befaßt sich als Teilgebiet der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften mit dem Ursprung und Werdegang der wissenschaftlichen Aussagensysteme des Marketing (Marketingtheorie) und ihrer Anwendung in der Marketingpraxis. Mit Hilfe einer historisch-genetischen Betrachtungsweise wird versucht, verschiedene Entwicklungsphasen des Marketingdenkens gegeneinander abzugrenzen und inhaltlich zu kennzeichnen. Obwohl Warentausch und Handel weit in das vorindustrielle Zeitalter zurückreichen, nahm die wissenschaftliche Untersuchung von Austauschprozessen auf Märkten erst um die Jahrhundertwende ihren Anfang. Dabei sind die Entwicklungen in den USA und in Europa, insb. aber in Deutschland, bis nach dem Zweiten Weltkrieg relativ losgelöst voneinander verlaufen. In den USA haben Probleme und Krisen im Industrialisierungsprozeß offensichtlich früher den Anstoß zur Erforschung vonMarktprozessen eingeleitet als in Europa. Erst in den 50 er und 60 er Jahren beginnt in Deutschland eine verstärkte Adaption und später eine Vertiefung der amerikanischen Theorieansätze sowie eine verstärkte praktische Anwendung des Marketing unter besonderer Berücksichtigung der spezifischen situativen Faktoren („modernes Marketing“). Der Marketing-Wissenschaftler Richard Bartels (1976) unterscheidet für die USA die folgenden Entwicklungsstufen des Marketing-Denkens: - 1900 bis 1910 Periode der Entdeckung -1910 bis 1920 Periode der begrifflichen Grundlegung - 1920 bis 1930 Periode der Integration - 1930 bis 1940 Periode der Entfaltung - 1940 bis 1950 Periode der Neubeurteilung - 1950 bis 1960 Periode der Neukonzipie- rung - 1960 bis 1970 Periode der Differenzierung - seit 1970 Periode der Sozialisation. Während in der Periode der begrifflichen Grundlegung Prinzipien für marktorientiertes Handeln entwickelt wurden, standen in der Phase der Entfaltung bereits spezielle Anwendungen in unterschiedlichen Distributionssystemen im Vordergrund. Die stärkere wissenschaftliche Ausrichtung auf das Verhalten von Marktteilnehmern kennzeichnete die Periode derNeubeurteilung. Sie mündete nach 1950 in eine management- und entscheidungsorientierteBetrachtungsweise. Im deutschsprachigen Raum ist die Entwicklung - stark vereinfacht - in vier sich überlappenden Phasen verlaufen: - 1910-1950 Begründung der Handelsbetriebslehre - 1925-1970 Entwicklung der betrieblichen Absatzlehre - 1965-1975 Rezeption der angelsächsischen Marketinglehre - seit 1970 Ausbau der Marketing-(Manage- ment-)Lehre. Zunächst hat sich die Handels- und Export- wirtschaftslehre aus volkswirtschaftlicher Betrachtungsweise mit absatzwirtschaftliehen Fragestellungen befaßt (Handelsforschung). Das Marketing hat dabei in seiner theoretischen Ausgestaltung und im praktischen Einsatz zahlreiche Modifikationen und Ergänzungen erfahren. Sie betreffen die Philosophie, das Wissenschaftsprogramm, die vorherrschenden Ansätze in der Marketingtheorie, das Anspruchsspektrum und die branchenspezifischen Anwendungsfelder (vgl. Abb.). Aus der von Josef Hellauer (1910) und Julius Hirsch (1925) begründeten und von Karl Oberparleitner (1930) ausgebauten betrieblichen Handelsbetriebslehre entwickelte sich in den 20 er Jahren eine eigenständige Absatzlehre, die insb. durch die Arbeit von Otto Schnutenhaus (1927) über die „Absatztechnik der amerikanischen industriellen Unternehmung“ zunehmend eine einzelwirtschaftliche Perspektive einnahm. Aspekte der Marktforschung und des Käuferverhaltens wurden v. a. von Erich Schäfer (1950) und Georg Bergler (1960) in die Äbsatzlehre eingebracht. In dieser Phase der Produktionsorientierung nahmen allerdings Fragen des Absatzes eine vergleichsweise geringe Bedeutung ein. In methodischer Hinsicht wurden unmittelbare Beobachtungen, einfache Umfragen und erste V erkaufsanalysen eingesetzt.
