entstanden im Zuge der Entwicklung der Ökonomie als Wissenschaft. Dieser Entwicklungsprozess ist hauptsächlich durch zwei Faktoren gekennzeichnet erstens durch den Fortschritt in der Formulierung adäquater Begriffe und Begriffszusammenhänge für die Analyse wirtschaftlicher Zusammenhänge; zweitens durch Veränderungen in den Fragestellungen, mit denen an wirtschaftliche Zusammenhänge herangegangen wird. Die Fragestellungen wandeln sich einerseits infolge von Veränderungen innerhalb der Wirtschaft im geschichtlichen Ablauf (welche die Wirtschaftsgeschichte beschreibt und analysiert), andererseits weil sich das Bewußtsein von der Bedeutsamkeit einzelner Problemkreise sowie die politischen und sozialphilosophischen Ideen verändern, die in ihre Formulierung eingehen. Obwohl sich Entwicklungsphasen der Ökonomie identifizieren lassen, in denen einer dieser Faktoren über den anderen dominierte, kann keiner der beiden einseitig verabsolutiert werden, denn sie bedingen einander. Insofern ist die Entwicklung der Ökonomie weder ein Fortschritt zur »richtigen« Theorie noch eine Abfolge unterschiedlicher Denkstile, sondern gleichzeitig eine fortschreitende Entwicklung einer fachspezifischen Begriffssprache und ein Wandel in den mit ihrer Hilfe analysierten Problemen, der abhängt von der allg. Entwicklung der Wirtschaft und des Denkens. Da zudem Ideologien und das Bewußtsein von der Bedeutsamkeit einzelner Fragestellungen nicht allen Zeitgenossen gemeinsam sind, gibt es unterschiedliche Richtungen des Theoretisierens in der Ökonomie nicht nur im geschichtlichen Ablauf, sondern auch zur selben Zeit nebeneinander. Diese Richtungen verhalten sich zueinander teils wie Außenseiter zu einer beherrschenden Orthodoxie, teils wie rivalisierende Schulen. Eingebettet in eine Gesamtschau des Sozialen, der Politik und der Sitten finden sich theoretische Überlegungen zur Ökonomik bereits im Altertum, namentlich bei ARISTOTELES. Daran knüpfte die scholastische Theorie des Mittelalters an, als sie Fragen wie jene nach dem »richtigen« oder »gerechten« Preis und der Berechtigung des Zinses stellte. Gesamtwirtschaftliche Theorien werden erst formuliert nach der Ausbildung der europäischen Territorialstaaten unter dem Einfluss des Welthandels, der Anfänge der industriellen Produktion und der Entwicklung zentraler Steuersysteme (Merkantilismus, Kameralismus). Damit treten seit ca. 1750 folgende Fragen in den Vordergrund: · Gibt es für den ökonomischen Bereich eigene Gesetzmäßigkeiten, die unabhängig von den sozialen, politischen und ethischen Gestaltungen gelten? · Kann Privatinteresse mit dem Gemeinwohl vereinbar sein? · Wie läßt sich der Gesamtzusammenhang wirtschaftlicher Vorgänge begrifflich fassen? Ausgangspunkt für die Herausbildung der Ökonomik als Wissenschaft war die französische - Physiokratie, die erstmals in aller Klarheit die Frage nach den Bedingungen formulierte, unter welchen sich ein Wirtschaftskreislauf reproduzieren kann. Daraus entwickelte sich dann v.a. in England die Klassische Theorie. Diese legte Grundlagen, auf denen die ökonomische Theorie heute noch aufbaut: Einerseits finden sich besonders bei Adam SMITH eine Fülle von Erklärungsansätzen für verschiedenste sozial-ökonomische Tatbestände, die fast alle Schulen seither mehr oder weniger inspirierten. David RICARDO andererseits legte den Grundstein für jene modelltheoretische Zuspitzung von Fragestellungen, die ganz generell die Methodik der modernen theoretischen Ökonomik kennzeichnet. Alternative Sichtweisen präsentierten das Werk von Karl MARX, das