Das Ziel "Wirtschaftswachstum" kann sowohl quantitativer als auch qualitativer Art sein. Das Wachstum des realen Bruttosozialprodukts dient folgenden übergeordneten Zielen: (1) Sicherung der Befriedigung von Grundbedürfnissen (Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Versorgung und Bildung), Hebung des allgemeinen Konsumniveaus und des Wohlstands der Bevölkerung; (2) Soziale Absicherung gegen Unfälle, Arbeitslosigkeit oder Naturkatastrophen; (3) Zunahme der Freizeit durch —Arbeitszeitverkürzung; (4) Mit zunehmendem Pro-Kopf-Einkommen tragen höhere Staatseinnahmen dazu bei, sog. "Kollektivbedürfnisse" durch das Angebot von Schwimmbädern, Naturparks, Theater usw. zu befriedigen. (5) Technologische Neuerungen, Geschmacksänderungen oder Änderungen der internationalen Arbeitsteilung (z. B. die zunehmende Einbeziehung von Schwellenländern in den Welthandel) erfordern ständig strukturelle Anpassungen, die bei hohen Wachstumsraten des realen Pro-Kopf-Einkommens leichter durchgesetzt werden können als bei schrumpfenden, niedrigen oder stagnierenden Wachstumsraten, weil die Wachstumsbranchen die frei werdenden Arbeitskräfte absorbieren können. (6) Bei hohem Wachstum können Verteilungsprobleme besser gelöst werden, da nur die Zuwächse umverteilt werden müssen und auch Konzentrationen des Privat- oder des Produktivvermögens leichter beseitigt werden können. Häufig ist kritisiert worden, die hier angeführten Ziele könnten nicht durch Wachstum erreicht werden. · Bei der Berechnung des realen Sozialprodukts wird auch die Beseitigung von Schäden, die erst durch die Produktion von Gütern entstehen, erfasst. Dazu zählen z. B. Dienstleistungen der Krankenhäuser, welche wegen Autounfällen erbracht werden müssen, sowie die Beseitigung von Umweltschäden. · Minderungen der Qualität der Umwelt (z. B. Luft- und Wasserverschmutzung) werden nicht berücksichtigt. · Es besteht kein Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und psychischem Wohlbefinden. Diese Argumente gelten zwar für die Industrieländer als unumstritten, ihre Bedeutung ist jedoch äusserst fraglich. Die Diskussion um die Ziele des Wachstums fand vor allem durch das Buch "Die Grenzen des Wachstums" (Wachstumsgrenzen) des Club of Rome sowie durch die vom amerikanischen Präsidenten in Auftrag gegebene Studie "Global 2000" weltweite Beachtung. Durch diese Veröffentlichungen hat sich gegenüber der wachsenden Umweltgefährdung ein gewisser Wandel im Bewusstsein der Bevölkerung vollzogen, der sich in der Forderung nach mehr qualitativem Wachstum und mehr —Lebensqualität äusserte. Wirtschaftswachstum wurde vielfach sogar ganz in Frage gestellt, und es wurde Nullwachstum gefordert. Als neues Berechnungskonzept zur Erfassung von Lebensqualität sollten soziale Indikatoren herangezogen werden. Empirische Untersuchungen von Ernst Dürr haben indes gezeigt, dass zwischen den meisten Sozialindikatoren. und der Höhe des Pro-Kopf-Einkommens ein hoher statistischer Zusammenhang besteht. Da der Begriff Lebensqualität nicht wertneutral operationalisiert werden kann (z. B. Häufigkeit von Ehescheidungen) und die einzelnen Indizes (z. B. Zahl der Morde und Krankenhausdichte) nicht aggregierbar sind, ist das Konzept der Sozialen Indikatoren für qualitatives Wachstum dem Konzept des Sozialprodukts eindeutig unterlegen und kann nur als interessante Ergänzung betrachtet werden. Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft gibt es noch kein anerkanntes Messkonzept, mit dessen Hilfe psychisches Wohlbefinden von Völkern gemessen werden kann. Die insb. von Friedensforschern häufig vorgebrachte Behauptung, Wirtschaftswachstum zerstöre die traditionellen Strukturen der Entwicklungsländer und mache das Leben weniger lebenswert, gilt als umstritten. Häufig handelt es sich um die romantische Vorstellung einer Idylle, die ebenso fragwürdig ist, wie z.B. die Forderung nach Erhaltung der gesellschaftlichen Strukturen des alten Preussentums in Deutschland vor 200 Jahren zur Wahrung der sozio-kulturellen Identität. Zwischen dem Ziel "hohes Wirtschaftswachstum" und anderen Zielen der Wirtschaftspolitik kann Harmonie, Neutralität oder Konflikt bestehen. Der vielfach behauptete Konflikt zwischen den Zielen "Wachstum" und "Geldwertstabilität" ist empirisch nicht nachweisbar. Grundsätzlich besteht auch kein Konflikt zwischen den Zielen eines hohen Wachstums und einer gleichmässigeren Einkommensverteilung, wie die Beispiele Taiwan oder Bundesrepublik Deutschland in den 50er Jahren zeigen. Literatur: Dürr, E., Wachstumspolitik, Bern, Stuttgart 1977. Müller-Armack, A., Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik, Bern, Stuttgart 1976. Teichmann, U., Grundlagen der Wachstumspolitik, München 1987.
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