Die aufkommende industrielle Massenproduktion in den 30 er und40 er Jahren mit einer stark ausgeprägten Verkäufermarktsituation führte bis in die 50 er Jahre zu einer verstärkten Distributionsorientierung der Disziplin, beiderFragen effizienter Absatzwegeundder Preispolitik im Vordergrund standen. In der Theorie wurden institutionen-, waren- und funktionenorientierte Ansätze entwickelt (Marketingtheorie). Die Absatzlehre konzentrierte sich zu dieser Zeit auf die Ausge- staltungderDistributionsfunktion. In ihrem weiteren Verlauf entwickelte sich die Disziplin zu einer primär auf das Verkaufen von Produkten orientierten Absatzlehre (Salesmanship), die den Absatz als Funktion „am Ende des Fließbandes“ verstand (Verkaufsorientierung). Dabei konnten die Absatzorgane in methodischer Hinsicht auf erste Verfahren der multivariaten Analyse (einfache Korrelations- und Regressionsmethode) zurückgreifen. In den USA brachten Reavis Cox und Wroe Alderson 1950 die Auffassung von Marketingsystemen als „Input-Output-Systeme“ in die wissenschaftliche Diskussion ein. In der Marketingforschung wurden erste Ansätze der Motivforschung und Einstellungsmessung diskutiert und versucht, neu entwickelte Verfahren des Operation Research auch auf den Absatzbereich anzuwenden. Ende der 50 er Jahre wandte sich die Marketing-Wissenschaft und -praxis stärker dem Ausbau und der optimalen Kombination absatzpolitischer Instrumente zu. Jeromy Mc Cartby entwickelte 1964 mit der Formulierung der 4 „P“ (price, product, place, promotions) das Grundkonzept des Marketing- Mix als managementorientiertes Programm für marktgerichtete Aktivitäten. Parallel hierzu standen in jener Zeit unter dem Einfluß der grundlegenden Arbeiten Erich Gutenbergs (1955) im deutschsprachigen Bereich modelltheoretische Analysen der Absatzpolitik im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses. Obwohl die Entdeckung des „Marketing- Mix“ häufig als Geburtsstunde des „modernen Marketing“ bezeichnet wird, fand die eigentliche Neuorientierung des Marketing als Führungsfunktion jedoch erst mit der Einbeziehung der Bedürfnis- und Kundenorientierung als unternehmerische Leitgröße statt. Vor allem durch die Arbeiten von Philip Kotier wurde das angebotsorientierte durch das nachfrageorientierte Marketing abgelöst. Theodore Levitt stärkte darüber hinaus durch seinen 1960 erschienenen Aufsatz „Marketing Myopia“ die notwendige Umorientierung von einer „kurzsichtigen“ (myopischen) Distributions- und Verkaufsorientierung zu einer weitsichtigen Bedürfnisorientierung in der aufkommenden Käufermarktsituation. In Deutschland setzte sich in dieser Zeit verstärkt der Terminus „Marketing“ in der Unternehmenspraxis als Berufsbild durch. Im wissenschaftlichen Bereich begründete und forderten Robert Nieschlag (1964) und seine Schüler den Übergang zur modernen Marketinglehre. An den Hochschulen wurde die institutionen- und funktionen-orientierte Betrachtungsweise durch managementorientierte Ansätze abgelöst. Dabei vollzog sich - v. a. mit der Einbeziehung der Produktpolitik in das Marketing-Instrumentarium - eine gedankliche Loslösung des funktionenorientierten Marketing (i. S.v. Absatz) „vom Ende des Fließbandes“ zu einer unternehmensbezogenen Denkhaltung, die zunehmend Anwendung in verschiedensten Konsumgüterunterneh- men und einen ersten Eingang in den Investitionsgütersektor fand. Die zeitgleich aufkommende Entwicklung in der elektronischen Datenverarbeitung ermöglichte in methodischer Hinsicht die computerisierte Datenverarbeitung und -analyse, Informationsspeicherung und -abrufung sowie die Verfeinerung multivariater Verfahren (Faktoren- und Diskriminanzanalyse) sowie die Anwendung von mathematischen Entscheidungsmodellen. Die 70 er Jahre sind durch eine Erweiterung des Anwendungsspektrums des Marketing im Investitionsgütersektor und vor allem im Handel geprägt. Insbesondere Umstruktu- rierungs- und Konzentrationsprozesse im Handel verstärkten die „Gatekeeper-Funktion“ einzelner Handelsunternehmen, worauf das Marketing mit einer verstärkten Handelsorientierung reagierte. Markenpolitische Aktivitäten des Handels, verbunden mit einer Rückwärtsintegration und preisaggressivem Verhalten stellten das klassische Kon- sumgütermarketing zunehmend in Frage. Dies führte zur Entwicklung spezifischer Ansätze des vertikalen Marketing. Dabei wird ein Ausgleich zwischen konsumentengerichtetem Pull-Marketing und handelsgerichtetem Push-Marketing angestrebt. In konzeptioneller Hinsicht stand im Marketing in dieser