sich aus der Klassischen Theorie, dem Linksricardianismus und dem Hegelianismus entwickelte, und die besonders in Deutschland einflußreiche Historische Schule. Auf sehr verschiedene Art wandten sich beide gegen eine Theorie, die als zu abstrakt empfunden wurde, weil sie zuwenig die geschichtlichen Bedingtheiten wirtschaftlicher Vorgänge und Institutionen berücksichtigte. Die Historische Schule vertrat die Ansicht, das Wesen ökonomischer Phänomene und sozialer Zustände erschließe sich nur in einer Gesamtschau (Hofismus). Überdies entfalte sich die Natur ökonomischer und sozialer Institutionen erst in ihrer Geschichte, die es daher im Detail zu studieren gelte. Bedeutend ist die Historische Schule wegen ihrer sozialpolitischen Positionen (Kathedersozialismus) und ihres Beitrags zur Entwicklung der Wirtschaftsgeschichte. Die bis heute markanteste Zäsur in der Theorieentwicklung vollzog sich im letzten Drittel des 19. Jh. durch das Entstehen der Neoklassischen Theorie, deren wesentliches Kennzeichen der methodologische Individualismus ist. Grundelement der Erklärung ökonomischer Tatbestände sind rationale individuelle Entscheidungseinheiten (Konsumenten und Firmen) mit ihren Präferenzen, ihren technischen Möglichkeiten und ihren exogen gegebenen Ausstattungen an knappen Produktionsfaktoren und Ressourcen. Ökonomische Tatbestände werden als (gleichgewichtiges) Resultat vieler individuell rationaler Einzelhandlungen zu erklären versucht. Die neoklassische Revolution hat eine realhistorische Grundvoraussetzung: Die Individualisierung des Menschen in der modernen Gesellschaft und seine Herauslösung aus berufsständisch, klassenmäßig oder konfessionell geprägten Mustern wirtschaftlichen Handelns. Sie wurde formuliert in einer Zeit, in der »der Konsument« im modernen Sinn entstand und in der die Interdependenz wirtschaftlicher Erscheinungen durch die Integration in einen weltwirtschaftlichen Zusammenhang immer deutlicher wurde. Zum Erfolg der Neoklassischen Theorie trugen weitere Faktoren bei: · Die Betonung der Rolle des Individuums liess sie als geeignete ökonomische Ergänzung zum politischen Liberalismus erscheinen, geeigneter jedenfalls als die - Historische Schule mit ihrer Betonung von Kollektivzusammenhängen oder auch als die Klassische Theorie, die in und nach ihrer Hochblüte zwar ebenfalls mit dem Liberalismus eng verbunden war, die aber mit dem Linksricardianismus und MARX eine kapitalismuskritische Verzweigung bekommen hatte. · Die Historische Schule unterschätzte die Erkenntnismöglichkeiten durch »abstrakte« theoretische Überlegungen erheblich und schuf so eine Lücke, in die die neoklassische Modelltheorie vorstoßen konnte. · Im Gegensatz zur Klassischen Theorie, die fast ausschließlich innerhalb Englands (und Schottlands) entwickelt worden war, entstand die Neoklassik fast gleichzeitig in verschiedenen Ländern. Trotz der Tatsache, dass die derart entstandenen nationalen Schulen (Österreichische Schule, Lausanner Schule, Cambridge-Schule) miteinander rivalisierten, trug das viel zur Internationalisierung der Wissenschaft bei. Eine Synthese aus den verschiedenen Ansätzen, innerhalb deren die Neoklassische Theorie entwickelt wurde, entstand erst nach 1930 in der - Neo-neoklassischen Theorie, deren Entwicklung auch durch den zunehmenden Einfluss amerikanischer Forscher geprägt wurde. Sie ist weitgehend identisch mit der heute herrschenden mikroökonomischen Theorie. Aus der Bemühung, die Weltwirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit zu erklären und wirtschaftspolitisch zu