Zur Berechnung eines entsprechenden VaR ist ausserdem zu berücksichtigen, dass der erwartete Verlust (Expected Loss) als Risikokosten i.d.R. im Kreditzins eingepreist ist. Auf Basis exakter Kalkulationen des Risikos können dann geeignete Steuerungsmassnahmen zur Sicherung bzw. Reduktion der Position ergriffen werden, um das Risikopotenzial der Tragfähigkeit eines Unternehmens anzupassen. Hinweise · Zu den vertiefenden Wissensgebieten siehe Cash Flow, Diskontierungsfaktor, Rendite (Berechnungsmethoden), Tageberechnung, Zinsrechnung. · Zu den angrenzenden Wissensgebieten siehe Investitionswirtschaft, Kreditfinanzierung, langfristige, Ökonometrie, Operations Research, Optimierungsmodelle, mathematische, Portfoliomanagement, Statistik, Wirtschaftsmathematik.
Literatur: Bosch, K.: Finanzmathematik, Oldenbourg Verlag, München 1991; Cremers, Mathematik für Wirtschaft und Finanzen I, Bankakademie Verlag, Frankfurt am Main 2002; Bronstein, I.N., Semendjajew, K.A., Musiol, G., Mühlig, H.: Taschenbuch der Mathematik, Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt am Main 2001; Baxter, M., Rennie, A.: Financial Calculus, Cambridge Universitiy Press, Cambridge 1956; 1996; Heidorn, Th.: Finanzmathematik in der Bankpraxis. Vom Zins zur Option, Gabler Verlag, Wiesbaden 2002; Jorion, P.: Value at Risk: the new benchmark for controlling market risk, Irwin, Chicago; Kruschwitz, L.: Finanzierung und Investition, Oldenbourg Verlag, 2004; Kruschwitz, L.: Finanzmathematik, Oldenbourg Verlag, 2005 Internetadressen: www.gloriamundi.com, www.defaultrisk.com
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