Phase die Erarbeitung umfangreicher Marketing-Planungsmodelle im Vordergrund, während gleichzeitig ökonometrische Modelleund Verfahrender multidimensionalen Skalierung entworfen wurden. Die umfassenden Anforderungen an das Marketing führten dabei zu einer Ausweitung des Anspruchsspektrums des Marketing i.S.v. „Marketing als eine Führungsfunktion“. An bundesdeutschen Hochschulen etablierte sich „Marketing“ als gleichberechtigtes Schwerpunktfach im wirtschaftswissenschaftlichen Studium. In der Praxis gingen gleichzeitig immer mehr Dienstleistungsunternehmen zu einer Anwendung des Marketing-Gedankengutesüber. In den 80 er Jahren entstand - vor dem Hintergrund des wachsenden Verdrängungswettbewerbs - eine ausgeprägte Wettbewerbsorientierung des Marketing, die das Abrücken von einer absoluten Befriedigung der Kundenbedürfnisse zugunsten der relativen Qualität von Marketingprogrammen forderte. DasMarketingdenkender80 erjah- re wird insb. durch die Arbeiten von Michael Porter und dort entwickelte Strategieansätze zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen - Differenzierung (Differenzierungsstrategien) versus Kostenführerschaft-geprägt. Das Anspruchsspektrum des Marketing wurde v. a. hinsichtlich seiner langfristig globalen Wirkung als „Strategisches Marketing“ weiterentwickelt. In instrumenteller Hinsicht führte die Entwicklung neuer Medien zu einem verstärkten Einsatz direkter Marketingmaßnahmen. In der Marketing- Forschung stellen die Entwicklung der Nutzenmessung durch die Conjoint-Analyse und der Einsatz von Expertensystemen Meilensteine der Entwicklung dar. Gleichzeitig vollzieht sich an der Schwelle der 90 er Jahre im Anwendungsspektrum des Marketing sowohl eine Vertiefung als auch eine Ausweitung. Im Rahmen der „Vertiefung des Marketing“ (Deepening) findet eine Erweiterung der Zielinhalte des Marketing um nicht-gewinn- bzw. rentabilitätsorientierte Ziele statt, was zu neueren Ansätzen wie dem „Human Concept of Marketing“, dem Social- oder dem “Ökologischen Marketing“ führte. Darüber hinaus wird der Gegenstandsbereich des Marketing auf nicht-kommerzielle Institutionen und Transaktionen wie Museen, Theater etc. ausgeweitet (broadening; s.a. Marketing, Grundlagen). Diese zunehmende Umwelt- bzw. Sozialorientierung im Marketing führt zu einem erweiterten generischen Verständnis des Marketing (generic Marketing) als einem universellen Konzept der Marktbeeinflussung im Sinne einer Sozialtechnik. Die Doppelfunktion des Marketing als betriebliche Absatzfunktion und Unternehmensphilosophie bildet den Kern des Marketing als marktorientiertes integriertesFührungskon- zept(Marketing, Grundlagen).
Literatur: Bartels, R., Marketing Theory and Metatheory, in: Journal of Marketing, 1 (1967), S. 20 ff. Bergler, G., Die Entwicklung der Verbrauchsforschung in Deutschland und die Gesellschaft für Konsumforschung bis zum Jahr 1945, Kallmünz 1960. Cox, R.;Alderson; W., Theory in Marketing, Selected Essays, Chicago/Ill. 1950. Gutenberg, E., Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Bd. 2: Der Absatz, 17. Aufl., Berlin u. a. 1984. Hellauer, /., System der Welthandelslehre, Bd. 1 : Allgemeine Welthandelslehre, Berlin 1910. Hirsch J., Der moderne Handel, seine Organisation und Formen und die staatliche Binnenhandelspolitik, 2. Aufl., Tübingen 1925. Kotier, Ph., Marketing-Management. Dt. Übersetzung der 2. Aufl., Stuttgart 1974. Levitt, Th., Marketing Myopia, in: Harvard Business Review, Heft Juli/August 1960, S. 45-56. Mef- fert, H., Marketing und allgemeine Betriebswirtschaftslehre -Eine Standortbestimmung im Lichte neuerer Herausforderungen der Unternehmensführung, in: Die Betriebswirtschaftslehre im Spannungsfeld zwischen Generalisierung und Spezialisierung, v. Kirsch, W., Picot, A., (Hrsg.), E. Heinen zum 70. Geburtstag, Wiesbaden 1989, S. 339-357. Derselbe, Marketing Theory, in: Handbook of German Business Management, Stuttgart 1990, S. 1428-1442. Meffert, H.; Bruhn, M., Marketing- theorie-Quo vacfis? in: Absatzwirtschaft-Marketing, Bratschisch, R.; Heinen, E.; (Hrsg.) Wien 1978, S. 1-24. Nieschlag, R., Binnenhandel und Binnenhandelspolitik, Berlin 1959. Oberparleit- ner, K., Die Funktionen des Handels, Wien 1918. Porter, M, Compétitive Advantage, Creating and Sustaining Superio Performance, New York 1986. Schäfer, E., Die Aufgabe der Absatzwirtschaft, 8. Aufl., Köln 1950. Samutenhaus, O., Die Absatztechnik der amerikanischen industriellen Unternehmung, Berlin 1927.
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