meistern, entstand etwa gleichzeitig die - Keynesianische Theorie. Obwohl sie einen Wechsel der Fragestellung beinhaltet, ist sie doch aus Überlegungen der Neoklassischen Theorie hervorgegangen, wie sie insbes. innerhalb der Cambridge-Schule und der Schwedischen Schule angestellt worden waren. Insofern ist sie als Ergänzung zur Neo-neoklassischen Theorie interpretierbar. Dies um so mehr, als in den letzten Jahren in der New Keynesian Macroeconomics versucht wird, die makroökonomischen Überlegungen der fortentwickelten Keynesianischen Theorie durch Mikroökonomische Überlegungen der weiterentwickelten Neo-neoklassischen Theorie zu untermauern (Neue Makroökonomik). Bis in die 70er Jahre galt die in die Neoklassik integrierte Form des Keynesianismus weithin als identisch mit der makroökonomischen Theorie überhaupt. Schon damals hatten sich aber die verschiedenen Varianten des Monetarismus immer mehr als Alternativen zum Keynesianismus herausgeschält. In der New Classical Macroeconomics mit ihrer Betonung rationaler Erwartungen entstand dann in den 70er Jahren der Versuch einer rigoros mikrofundierten Neukonzeption des makroökonomischen Bereichs. Der Ausgangspunkt fast aller zur NeoNeoklassik alternativen ökonomischen Schulen ist die Ansicht, deren methodologischer Individualismus biete eine allzu einseitige und reduktionistische (wenn nicht gar falsche) Sicht ökonomischer Tatsachen. Insbes. die - Neoricardianische Theorie hält die Wiederbelebung der klassischen Perspektive für wichtig, wonach die Erkundung der Bedingungen des Umgangs mit exogen gegebenen knappen Ressourcen nicht allein im Zentrum des ökonomischen Erkenntnisinteresses stehen kann. Für moderne, durch kapitalbrauchende Produktionsprozesse charakterisierte Ökonomien eröffne vielmehr die Analyse der Bedingungen, unter denen sich Warenproduktion mittels produzierter Waren reproduzieren kann, relevante Einblicke insbes. in den Zusammenhang von Preissystem und Verteilung. In ihren verschiedenen Schattierungen betonen die Neokeynesianischen Theorien die Bedeutung von fundamentaler Unsicherheit sowie kreislauftheoretischer, psychologischer und institutioneller Zusammenhänge. Letztere werden von der v.a. in den USA vertretenen Schule des Institutionalismus in den Mittelpunkt gerückt, die methodologisch in der Tradition der Historischen Schule steht. Eine interessante Hybridform stellt die in Deutschland wirtschaftspolitisch einflußreiche Freiburger Schule dar, die eine neoklassische Markttheorie mit einer Betonung des Denkens in durchaus überindividuell fundierten »Ordnungen« verbindet (Ordoliberalismus). Im Gegensatz dazu treibt die Libertäre Schule den Individualismus und Subjektivismus auf die Spitze und gelangt dadurch zu einer strikten Ablehnung jedes bewußt geplanten, ordnenden Eingriffs des Staates in die Wirtschaft. Die an marxistische Überlegungen anknüpfende Radikale Schule hebt sich weniger durch eine alternative methodische Grundposi- lion, sondern vielmehr durch ein spezifisch kritisches Erkenntnisinteresse vom »mainstream« ab. Ihr geht es v.a. um das Herausarbeiten von Diskriminierung und Machtphänomenen im modernen Kapitalismus. Ferner sind in den letzten Jahren einige methodisch-thematisch fokussierte Diskussionszusammenhänge entstanden, ohne dass dabei vorerst von einer eigentlichen Schulenbildung die Rede sein könnte. Dazu gehören die evolutorische Ökonomik, die ökonomische Psychologie sowie die experimentelle Ökonomik. Literatur: Niehans, J. (1990). Blaug, M. (1985)
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